Da ist er wieder, der Jetlag! Wir haben natürlich auch jeden Fehler gemacht und sind nach dem Weinchen im Hotel gegen halb acht ins Bett getaumelt, aber müde, wie wir waren, hätten wir doch, bitteschön, gern noch einen Moment länger schlafen können. Keine Chance. Um halb fünf, lange vor Morgengrauen, erkundigen wir uns online, wie unsere Nespressomaschine The Cube wirklich funktioniert, nachdem wir bereits große Teile unseres kleinen Zimmers unter Wasser gesetzt haben. Käffchen, Nachrichten, ein bisschen Quizduell und langes Trödeln.
Entgegen aller Vorsätze frühstücken wir im Hotel: Kaffee, hartgekochte Eier, bisschen Aufschnitt und Käse, natürlich Süßes in rauen Mengen – mit 12 Dollar pro Nase Standard, aber nix Besonderes. Jedenfalls mussten wir weder Bacon noch Grits abwehren – ist hier gar nicht vorgesehen. Stattdessen schnappen wir uns jeder noch einen Apfel.
Kurz nach zehn stehen wir schon einen Block südlich am Hilton: Hier startet der BigBus zu einer Sightseeing-Tour. Für zusammen 100 Dollar (!) können wir on und off hoppen, bis uns schwindelig wird. 24 Stunden lang. Insgesamt gibt es vier Strecken, wir nehmen zuerst die gelbe nach Georgetown und dann Richtung Lincoln Memorial. Das Wetter ist extrem unentschieden. Grauer Himmel, etwas sonnig dazwischen, um die 17 Grad. Wir sitzen natürlich oben und draußen und schnuppern mal ein bisschen Atmosphäre. Die Hauptstadt ist längst nicht so weltstädtisch wie etwa New York, was daran liegen mag, dass hier kein Haus höher als das Capitol gebaut werden darf. Also keine Skyscraper Schluchten, stattdessen besonders in Georgetown die Beschaulichkeit vergangener Tage. Im Bus muss man wegen der Seitenbegrünung zwar häufiger den Kopf einziehen, aber das tut dem Eindruck keinen Abbruch: Dieses Fleckchen Erde mit seiner berühmten Universität, zahlreichen denkmalgeschützen Bauten, exklusiven Boutiquen und viel Grün ist äußerst sehenswert. Jackie Kennedy ist nach dem Tod des Präsidenten hergezogen, Kissinger hat hier gewohnt und unzählige andere, prominent oder nicht, wohlhabend auf jeden Fall. Wahrscheinlich hoffen die New Yorker, mit Brooklyn etwas Ähnliches hinzubekommen, aber da sehe ich schwarz. Zuviele Bausünden sind nicht mehr rückgängig zu machen.
Kurzer Blick auf den Potomac, weiter geht’s zu den berühmtesten Sehenswürdigkeiten. Wir steigen beim Lincoln Memorial aus und wandern erst einmal los. Viele, viele Schulklassen von überall her sind ebenfalls unterwegs. Mit festtagsmässig geflochtenen Zöpfchen bestaunen die kleinen Mädchen mit uns Abraham Lincoln, während die kleinen Jungs eher herumblödeln. Langsam ist es auch wärmer geworden. The National Mall, wie dieser berühmte Teil der Hauptstadt heißt, liegt direkt in der Einflugschneise des Ronald Reagan Airports. Neben den Jets sehen und hören wir auch ständig Helikopter. beim ersten sind wir sicher, dass Obama ausgeflogen wird. Aber irgendwann glauben auch wir nicht mehr, dass es fünfzehn, zwanzig Präsidentenmaschinen gibt. Wahrscheinlich darf hier jeder Bürobote einen Hubschrauber benutzen…
Beim Denkmal für den Korea-Krieg sind wird schon ordentlich ins Schwitzen gekommen. Ein merkwürdiges Monument mit lebensgroßen Soldatenfiguren im Marsch durchs Grün. Richtung Obelisk geht es weiter, der Himmel wird grauer.
In der Ferne haben wir immer das eingerüstete Capitol vor Augen, aber das Ziel ist das Weiße Haus. Hier machen sie wirklich ernst mit den Sicherheitskontrollen. Wir sehen Autos aufs Gelände fahren, die genauestens untersucht werden. Mit Spiegeln, mit Hunden – rundum. Wir gemeines Volk kommen natürlich gerade mal bis an den Zaun, treffen dort Leute aus der ganzen Welt und hören jeden amerikanischen Dialekt. Gucken, fotografieren, abhauen.
