Nach dem Frühstück sieht’s auf dem Küchentisch aus wie zuhause bei der Vorbereitung der Steuererklärung: Papier, soweit das Auge reicht, mehr oder minder zu Stapeln sortiert. Wir suchen ein Auto. Einen fahrbaren Untersatz, in dem man auch schlafen und Dosenravioli heiss machen kann und der ohne gross zu zucken irgendwas zwischen fünf- (Witz) und fünfundzwanzigtausend Kilometer schafft.
Die Ausdrucke haben wir aus Hamburg mitgebracht: Dodge Rams, Savannas, Chevrolet Astros – sowas eben, das ungefähr der Grösse eines VW-Busses oder Mercedes Vito entspricht, Angebote aus Craigslist, Kijiji und sonstwo her. Bullis fallen flach, weil die hier preislich nicht alle Tassen im Schrank haben: 20 000, 30 000 für klapprige Rostlauben, weil es sooooo schick ist, wie einst Dad unterwegs nach Kalifornien zu sein. Oder auch wie Granny bekifften Blickes ab zum Meer. Da wir ja weite Teile der echten Hippiezeit selbst erlebt haben, müssen wir uns so einen Tort nicht antun.
In der Küche wird erst einmal herumtelefoniert. Verkauft, niemand da, keine Ahnung… Die Stapel nehmen Form an. Sortiert wird ausserdem grob nach Richtung, damit wir nicht von A nach B nach C nach A nach C fahren. Wir haben Adressen in Vancouver, aber auch in angrenzenden Städten wie Surrey, Burnaby, Delta, Coquitlam, Richmond… Na, dann mal los.
Erster Stop Richtung downtown Vancouver. Paul betreibt hier den Handel mit dem schönen Namen cars for cash. Entweder hat er eine Kiste verkauft oder weiss, dass es heute wieder so ein Tag ohne Umsatz wird. Paul ist nicht da. Der Savanna, auf den wir es hier abgesehen haben, auch nicht. Der Chinese, der als einziger arbeitet, hat keine Ahnung und findet das Fahrzeug unter den vorhandenen 20 ebnso wenig wie wir. Also ruft er Paul an, stellt dazu auf Lautsprecher: Kein Anschluss unter dieser Nummer… Um zu beweisen, dass er sich nicht verwählt hat, überreicht er nach chinesischer Art beidhändig und mit leichter Verbeugung Pauls Karte. Ich nehme sie nach chinesischer Art beidhändig an, studiere sie gewissenhaft, verbeuge mich leicht. Ist zwar völliger Quatsch, aber vielleicht wollen wir es ja selbst mal versuchen? Och, nö… Aber wir wollen dem kleinen Chinesen ja nicht wehtun. An der Strasse sind noch ein paar Gebrauchtwagenbuden, aber niemand hat ein Auto, das wir gut finden. Für den Notfall haben wir immer noch einen Dodge Grand Caravan auf dem Zettel. Die gibt es hier reichlich.
Weiter geht’s erst quer durch die Stadt, dann über den Transcanada Highway Nr. 1 Richtung Burnaby und Coquitlam. Bei strahlendem Sonnenschein und um die 18 Grad kommen wir durch malerische Sikh-Gemeinden, geschäftige Chinatowns, feine und heruntergekommene Wohnviertel, um dann irgendwann bei Velocity Cars am Marine Way in Surrey zu landen. Wir parken den Corolla vor der Tür, gucken einen Dodge an, da kommt auch schon Kevin angespurtet. Drahtige 1,60 gross, kaum auffällige Nasenpiercings, stammt aus Litauen und ist seit 2009 in Canada. About ten years, you know… Klar. In diesem Laden gibt es fast ausschliesslich aus Japan importierte grossräumige Kisten. 9-Sitzer, 12-Sitzer, 15-Sitzer, dazu ein paar Delicas. Einiges sieht gut aus und ist teuer, anderes schon ziemlich räudig und auch teuer. Vor allem aber sind 95 Prozent aller Karren rechtsgesteuert. You will love it. Das möchten wir mal bezweifeln und lassen Kevin allein zuhaus.
Vom Autofachhandel haben wir für den Moment mal die Nase voll und steuern ins Örtchen Delta. Dort steht ein Astro Van, der uns interessiert und der Ron gehört, einem Brieffreund von uns… Wir wollen nur mal gucken, deshalb rufen wir nicht an, sondern fahren zu seiner Privatadresse, vor der ein riesiges Wohnmobil steht. Und der Astro Van mitsamt Verkaufsschild. Wir steigen aus und grüssen einen Mann, der an der Riesenkiste rumschraubt. Hier ist man freundlich zueinander. Von aussen sieht die Astro-Kiste ganz gut aus, soll 4250 Dollar kosten. Wenn du das Holz innen mitnimmst, kriegst du ihn billiger, ruft der Nachbar. Aha. Ron himself. Are you Börget? Say hi to Ron.
