Kult & Kultur in Boulogne


Das wichtigste Accessoire an diesem Mittwochmorgen ist eine vernünftige Jacke, denn mit fünf Grad ist es ziemlich kalt. Nach einem kleinen Frühstück machen wir uns auf den Weg ins richtige Leben.

Das Nausicaá, das faszinierende Meereszentrum, das wir gestern besucht haben, liegt schräg gegenüber von unserer Wohnung. Entlang der Strandpromenade mit breitem Sandstrand wandern wir bei schöner werdendem Wetter zum Hafen mit seinen Fischereiständen. Zwar sehen wir unseren „La Bohème“-Freund, aber heute fehlt die Musik.

Von hier aus geht es weiter zur Église Saint-Nicolas, einer der ältesten Kirchen der Stadt, deren Ursprünge bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen. Mittwochs ist wieder Markttag, aber heute ist deutlich weniger los als am Sonnabend.

Hinter der Kirche führt die Rue de Lille in die Oberstadt, die Ville Haute, das historische Zentrum von Boulogne-sur-Mer. Diese Straße ist gesäumt von kleinen Boutiquen, Cafés und Bäckereien. Wenn man bedenkt, dass wir eigentlich keinen Fuß auf die ansteigende Höhe setzen wollten, ist es erstaunlich, dass wir es nun schon zum zweiten Mal tun.

Wir umrunden sogar die gesamte Burganlage und wollen ins Château-Musée, ein Museum mit Kunstsammlungen und historischen Exponaten. Das wird nichts, denn wir sehen zwar Licht im Schloss, aber die Türen bleiben verschlossen. Stattdessen haben wir von den Festungsmauern einen fantastischen Blick über die Stadt bis hinaus aufs Meer. Und weil es in der engen Altstadt so schön gemütlich ist, suchen wir uns einen Platz im „Le Swan“, einem wunderbaren Restaurant im Schatten der Basilika. Wie so oft fragen wir uns, warum man so schöne, unaufgeregte Orte nicht in Deutschland hinkriegt. Wir essen nur eine Bouillabaisse und gegrillte Garnelen (vorzüglich in brauner Knoblauchbutter und Kräutern), teilen etwas Chardonnay und eine Mousse au chocolat. Um uns herum nur Einheimische in kleinen und größeren Gruppen. Ein toller Ort!

Der stärkt uns für das Stück Geschichte unter argentinischer Flagge, das uns jetzt erwartet. Das San-Martín-Museum befindet sich in dem Haus, in dem der argentinische General einige Jahre verbrachte. Es bewahrt persönliche Gegenstände des Nationalhelden, darunter Möbel, Bücher und Briefe. Besonders eindrucksvoll ist sein Sterbezimmer, das originalgetreu erhalten wurde. Ein sehr netter Argentinier öffnet uns die Tür und überlässt uns unserer Neugier. Völlig allein strolchen wir über die drei Stockwerke voller südamerikanischer Geschichte.

José de San Martín, der große Befreier Argentiniens, Chiles und Perus, verbrachte hier seine letzten Jahre fern von Ruhm und Macht. San Martín, geboren 1778 in Yapeyú, führte die Unabhängigkeitskämpfe gegen Spanien an und sicherte Südamerikas Freiheit. Doch nach seiner Begegnung mit Simón Bolívar 1822 zog er sich aus der Politik zurück. In Argentinien umstritten, verließ er 1830 endgültig Südamerika und ließ sich nach Aufenthalten in Brüssel und Paris 1848 in Boulogne-sur-Mer nieder. Er lebte in Frankreich mit seiner Tochter Mercedes und deren Familie, las viel und schrieb Briefe.

Am 17. August 1850 starb San Martín dort im Exil. 1880 wurden seine Überreste nach Buenos Aires überführt, wo er heute im Dom ruht. Sein Todestag hat direkt mit der Geburt von Juan Carlos zu tun: Zwar wurde er am 15. August 1950 geboren, aber das war ein Sonnabend. Eigentlich wollte sein Vater das den Behörden sofort bekanntgeben, das gelang wegen des Todes des Helden allerdings erst am 18. August und ließ sich nicht rückwirkend eintragen. Laut Dokumenten ist Juan also drei Tage jünger als tatsächlich, weshalb am 15. gefeiert wird.

So. Die ganze Geschichte muss erst einmal verarbeitet werden. Während vor unserer Tür wieder die Strandsegler herumtoben, erholen wir uns ein bisschen. Morgen werden wir Boulogne-sur-Mer definitiv verlassen. Mit Ziel Normandie. Möglicherweise.​​​​​​​​​​​​​​​​

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