Wenn morgens um fünf der Wecker klingelt, ist es einfach nur grausam. Aber wir wollen ja nicht nur unseren Flieger übern Teich bekommen, sondern vorher auch noch in Ruhe Kaffee trinken. Pünktlich um sieben reihen wir uns ein, um für die UA 75 nach Newark mit Anschluss Washington einzuchecken. Nur mit Handgepäck, versteht sich. Warum sollte man für eine viermonatige Reise damit hinkommen, für einen Monat aber nicht ? Kein Problem für uns, auch wenn wir nicht immer die Stylischten sind. Das sind wir ja auch in Hamburg nicht.
Auf dem Flughafen Hamburg fällt mir eine große blonde Frau auf, die ein etwa drei Monate altes Baby hin- und herwiegt und dabei einen seltsam entrückten Gesichtsausdruck hat. Sie wiegt das einzige Baby an Bord. Und klar: Mutti, Baby und Papi sitzen direkt vor uns in der Premium Economy. Trotz größerer Beinfreiheit gelingt es dem Kind, elegant auf meinen Schuh zu kotzen. Macht aber nichts, Mami reicht ein Kleenex und scheint den Weltfrieden gefährdet zu sehen. Das Problem ist aber nicht das spuckende Kind – es sind die Eltern, denen es gelingt, bis zur Landung in Newark. also über acht Stunden lang, dieses Kind am Schlafen zu hindern. Mich auch. Es wird etwas gesucht, es klappen Koffer, Papa übt mit dem Zwerg neue Worte wie Goldrush und Tomato. So geht es unentwegt. Der niedliche Zeerg kann immer noch nicht Mama sagen, aber Väter können eben anstrengend sein. Dazu das für seine schlechte Qualität bekannte Essen von United – besser, man nimmt die Omm-Haltung ein.
Nach einem Flug bei exzellentem Wetter sind wir dann schon ordentlich müde in Newark, wanken durch die Immigration und den Zoll, lesen, dass unser Flug nach Washington gecancelt ist. So. Also zu den United Service Leuten, die nicht einmal Interesse an irgendetwas heucheln. Sie schlafen einfach und lassen die Tiraden erboster Fluggäste an sich abperlen. Sie belästigen einen auch nicht durch Informiertsein: I dunno… da sind wir ja schon zwei. Jedenfalls: Flug gibt es nicht, selbstverständlich ist der nächste, zwei Stunden später, ausgebucht. Wir könnten aber um 8 fliegen. dann wären wir halb zehn in Washington. Oder um sieben. Mit Umsteigen irgendwo in der Provinz. dann wären wir um elf da. Keine Alternative? No, M’am. M’am kriegt gerade schmale Augen und eine Idee. Man ist ja Lufthansa- und Bahnstreikerfahren. Es ist jetzt zwölf Uhr mittags hier. Wie sieht es mit einem Zug aus? Zug? Das dicke Mädchen hinterm Counter scheint über das Wort nachzudenken, muss dann jemanden anrufen. Ja, Zug ginge. Um 12:57, ist um 16:17 in d.c. geht doch!!! Dass sie sogar die Tickets dafür bereitstellen kann, erscheint mir fast wie ein Wunder. Ihr auch…
Mit dem Skytrain machen wir uns auf die Socken, um den Zug noch zu kriegen. Aber der ist gemütlich und hat fast eine Stunde Verspätung. Inzwischen ist es auch warm geworden in Newark. Und dazu sind bis auf eine alle Toiletten kaputt. Erzähl mir einer was über die dritte Welt… Dafür steht auf jedem Bahnsteig, also auch auf unserer Nr. 4, ein Wesen in roter Jacke rum, das einen informieren soll. Kann es aber nicht. Das Girl hat keine Ahnung, wann der Zug nun tatsächlich aus Boston kommt, weiß nicht, ob man reservierte Plätze braucht und muss sowieso erstmal ums Klo…
Irgendwann rollt der Amtrak ein und wir lassen uns in gemütliche Sessel mit viel, viel Beinfreiheit fallen und die amerikanische Provinz schon mal probehalber an uns vorbeiziehen: New Jersey, Delaware, Maryland. Wir gucken auf die Skyline von Philadelphia und auf die RV Parks von Wilmington, suchen in Baltimore vergebens nach den Anzeichen der Gewalt, die erst 48 Stunden zurückliegt und wissen, dass dieses hier ein Pulverfass ist. Weil wir hungrig sind, kaufen wir zwei Wraps mit Turkey BLT, dazu teilen wir ein Wasser – macht fast 20 Dollar. Billig geht anders.
Endlich rollen wir in der wunderschönen Union Station von Washngton D.C. ein, latschen durch den Bahnhof, bevor wir uns in die wohl hundert Meter lange Schlange für Taxis einreihen. Das Capitol sehen wir schon mal. Besonders deutlich, weil es komplett eingerüstet ist…
Unser Taxifahrer kennt die Stadt eindeutig nur unwesentlich besser als wir, aber kurz vor sechs halten wir tatsächlich vor dem Boutiquehotel The Normandy in der Wyoming Avenue. Bis sechs gibt es Wein und Snacks complimentary, wir legen also das Gepäck ab und dann den Kopf in den Nacken: kalter Weißwein – netter Chardonnay – ist jetzt genau das Richtige, ein paar Cracker und Käsewürfel – fertig für heute. Wir sind fast zwanzig Stunden unterwegs, also fix und fertig. Aber wir freuen uns auf morgen in Washington!