Blaine Beckett. Klein, fett, schmierig, graublaue, rotgeränderte Augen, die wahrscheinlich nie geleuchtet haben, ein mit Oldtimern bedrucktes Hemd aus den 80ern, das sicherlich nie gewaschen wurde, ein lascher Händedruck, der einen schweissnassen Abdruck hinterlässt… Blaine Beckett ist hoffentlich der letzte Gebrauchtwagenhändler, mit dem wir es in nächster Zukunft zu tun haben werden. Natürlich hat er auch nichts anzubieten. Ausser seiner Geschichte: Vor siebzehn Jahren hat er aus seiner Sicht genau das gemacht, was wir hier vorhaben. Sich einen Camper ausgebaut für den Urlaub. In dem lebt er seitdem. In den Ferien mietet er sich dann mal eine Woche lang ein Haus. Nein, Blaine Beckett. Ganz falsch. Es gibt keine Parallelen.
Wir simsen noch mal mit Joy wegen des roten Grand Caravan, aber hören nichts von ihr. Morgens früh schreibe ich nochmal und bekommen innerhalb einer Minute die Antwort: Gestern um 19:30 sei jemand gekommen, der das Auto haben wollte. Er habe auch ein kleines down payment gezahlt. Sollte sich der Kauf aus irgendwelchen Gründen doch noch zerschlagen, würde sie uns noch mal kontaktieren. Wenn wir mal ganz ehrlich sind: Wir haben zu hoch gepokert und verloren. Naja. Also fangen wir mal wieder bei Null an.
Einen Kandidaten haben wir noch am Sonnabend auf Termin, ich rede mit einem Händler weit draussen in Maple Ridge, der etwas haben könnte, bei einem anderen in uptown New Westminster läuft nur ein Anrufbeantworter. Zwischendurch verhandeln wir noch mit einem Traveller, der sein Gefährt gerade feilbietet. Nur hat der Doofmann vergessen zu erwähnen, dass die Kiste erst Ende Mai übergeben wird. Wir sind ziemlich niedergeschlagen. Juan entdeckt noch einen Grand Caravan in North Vancouver, der heute morgen erst online gegangen ist. Fangen wir mit dem mal an, Wenn’s wieder nur Schrott ist, haben wir wenigstens mal einen neuen Blickwinkel auf die Stadt vom gegenüberliegenden Ufer.
Also rufe ich eine freundliche Person an, die sich als Joey vorstellt. Klar, wir könnten gern vorbeikommen, Any time. Ach? Wir verabreden uns für halb eins. Auf dem Weg nach North Vancouver besprechen wir, dass ich Juan vorstellen und erklären werde, dass er zwar jedes Wort versteht, aber wenig Englisch spricht. Wir klingeln Joey aus seinem Haus, einen gepflegten Herrn in seinen frühen Fünfzigern, würde ich mal schätzen. Artig stelle ich vor mit entsprechendem Beisatz. Welche Sprache der Meine denn hauptsächlich sprechen würde. Wie? Spanisch! Que bueno! Joey heisst Gerardo, kommt aus Mexiko, lebt mit Familie seit über 20 Jahren in Kanada. Joey würde er sich nur nennen, weil die Leute seinen Namen hier nicht aussprechen könnten. Wir kommen nicht nur ins Plaudern, sondern machen mit dem roten Grand Caravan auch eine Probefahrt. Gerardo hat einen nagelneuen BMW, seine Frau fährt Audi, die Tochter Jeep. Die grosse Kiste hat er gekauft, um mit Besuch aus Mexiko eine Kanadarundreise zu machen. Insgesamt sieben Leute, davon vier Kinder. Man wollte gern in nur einem Auto unterwegs sein. Gerardo kann rechnen: ein Mietwagen wäre teurer gewesen. Das entspricht ja auch unserem Reisemodell. So, und nun fahren wir drei ein Stück über den Highway, durch North Vancouver und wieder zurück. Das Auto macht einen guten Eindruck, die Papiere sind, wie es aussieht, in Ordnung. Wir bitten uns ein bisschen Bedenkzeit aus, während Gerardo wegen des Regens schnell in sein Haus zurückläuft. Wir sitzen gegenüber in unserem Corolla mit Blick auf den Grand Caravan, überlegen und entscheiden: das wird unserer. Das freut Gerardo, das freut auch uns. Beim Preis gibt es noch einen kleinen Spielraum, den nutzen wir aus.
Dieses Internet, von dem man so viel hört :-), ist ja wirklich etwas Feines. Denn dem haben wir entnommen, dass man zum Autokauf in Kanada am besten einen Freistellungsbescheid seiner heimischen Versicherung mitbringt. Ein Tipp, der die horrend teure Prämie um 35 Prozent senken wird. Die Autoanmeldung in Kanada ist keine Gehirnchirurgie. Es gibt nur eine einzige Versicherung, die überall identische Konditionen anbietet. Und unfassbar viele Agenten. Manchmal in Apotheken, dann wieder in Supermärkten, auf Malls – praktisch überall.
Wir verabreden uns mit unserem neuen Freund für den frühen Nachmittag, holen die Kohle, die wir vorsorglich schon mal aus Automaten gebunkert hatten, weil es Tageslimits auf Kreditkarten gibt. Viele bunte Scheine wechseln den Besitzer, an einem Tresen in der nächsten Mall wird das Auto in zwingender Anwesenheit des Verkäufers angemeldet, die Steuerpflicht (120 Dollar pro 1000 Dollar Kaufpreis) erfüllt, es gibt neue Kennzeichen und eine fast unerträglich hohe Rechnung. Für die hohen Versicherungskosten ist Kanada berüchtigt, wir sparen jedoch mehrere hundert Dollar durch den Schrieb der HUK, weitere durch die Einmal-Zahlung des Jahresbetrages. Wenn wir früher aussteigen, ist das kein Problem. 35 Dollar Bearbeitungsgebühr, der Rest wird zurück überwiesen. Nun sind wir zu einem Kurs von rund 160 Dollar/Monat gut versichert, abgebrannt und fröhlich. Neue Kennzeichen findet die Fachkraft in einer Wühlschublade. Weil unsere deutschen Mobilnummern nicht in ihr Anmeldeformular passen, schreibt sie irgendeine hinein. You care? Not at all…
In rund zwanzig Minuten ist alles erledigt. Gerardo entpuppt sich als wahrer Schatz. Da ich Jammerlappen keine Lust habe, mich durch die rush hour von Vancouver zu quälen, fahren Juan und ich mit dem Mietwagen zum Airport, werfen den Corolla ab, klettern in den Sky Train, der in Wirklichkeit viel mehr eine U-Bahn ist, fahren bis zum Hafen und setzen dort mit der Fähre nach North Vancouver über. Und da wartet schon unser mexikanischer Freund, der uns zu unserem neuen Auto zurückfährt. Die neuen Nummernschilder har er auch schon angeschraubt. Das muss man nicht machen. Aber er ist wirklich sehr, sehr nett!
Es gibt so Dinge, die man auf gar keinen Fall mehr macht, wenn man deutlich über 18 ist. Dazu gehört die alberne Vergabe eines Names ans eigene Autos. Lächerlich! Kindisch! Brunstblöd. Also unser heisst nun Rosie…
très chic. Bon voyage!
wollen mal hoffen, dass sie sich auch benimmt!
Mir kommt da immer „Whole lotta Rosie“ in den Sinn. Träller
Sind wir nicht alle ein bisschen AC/DC?
https://youtu.be/QMvE0yFnR0I