Der Robert Service Campground (purer Zufall, dass ich von der Existenz des Dichters Wind bekommen habe; ich dachte bisher, der Name des Platzes sei Robert. Und Service eben wie in Dusche, Laundry etc.) ist so ähnlich wie Whitehorse: relativ farblos und wohl auch ziemlich unbedeutend. Der beeindruckendste Superlativ: der Ort ist nur 90 Tage im Jahr frostfrei. Welch Glück, dass heute so ein Tag ist.
Wir sind früh auf den Beinen, obwohl wir gestern Abend fast bis Mitternacht bei Tageslicht draussen gesessen haben. Wir sind ungefähr auf dem Breitengrad von Bergen – es bleibt dieser Tage fast rund um die Uhr hell. Kaffee von der Tankstelle und on the road again. Vor uns liegen rund 550 Kilometer bis Dawson City, zum legendären Goldgräberort am Klondike.
Wären nicht hier und da ein paar Seen, wäre die Tour relativ langweilig. Die Strassenverhältnisse sind teilweise fürchterlich, dicke Schlaglöcher müssen ständig umfahren werden.
Die Fauna lässt uns komplett im Stich. Ein paar mickrige Polarhörnchen, zwei Schwäne (!), kaum mehr.
Dafür sind die Menschen wieder bemerkenswert. In Carmacks machen wir eine Frühstückspause. Ausser uns ist nur ein einziger, schmuddeliger Gast da, der wahrscheinlich von Calamite Jane träumt, Buck heisst (erlauscht) und gerade keinen Job hat. Es hellt seine Stimmung nicht auf, dass sich gerade eine junge Frau bewirbt, die auf Zuruf hier arbeiten soll und dafür 15 Dollar die Stunde bekommt. Hier Arbeit zu finden ist sicher schwerer als ein Lottogewinn: Wir befinden uns zwar auf dem Klondike Highway, doch der führt durch the middle of nowhere.
Umso properer ist das Ömchen, das die Tankstelle hütet und uns einen Liter Öl in Stewart Crossing verkauft. Stewart, Pelly – riesige Flüsse, von denen wir nie gehört haben.
Es zieht uns weiter und weiter wie die Goldsucher um 1900. Nur, dass wir wesentlich bequemer in Dawson City einreiten. Hier gibt es aus Prinzip keinen Asphalt, die Strassen matschen bei Regen richtig durch, über Holzstege kommt man von Haus zu Haus. Das nennt man mal ein PR-Konzept! Rund 2000 Menschen leben in diesem Museumsdorf, im Sommer vervialfacht sich das Publikum. Zur Blütezeit des Goldrausches hat es unvorstellbare 100 000 Menschen hierher verschlagen. Wir möchten gar nicht genau wissen, wieviele Tragödien sich unter ihnen abgespielt haben..
Wir zuckeln auf den Gold rush Campingplatz, stellen Rosie für 27 Dollar ohne Wasser und Strom ordentlich ab. Unsere Nachbarn, ungefähr in unserem Alter, sind mit Labradorhündin Sadie im relativ kompakten Wohnmobil aus Vancouver unterwegs. Ihre erste Saison in so einem Schlachtschiff, in dem man aufrecht stehen kann: Bisher war’s viele Jahre ein VW Westfalia. Nach Alaska fahren sie nicht, weil sie den Amis nicht einen Dollar in den Rachen werfen wollen. Diese Politik sei nun wirklich das Letzte. Und dann noch die dämlichen Amerikaner, die an der kanadischen Grenze heulen, weil sie ihre Waffen abgeben müssen. Keine Bildung, keine Kultur diese Bande. Den Trump haben sie sich selbst zuzuschreiben. Die beiden sind richtig bedient von den USA. Wir hatten – und haben – ja auch unsere Zweifel. Aber wir werden uns Alaska trotzdem ansehen. Mal sehen, wie es dann weitergeht.
Erst einmal sind wir in Dawson. Wir gehen durch die wenigen Strassen, die inzwischen auch wieder leer sind. Bei der Einfahrt in den Ort standen fürchterlich viele Menschen am Yukon. Volksfeststimmung mit Polizei und Feuerwehr. Hintergrund: die kanadische Luftwaffe ist on tour und zeigt dem staunenden Publikum seine Flugkünste. Mir nicht, denn spätestens seit Ramstein bin ich mit dem Thema durch.
Womit wir überhaupt nicht gerechnet haben: Es ist richtig, richtig heiss hier oben im Norden, 200 km vom Polarkreis und 100 von Alaska entfernt.
In der „Stadt“ landen wir im Saloon, essen von Hähnchen und Lasagne höchstens ein Drittel (wer kann so viel essen?) und sind ziemlich erschöpft von der langen Reise. Es sammeln sich bei lauter Klaviermusik (Hinnis, Ohren zu!) immer mehr Menschen im Saloon, schmettern die Evergreens mit und steppen im Takt. Bevor es zur grossen Attraktion, dem Sour Toe kommt, hauen wir ab: für 5 Dollar kann man einen Schnaps trinken, in den ein abgehackter Zeh eingelegt ist. Der Überlieferung nach haben sich die Goldgräber so bei Kräften gehalten. Aber wir sind ja nicht nur nicht schwach, sondern auch nicht schwachsinnig. Prost, Ihr Helden! Pinnt Euer Sour Toe Zertifikat zuhause ins Wohnzimmer und erzählt allen, was für harte Typen Ihr seid…
Noch ein bisschen Klappstuhl neben Rosie auf dem Campingplatz, dann war’s das für heute.