Es beginnt zu nieseln und wir sehen uns nach dem nächsten Stop des BigBus um, den wir an einem der vielen Smithonian Institution Museen finden. Inzwischen regnet es auch im Ernst, aber der Bus lässt auf sich warten. Wir wollen die blaue Linie zum Pentagon jenseits der Stadtgrenze in Virginia, erfahren, dass heute wegen einer Sperrung rot und blau gleich sind und springen in den nächsten Bus. Zum Glück ist unten noch ein Plätzchen frei, sehr schnell erfahren wir auch, warum: Wir sitzen bei 20 Grad Außentemperatur auf der Heizung, die auf Hochtouren läuft. Sobald ein Grüppchen den Bus verlässt, wechseln wir mit hochroten Köpfen die Plätze.
Auch wenn wir vielleicht einmal eine Sekunde gefunden hatten, dass die 100 Dollar viel zu teuer sind: Sie sind es wert. Auf eigene Faust kann man unmöglich an einem Tag so viel von Washington sehen, wie wir heute. Auch sind die Erklärungen vom Band nicht schlecht. Sie werden ständig mit der Route synchronisiert, so dass meist links wirklich das liegt, was soeben angesprochen wurde.
Georgetown, die Regierungsbüros in Monumentalbauten, Museen und Avenuen, jedes geschichtsträchtige Haus, erläutert mehrsprachig über Kopfhörer. Inzwischen sitzen wir auch schon wieder auf dem Dach und sind auf dem Weg nach Arlington in Virginia, werfen einen Blick auf den berühmten Friedhof und wundern uns eigentlich nicht, dass die meisten Menschen nicht am Pentagon, sondern einen Stop später aussteigen: Bei einer Mall, in der man mal richtig shoppen kann.
Das interessiert uns überhaupt nicht, wir fahren wieder downtown. Irgendwo steigt ein Pärchen mit pinkfarbenem Kinderwagen ein. Die beiden Erwachsenen sind ebenso wie die Karre in Regenponchos gehüllt, die werden aber schnell ausgezogen. Als wir das Innere der Kinderkarre sehen, können wir uns vor Lachen kaum halten: Auf einer ebenfalls pinkfarbenen Cashmeredecke räkelt sich – ein Minihund in seinem schönsten Hauptstadt-Outfit. Mutti nimmt ihn auf den Arm, Papi klappt die Karte zusammen – und es gibt außer uns noch ein paar, die mit zuckenden Mundwinkeln ihren Augen nicht trauen…
Langsam quälen uns dennoch Hunger und Durst. Aber weil es gießt und trotz der Regenponchos von BigBus eher ungemütlich ist, wechseln wir die Linie und steigen am Dupont Circle aus. Hier wollen wir mal gucken, wo man abends essen kann. Das dürfte kein Problem werden – es reiht sich Restaurant an Restaurant.
Wir essen irgendwo ein schnelles Sandwich, trinken einen Kaffee und sind kurz nach halb sechs im Hotel. Rechtzeitig zur Happy Hour. Das ist im Normandy eine recht gemütliche Angelegenheit: an kleinen Tischen wir Schach und Backgammon gespielt, die Leute plaudern, trinken dazu einen Schluck und snacken ein paar Käsewürfel – alles täglich zwischen fünf und sechs auf Einladung des Hotels.
Nach einem Weinchen legen wir einen Moment die Füße hoch. Einschlafen streng verboten. sonst wird die Nacht wieder kurz. Also guckt Juan mal, wie er sein mobiles Wifi in Gang kriegt – und ich schreibe diese Zeilen. Draußen Regen und dunkle Wolken, das soll uns aber nicht abschrecken ! Wir werden unser Zimmerchen mit der Rundum-Dekoration in Schwarz-weiß noch einmal verlassen.
Gelandet sind wir gegen neun ein paar hundert Meter weiter am Dupont Circle bei einem Italiener namens Tomate. Jeder ein Teller Pasta in überschaubarer Portion für 15 Dollar pro Nase, dazu ein Gläschen Wein für 10. Guter Service, nette Leute, wohl alles Mexikaner. Als wir kurz vor zehn wieder auf der Strasse stehen, gehen rundherum bereits die ersten Lichter aus. In Washington geht man früh ins Bett. Nur im Buchladen Backwords ist noch die Hölle los. Das mag am guten Sortiment liegen, vielleicht aber auch an der Bar in einem Teil der Buchhandlung oder am Café im anderen. Wunderbares Konzept, hier könnte ich einziehen. Nur leider gibt es keine vernünftige Straßenkarte. Die finden wir ein Block weiter, ebenfalls auf der Connecticut Ave., bei Book-a-Million. Wir machen uns auf den Weg bergauf zum Hotel, und hinter uns ist es fast überall schon dunkel.
Es ist kurz nach halb elf. Na, Jetlag, noch Fragen?
Na, wie schön, dass Ihr nach dem Baby-Terror so relaxt wirkt. 🙂 Viel Freude Euch beiden!