Boulognes altes Herz


Erstaunlicherweise haben wir bis jetzt in Frankreich noch nicht einen einzigen Deutschen getroffen. Kein Auto, kein Wohnmobil, kein „Guck doch mal, Uschi!“ Nichts.

Das dürfte sich heute ändern, denn wir wollen uns den hoch gelegenen, mittelalterlichen Teil von Boulogne-sur-mer ansehen. Da wird sich doch der eine oder andere Studienrat finden lassen.

Zuvor spazieren wir noch ein bisschen entlang der Hafenkante, stossen völlig unerwartet auf einen niedlichen Markt. Gegenüber wird sogar heute, am Sonntag, wieder Fisch verkauft. Der Norden Frankreichs hier oben im Pas-de-Calais zeigt sich bilderbuchmässig.

Da das Auto in der Garage bleibt, machen wir uns bei sommerlichen Temperaturen und nach einem Café auf dem heute fast verwaisten Platz vor St.Nicholas an den Aufstieg zu Fuss ins Mittelalter. Das stählt. Und lohnt sich.

Die Altstadt ist seit der Römerzeit von Mauern umgeben und beeindruckt mit ihren mittelalterlichen Befestigungen, erklärt der Reiseführer. Graf Philipp Hurepel ließ zwischen 1227 und 1231 die heutigen Mauern errichten, die auf den Fundamenten des römischen Lagers „Classis Britannica“ basieren. Diese Festungsanlage gilt als eine der repräsentativsten des Mittelalters in der Region Hauts-de-France und lädt zu einem geschichtsträchtigen Rundgang ein (nicht gewusst, sondern nachgelesen). Den machen wir natürlich.

Über den Wehrgang rund um den Altstadtkern orientieren wir uns ein bisschen, geniessen den Panoramablick auf den unter uns liegenden Ortsteil. Über Kopfsteinwege tauchen wir ein in die pittoresken Gassen, besichtigen den Belfried, der UNESCO-Weltkulturerbe ist, das Château d‘Aumont, das Grafenschloss, das heute Museum ist. Es öffnet allerdings erst wieder in der Saison, und die Fülle hier oben im Hochsommer möchten wir uns lieber nicht vorstellen.

Mit der größten Krypta Frankreichs und einer Heilig-Blut-Reliquie aus dem 14. Jahrhundert ist anschließend die Basilika Notre-Dame mit ihren frisch restaurierten Fresken ein Highlight.

In der Nähe des Rathauses erholen wir uns vom Aufstieg und dem  Mittelalter bei einem kleinen Chardonnay und je einem halben Meter Baguette Jambon Beurre. Nach wie vor kein deutsches Wort, dafür einige Engländer, von deren Cockney ich nicht einen Piep verstehe. Wahrscheinlich sind sie übers Wochenende übers nahe Calais eingefallen.

Wir klettern hinab wieder Richtung Meeresspiegel, verzehren in der Sonne auf einem Mäuerchen die Reste des Baguettes und beobachten die zahlreichen Flaneure. Oft schieben sie Kinderwagen vor sich her, aber da lohnt immer der zweite Blick. Statt Baby wird häufig das Hundchen über die Promenade kutschiert.

Ein bisschen Erholung tut nach dem anstrengenden 10-Kilometer-Marsch in unserem wonnigen Appartement gut. Draussen hat sich das Meer zur Ebbe zurückgezogen, scheint noch immer die Sonne, knattern blitzende Harleys vorbei oder joggen durchtrainierte Runner. Wir liegen erstmal ermattet auf der faulen Haut.

Noch vermeiden wir das Thema, das für morgen ansteht. Eines ist aber sicher. Wir werden Boulogne-sur-mer verlassen. In welche Richtung auch immer.

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