Ab in den Urwald

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Gut erholt, fast wieder topfit und bester Laune beschliessen wir nach dem Frühstück einen Ausflug in den Soomaa Nationalpark, ungefähr 40 km östlich von Pärnu. 

 

Irgendwo online war zu lesen, dass der Eintritt in das erst 1993 gegründete Schutzgebiet großer Moore, Wälder und Auen 30 Euro pro Nase kosten würde. Das ist für Estland richtig teuer. Bevor irgendeine Entscheidung getroffen wird, tasten wir uns mal ran ans Grüne. An der Abbiegung zum Nationalpark werden wir von einem Hamburger Wohnmobil überholt, wenig später kommt uns eine Hamburger SUV mit Dachzelt entgegen. Sonst erst einmal niemand. Was ist denn hier los?

 

Keine Aufklärung zu unserem putzigen Dreier. Auch keine Aufklärung  zu den Modalitäten des Parks. Die barfüßige Dame an der tourist information in Turi spricht keine Sprache außer Estnisch, drückt mir einen Plan in die Hand und wohl auch die Daumen.

 

Im Park kann wandern, wer will, sogar mit Moorschuhen, die Schneeschuhen ähneln, übers Feuchte platschen. Man kann Kanu fahren, campen, es einfach nur alles schön finden. Wir entscheiden uns fürs Letztere.

 

Die Vereinbarung, dass derjenige von uns, der dem anderen einen Elch zeigt, 100 Euro bekommt, steht. Für einen Braunbären müsste man noch einen Hunni drauflegen. Für Störche gibt es 50 Cents, aber wegen der Vielzahl der Vögel geben wir schnell auf. Ein Hirsch wurde 75 Euro bringen, ein Reh 50, ein Hase noch 20. Aber so sehr wir die Augen auch schweifen lassen: nichts. Doch: ein Adler und ein schwebender Uhu – beide nicht auf unserer Liste. Also keine Geschäfte mit wilden Tieren zu machen. Die beiden Waschbären, die vor uns auf der Schotterstrasse spielen, sehen wir gleichzeitig – pari.

 

In paar Stunden treiben wir uns im und um den Nationalpark herum, bestaunen undurchdringliches Dickicht, feuchte Furten und surrende Insekten. Den Ausstieg aus dem Auto sollte man sich mehrfach überlegen. Autan und Anti-Brumm – den Mücken hier piepe; sie stechen munter drauflos.

 

Mindestens 90 Prozent der Strassen im Park sind Schotterpisten, die Seitenwege Treckerpfade. Ganz selten kommt uns mal jemand entgegen und hüllt je nach Temperament in eine dünnere oder dickere Staubschicht. Einige sind rücksichtslos – aber mehr als zwölf inklusive der beiden Hamburger haben wir unterwegs sowieso nicht getroffen.

 

So unberührt der Nationalpark bleibt, so aktiv wird rundherum Landwirtschaft betrieben: Viel Weizen, Mais, Roggen, auch Kartoffeln und Kohl. Zu jedem Haus gehört ein großer Gemüsegarten. Offenbar planen die Leute hier möglichst autark zu bleiben, denn im Winter gibt es keine Straßen mehr. Und in der „fünften Jahreszeit“, wenn die Schneeschmelze  den ganzen Nationalpark überflutet, muss man alles auf Vorrat haben. Da wird aus Soomaa ein enorm großes Seengebiet, dem Paddler magische Kräfte zuschreiben. Trotz der heutigen fast 30 Grad bei gleißendem Sonnenlicht kann man sich ein bisschen von dem vorstellen, was hier mit der Natur geschieht.

 

Da wir ja für Wildsichtungen keinen Cent ausgegeben haben (…) und der Park kostenlos war, können wir ja ein bisschen prassen. In tiefster Einöde sinnieren wir von einer Bar am Meer, in der zu eiskaltem Chardonnay vielleicht ein paar Krabben oder so serviert werden.

 

Beflügelt von diesen kulinarischen Gelüsten fahren wir nördlich des Flusses Pärnu zurück in den Ort, cruisen direkt in Richtung Strand. Voll! Alles voll! Tausende sind dicht gedrängt unterwegs, Parkplätze zu. Da wir zu Coronazeiten weiterhin unter anderem Abstand halten, ist das hier überhaupt nichts für uns. Also in die Stadt. Ähnliches Bild, weil durch einen Flohmarkt auch noch wichtige Straßen gesperrt wurden. Natürlich reizt uns der Markt, aber… Kommt nicht infrage.

 

Stattdessen ein ganz anderer Plan: Zuhause wird das enorm staubige Auto vorm Hotel geparkt. Im „Maxima“-Supermarkt gegenüber kaufen wir ein paar nette Sachen und einen guten Chardonnay ein – house party. Eis fürs Weinchen muss noch her. Einem Maxima-Mitarbeiter halte ich die google-Übersetzung von Eiswürfel ins Estnische vor die Nase und verstehe, dass er nur russisch spricht. Schnell geändert im Translator. Nun soll ich es ihm vorlesen. Aha: der Mann kann nicht lesen und ist auch noch ein bisschen taub. Vielleicht ist ihm der Wunsch der bekloppten Ausländer auch zu irre, als dass sein Hirn ihm folgen könnte. Da warmer Chardonnay einen klaren Ähbäh-Faktor hat, versuch ich’s mal bei Hesburger. Wer Macdonald kopiert, serviert kalte Drinks. Das Mädchen hinter der Sicherheitsscheibe wird knallrot und es ist ihm ganz offenbar peinlich, dass es für einen Becher Eiswürfel 25 Cent verlangen muss. Ich hätte es am liebsten in den Arm genommen, so berappe ich aus dem Ersparten den Vierteleuro.

 

In unserer glücklicherweise eher großzügigen Unterkunft gibt es zu eiskaltem Chardonnay je eine Bemme mit Huhn und Salami. Für spätere Fressanfälle hätten wir noch Karottensalat, Schokoladenpudding und ein Butterbrot. We stay home.

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