Federico – 80. Geburtstag

Es  blitzt und donnert, regnet und stürmt, die Temperatur fällt von 25 auf 10 Grad. So ungemütlich sich Buenos Aires gerade zeigt, so gemütlich war gestern der Anlass, zu dem wir diesmal an den Rio de la Plata gekommen sind: als Überraschungsgäste zum 80. Geburtstag von Federico.

 

Eingeweiht waren nur Soledad, eine seiner vier Töchter und Organisatorin des Festes, und Ana, die Schwester vom Geburtstagskind und von Juan Carlos. Die liegt leider mit einer komplizierten Lungengeschichte isoliert im Krankenhaus und ist untröstlich, das Fest und uns zu versäumen.

 

Wir wohnen in Cañitas, einem behüteten Viertel mit viel Polizeipräsenz, ordentlich entsorgtem Müll und nur wenigen Stolpersteinen auf den Gehwegen. Und nun fahren wir in einen nicht ganz so eleganten Vorort,  haben ungefähr eine Stunde Weg zum Sportzentrum, in dem die Schwestern Marina, Soledad, Juliana und Ines einen kahlen Raum für 80 Personen gemietet haben.

 

Wir wissen nicht viel, sind also sehr gespannt, was da wieder auf uns zukommen wird. Ich klammere mich im Zug an mein Täschchen, bin etwas hysterisch wegen all der Warnungen vor bösem Volk. Um mich herum überall Menschen über Handys gebeugt, Taschen vor und neben sich. Natürlich sollte man nicht aufhören aufzupassen, sich aber auch nicht verrückt machen. Also lockere ich den Griff am Täschchen und verfolge die zahlreichen Verkäufer, die überwiegend Süsses verkaufen, um wenigstens ein paar Pesos zu verdienen. Für die Zugfahrt zahlen wir übrigens nichts – Senioren reisen am Wochenende gratis.

 

Im Bahnhof von Ballester fällt mein olles Auge sofort auf einen vollbärtigen Mann auf dem Bahnsteig. Emilio! Ich kenne Willis Sohn und Juans Neffen eigentlich nur von Facebook, erkenne ihn aber sofort – und umgekehrt. Wir fallen uns in die Arme wie dickste Freunde und warten noch einen Moment auf Ana Paola, die mit Mann Carlos und Sohn Oliver aus San Pedro angereist ist. Der Fünfjährige kann kaum die Augen aufhalten, ist mit seiner Familie seit 4:30 auf den Beinen, wird aber bald wieder munter. Es kommen auch noch Victoria uns ihr kolumbianischer Mann Sebastian an – Familie San Pedro fast komplett. Natürlich waren sie alle verblüfft, uns aufzugabeln, aber damit ausgesprochen fröhlich.

 

Unsere kleine Truppe nähert sich dem Ort des Geschehens. Was das wohl wieder wird? Als Erste reisst Ines bei unserem Anblick verblüfft die Augen auf, dann sind wir auch schon im Festsaal.

 

Federico, wie immer verspätet und erst Minuten vor uns angekommen, dreht uns den Rücken zu, als wir ihn entdecken. Dann sieht er uns und ist fassungslos, fröhlich, glücklich. Alles zugleich, denn er hatte wirklich keine Ahnung. Der eine Bruder gestorben, die Schwester in der Klinik, der andere Bruder weit, weit weg… Was für ein Geburtstagsfest für einen Mann, dem Familie über alles geht. Umso fröhlicher das Zusammentreffen.

 

Wir werden an einen Tisch mit Irene, Willis Witwe und Mutter seiner drei Kinder Emilio, Ana Paola und Victoria gesetzt. Irene ist mit ihrem Enkel Oliver völlig aus dem Häuschen. Natürlich ist der Knirps ein Genie, kann schon alles, weiss schon alles. So viele Menschen, so viele Namen, so viele Gesichter. Ausserdem dabei Miguel, Teresas Bruder, und vor allem Sofia, ein winziges Persönchen von 95 Jahren mit blitzenden Augen, geradem Kreuz und unbändiger Lust auf ein Glas Wein. Ich könnte sie auf der Stelle klauen!

 

Es wird geherzt und geküsst, wildfremde Menschen fallen uns um dem Hals. Erst als Soledad und Marina einen grandiosen Tangosänger ankündigen, kehrt erwas Ruhe im lärmenden Publikum ein. Ich kann mich ein bisschen umsehen.

 

Die wirtschaftliche Situation der Familie ist nicht unbedingt rosig bei turbulenten Inflationszahlen und ständigem Ab des Wohlstandes, trotzdem haben die vier Frauen für ihren Vater ein tolles Fest auf die Beine gestellt. Geschirr und Gläser geliehen, die kahlen Wände mit Ballons und Girlanden dekoriert, eine Schautafel mit Stationen des Lebens des Geburtstagskindes gebastelt. Ein Catering sorgt für pizzaähnliche Häppchen, Wein und Wasser und die allseits präsente Coca Cola. Der Tangosänger und sein Gitarrist sind grossartig, ebenso die Stimmen von Marina und Soledad, die beide Tangokonzerte als Sängerinnen geben. Irene lächelt verschmitzt in sich hinein und summt jeden Takt mit.

Juristin Marina lebt mit Ignacio, ihrem 18jährigen Adoptivsohn, knapp 1000 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, Soledad wie ihre beiden anderen Schwestern in Buenos Aires. Nach jeweils abgeschlossenem Marketing- und  Architekturstudium in London hat sie sich gerade in einem dritten Fach graduiert, ist jetzt, mit 50, geprüfte Stadtführerin mit überwiegend amerikanischen Touristen. Es gibt hier viele Karrieren, die unterschiedlichste Wege gehen.

 

Heute gibt es nur einen Weg, der führt immer wieder zu Federico, der sich sonnt in der Aufmerksamkeit, unter den wachen Augen seiner Frau Teresa nur am Malbec nippt, dafür aber einen Tango singt und ein Tänzchen dreht. Was wird hier geschnattert! Juan Carlos ist vielen noch bekannt, einige haben ihn das letzte Mal vor 20 Jahren ebenfalls auf dem Geburtstag des älteren Bruders getroffen, andere viel gehört von ihm und seiner exotischen (…) Frau. Ich lerne Menschen kennen, die mir aus ihrem Leben erzählen oder sich einfach nur über die Party freuen, habe im Augenwinkel immer die 95-jährige, die bestgelaunt ebenfalls mit Gott und der Welt plappert. Es ist ein schönes Fest!

 

Nach drei, vier Stunden und einem tollen Brötchen mit flambiertem Schweinebraten verabschieden sich die erste  Gäste, langsam wird es ruhiger. Während wir noch links, rechts, vorn und hinten schnacken, bauen die vier Schwestern und ihre Cousins und Cousinen die Dekoration ab, räumen Geschirr, Gläser,  Blümchen und handbemalte Vasen aus alten Konservendosen zusammen, trinken erschöpft einen Wein oder eine Cola. Sie haben sich enorm angestrengt – und ihr Vater ist glücklich. Als alles zusammengestellt ist, bleibt ein schmuckloser Raum, in dem wir einige Stunden ungeheurer Herzlichkeit, familiären Zusammenhalt und hinreissende Lebensfreude erleben durften.

 

Wir sitzen im Zug zurück und freuen uns, dass wir die Reise über den Atlantik gemacht haben. Hat sich absolut gelohnt. Zuhause in unserem Apartment sitzen wir  in aller Ruhe einfach nur ein wenig rum, teilen Fotos und Filmchen mit Ana im Krankenhaus und unseren Süssen zu Haus. Der turbulente Tag klingt bei einem Bierchen und Choripan, einem Grillwürstchen im Brötchen im La Azulada, eine Ecke von unserem Apartment unter den wachen Augen der Polizeistreifen, aus.

 

 

2 Kommentare zu „Federico – 80. Geburtstag“

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