Schwarze Wolken überm Baltikum

FAD9ABEC-DF45-43F2-BCEA-0DD6D16D60E7
Übers Wetter können wir uns wirklich nicht beschweren: Seit fast sechs Wochen begleiten uns Sonnenschein und sommerliche Temperaturen. Heute könnte das kippen.

 

Weil die Wahrscheinlichkeit gering ist, jemals wieder nach Tartu zu kommen, sehen wir uns bei blauem Himmel und 14 Grad noch ein bisschen um. Im Gedächtnis bleibt vielleicht die mächtige, alte Universität; die moderne Innenstadt mit ihren Macdonalds, Zaras, H&Ms & Co verwischt sich schon beim Durchfahren. 

 

Hinaus aus Estlands zweitgrößter Stadt geht es bei dunkel aufziehenden Wolken Richtung Süden. Wir sind ziemlich sicher: Kaum ein Este ist in diesem Land so rumgekommen wie wir! Als der erste Regen einsetzt, sind wir auf irgendeiner Ruckelpiste unterwegs, die uns in einen Nationalpark südlich von Vöru führt. Unseren Deal – wer was zahlt, wenn er den ersten Bären, Elch oder sonstwas sieht – haben wir ausgesetzt. Prompt treffen wir auf eine Handvoll Mönchskraniche, später auf die ersten Rehe seit Winsen/Luhe. Inzwischen verdichtet sich aber unser Verdacht, dass die Störche all die großen Tiere weggefressen haben… So viele wohlgenährte, selbstbewusste Störche… Naja, Theorien unter dunklem Hinmel. 

 

Der Nationalpark besteht aus dichten Wäldern, winzigen Ansiedlungen und vielen Störchen. Egal, wohin man guckt – sie sind schon da. Selbst dichter Regen hält sie nicht davon ab, direkt wie Tramper an der Straße zu verweilen. Bald nach einer wie aus einer Märchenwelt erscheinenden orthodoxen Kirche verlassen wir diese einsame Gegend Estlands und tauchen ein in eine einsame Gegend Lettlands.

 

Orte wie Alüksne und Gülbene liegen auf unserem Weg. So langsam machen wir uns auch Gedanken, wo wir schlafen werden. Und da ist es wieder, das baltische Problem: die Infrastruktur ist dünn. Mit Glück gibt es mal an einer Tanke (hier ist das Benzin mit 1,15 zehn Cent günstiger als in Estland) einen Kaffee, sonst absolut nichts. Keine Kneipe, kaum Café, kein Restaurant. Und kein Hotel. Wir setzen Hoffnung auf Madona, doch auch das ist der reine Graus. Nichts zu machen, also weiter. Tiefschwarze Wollen und intensive Sommergüsse begleiten uns auf dem Weg nach Südwesten. Jekabpils ist auch so ein Kaff zum vergessen. Zwar bejubelt sich der Ort gerade mit einer 350-Jahr-Feier – zum Hotel hat es allerdings nicht gereicht. 

 

Langsam sind wir etwas genervt, denn die Strecken ziehen sich, die Straßen wechseln ab zwischen Asphalt und Schotter. Ein Hotel, das wir im Auge haben, arbeitet wegen Corona nur mit Viertelkraft und ohne Restaurant. Ganz schlecht. 

 

Hinter dem gottverlassenen Nest Akniste rutschen wir auf Schotter aber unter einem Regenbogen über die Grenze nach Litauen nach Juodope. Hilft alles nichts: Weiter. Benzin kostet hier 1,01, aber dafür gibt es keinen Kaffee.

In Panevezys, der nächst größeren Stadt, gibt es Hotels. Sicher. Vorsichtshalber buchen wir schon mal das letzte Zimmer im Hotel Smelyne. Die haben auch was zu beißen. Mit letztem Nerv rollen wir dort gegen sieben auf den Hof. Natürlich gießt es in Strömen. Warum sollte es uns verblüffen, dass das Restaurant geschlossen ist… Nur fünf Minuten zu Fuß, da soll es ein Restaurant… Quatsch: Wir checken kurz ein, nehmen mit knurrendem Magen das Auto, verfahren uns in unzaehligen Baustellen und halten schließlich vor einem miesen Einkaufscentrum. Und siehe da: Es versöhnt uns im einzigen Restaurant ein bisschen mit sehr guten Pelmeni, Huhn und Salat zum gut gekühlten Bier. Damit war heute kaum noch zu rechnen.

 

Da das Hotel ausschließlich über Smart TV verfügt (gaga, einfach gaga) loggen wir uns bei Netflix ein und schaffen gerade noch eine Folge „Better call Saul“.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen