Theoretisch hätten wir länger schlafen müssen, aber daraus ist dann wieder nichts geworden. Ein, zwei Tage vielleicht noch, dann haben wir den Rhythmus.
Dafür sitzen wir dann auch schon um neun im Bus, grüne Linie. Unser 24-Stunden-Ticket ist noch benutzbar, also werfen wir einen Blick auf die Kathedrale. Das Wetter ist mies. Grau, regnerisch, vor allem kalt. Auf dem Dach des Buses, das wir uns nur mit zwei Franzosen teilen, ist es zugig. Trotzdem eine schöne Tour. Die Kathedrale ist riesig, und heute ist offenbar Kindertag. Von allen Seiten strömen Zwerge in die Kirche, die in einem der besten Viertel der Stadt liegt. Hier gibt es die berühmten Privatschulen, die viel Prominenz hervorgebracht haben, hier wohnt das diplomatische Corps. Wo es arbeitet, sehen wir ein paar Ecken weiter. Auf der Embassy Row liegt nicht nur das Observatorium mit der einzig gültigen Uhrzeit der Stadt, hier reihen sich auch Botschaften an Botschaften. Vor der britischen Botschaft zeigt Churchill das Victory-Zeichen, auch andere Botschaften demonstrieren ihre Kulturschätze entsprechend. Prunk und Protz – jede der über 190 Vertretungen will offenbar in D.C. mal zeigen, was sie sich leisten kann. Wir kommen aus dem Staunen nicht heraus…
Heute ist zwar der 1. Mai und wir lesen, dass in Hamburg und Berlin kräftig randaliert wird, aber in den USA bekommt man davon nichts mit: Die haben ihren Labor Day, das muss reichen. Es gibt nicht einmal einen 1 May Sale – schon dadurch wird klar, dass das hier nur ein Datum ist.
Inzwischen frieren wir richtig, das hindert uns aber nicht daran, beim Hilton in den nächsten Bus, gelbe Linie, zu springen, um nach Georgetown zu fahren. Hier wollen wir uns mal ein bisschen umsehen. Daraus wird ein stundenlanger Spaziergang durch eines der entzückendsten Viertel, die man sich vorstellen kann. Tatsächlich haben Denkmalschützer hier viel erreicht: Tolle Häuser sind liebevoll renoviert, neben sehr eleganten Town Houses immer mal wieder eine Villa. Das Ganze farbenprächtig, denn jetzt im Frühjahr blüht es hier trotz des lausigen Wetters. Viel Pink, viel Weiß in den Gärten, gediegene Pracht an den Häuschen. Wir laufen die gesamte P Street rauf und runter, vorbei an dem Haus, das einmal Henry Kissinger bewohnt hat. Es gibt eine kleine Geschichte, dass er sich eines Abends in den kleinen Straßen von Georgetown verirrt hatte und von einem Polizisten nach Hause gebracht werden musste: „Ich kenne mich hier nicht aus“, soll er gesagt haben. „Entweder fahre ich mit meinem Chauffeur oder ich gehe mit dem Hund spazieren. Beide kennen den Weg zu mir nach Hause.“
Wir sind wie betäubt von der Schönheit der Häuser und Straßen, vom frischen Grün und den wenigen Menschen, die hier herumlaufen. Außerdem haben wir noch nicht gefrühstückt. Wir beschließen einen kleinen Lunch und gehen zum Port of Washington runter an den Potomac. Das Hafengebiet ist bestens und elegant ausgebaut, gefällt uns gut. Schöne Hotels und Apartments, Boutiquen und Restaurants. Das unsere wird betrieben von der Gemeinschaft der Farmer von North Dakota. Alles frisch, ein leckerer Burger, ein feines Sandwich, dazu Wasser. Und vor allem die Möglichkeit, uns ein bisschen aufzuwärmen. Hier könnte man prima den ganzen Tag verdödeln, aber die Neugier treibt uns wieder auf die Straße.
Wir überlegen, woher wir ein Fleece oder so bekommen, damit wir uns nicht erkälten. Wieder geht es kreuz und quer durch Georgetown. Bei Patagonia ist es zu teuer, vor allem aber gibt es fast nirgendwo etwas Wärmeres. Hier setzen alle auf Sommer. Erstaunlicherweise sieht man das auch auf der Straße. Männer im Hemd mit kurzen Ärmeln, Mädels ohne Strümpfe mit kurzen Kleidchen zu Flipflops. Wie halten die das aus? Was nehmen die? Wir frieren!
Ein paar Stunden später wird es etwas wärmer. Wir haben nichts gekauft, müssen also auch nichts schleppen. Außer uns ins Hotel. Viele, viele Kilometer liegen hinter uns. Aber es war eine echte Augenweide, durch Georgetown zu wandern. Das Weiße Haus, Capitol und Pentagon – alles fein, aber es reicht, das einmal gesehen zu haben. Uns fehlt die Zeit für die Smithonian Museen, macht aber nichts: ein anderes Mal. Wir machen eine Pause am Dupont Circle in einem der unzähligen Starbucks Cafés und steuern danach das Normandy an.
Kaum sind wir im Hotel, ist Juan auch schon wieder online: Wir haben ein mobiles Internet von Huawei und eine prepaid Datenkarte für die USA. Die Hardware funktioniert problemlos, es gibt nur eine Macke: Wir sind nicht online… Rückantwort vom Kartenprovider hilft auch nicht: Alles, was Juan tun soll, hat er schon längst getan. Man(n) ist mürrisch. Aber Juan gibt in solchen Fällen nicht auf. Ich hätte längst Karte und Kistchen in die Tonne geworfen, Juan versucht. Und versucht. Seit Ankunft in Washington nervt es ihn zusehends, dass das alles nicht klappt. Er probiert neue Einstellungen, flucht, ist sauer – und endlich die Erlösung: Die Mistkiste ist online, wir können also hoffentlich künftig auch vom Auto aus ins Internet, um zu sehen, wo wir sind und was wir dort wollen. Es gibt einen Grund zu feiern: Also trinken wir erst mal einen Happy Hour Wein im Hotel, dann sehen wir weiter.
Aber nicht lange. Es fehlt die Energie, noch großartig loszugehen, also werden wir wohl zuhause bleiben. Morgen wird es dann ja spannend. Erst das Auto an der Union Station schnappen, dann ab in die Wildnis. Apalachen, here we come!