Ron ist eine ganz besondere Marke. Sein Vater ist aus Ungarn eingewandert, lebt jetzt, mit 84, in Manitoba und ist pissed with his life. Ron ist es nicht. Telefoniert dreimal im Jahr mit Daddy, Weihnachten, Geburtstag, Vatertag, der Alte ruft nur zum Geburtstag an und nervt. Ron ist 56, hauptberuflich vereidigter Schätzer für Harley Davidson und irre mit allem, was einen Motor hat. Den Astro hat er seit 13 Jahren, den fuhr hauptsächlich seine Frau, eine Inneneinrichterin. Nun haben die beiden Haus und Hof verkauft und ziehen acht Stunden ostwärts ins Valley, quasi in die Wildnis. Bären, Elche, Adler, the whole bunch… Ron brabbelt und lacht und scherzt unentwegt. Er hat sich gerade den Camper gekauft, den er nun schon mal ins Valley bringen will. Ausserdem verkauft er noch einen uralten, piekfeinen Cadillac Seville, unter einer Mütze lauert zudem ein Jaguar-Oldtimer. Von seinem Boot, einer umgebauten Autofähre, will er sich noch nicht trennen. Die hat er für 100 000 im letzten Jahr gekauft. Ein richtig reicher Typ hatte eine halbe Million in den Ausbau investiert, dann die Lust verloren. Reines Aluminiumschiff, 56 Fuss lang. Kann gar kein Verlust werden, denn allein der Schmelzwert des Metalls liegt höher. Wir gucken Bilder, heucheln Begeisterung. Mir brummt der Kopf. Um auf andere Gedanken zu kommen, fahren wir mit dem Astra mal um den Block. Wenn ihr Bier kauft, bringt mir eins mit… Ron! Die Kiste läuft trotz ihrer 240 000 km auf der Uhr ganz gut, der Preis liegt mittlerweile bei 3500. Braucht neue Reifen, ein, zwei Reparaturen wie Armlehne auf der Fahrerseite fixieren und Zentralverriegelung auf der Beifahrerseite reparieren. Ob es ein Problem wäre, sie von einem unabhängigen Mechaniker untersuchen zu lassen? I wouldn’t expect anything else. Auch bei der Versicherung ruft er schon mal an. Weil wir ja keinen festen Wohnsitz haben… Auch kein Problem. Zur Not nehmen wir Rons Adresse oder fragen Pebbles. Die Versicherungstrine schlägt vor, doch einfach den Ort anzugeben, an dem die Kiste nachts parkt. She’s an idiot, klärt uns Ron auf. Bevor wir wieder ins richtige Leben zurückkehren, bremst noch mal ein Nachbar, der wissen will, warum Ron einen Zaun gebaut hat, wo er doch auszieht. Weil sein neuer Mieter einen 90 Pfund schweren Pitbull hat, der jedem an die Kehle geht. „Why does he have this one?“ „Can’t take care of himself. He’s a pussy.“ Nun wissen wir auch das. Ron wird die nächsten zwei Tage unterwegs sein, bis Donnerstag können wir uns also entscheiden. Bevor wir wieder ins Auto klettern, hat Ron noch eine Idee: Wir könnten doch auch zwei seiner Harleys kaufen und mit dem Zelt nach Alaska fahren. Ausserdem habe er einen deutschen Freund, früher bei der Lufthansa, nun retired und nur auf Achse in Kanada. Der würde sich bestimmt freuen, uns kennenzulernen. Jesses…
Inzwischen ist es fast vier. Der Astro kommt schon mal in die engere Wahl, aber erst einmal brauchen wir einen Kaffee. Tim Hortons, Kanadas Antwort auf McDonald’s. Finden wir auf einer Mall in Surrey, auf der wir heute schon einmal waren. Bei Save on Foods (ich habe schon eine Kundenkarte…) hat uns das Angebot an Lebensmitteln beeindruckt, im Liquor Store nebenan gab’s Bier für Zuhause. Wir werden langsam heimisch, aber nicht faul…
Auf dem Weg zu Fraser Highway und King George Boulevard – das ist die Automeile von Surrey – verfahren wir uns gründlich und lernen dadurch eine weitere neighborhood kennen. Hier ist nicht alles Gold, was glänzt… Das Problem ist, dass wir keine Adresse hatten, mit der wir Uschi hätten füttern können. Eine robuste Lady an der nächsten Tankstelle weist uns den rechten Weg. Vor lauter Autos sind wir schon ganz blind. Aber frohen Mutes. Rechts querab vom Highway irgendwo in Surrey sieht Juan aus den Augenwinkeln bei einem weiteren Händler ein paar Rams oder so stehen. Also wieder ab durch die Nachbarschaft und direkt zu Mainland cars. Die Kisten sind unverhältnismässig teuer. Es eilt herbei ein grosser Mann, Mike. Eindeutig indischen Ursprungs. Er singt uns das Lied der Autoverkäufer. Als wir ihm sagen, was wir in etwa suchen und welche Preisvorstellungen wir haben, stimmt er eine neue Strophe an und zeigt uns einen der armungswürdigst zugerichteten, verlottertst vorstellbaren Astro Vans oder soetwas ähnliches. An dem müsste noch ein bisschen was gemacht werden… Unseren Vorschlag, ihn einfach in die Verschrottung zu geben, behalten wir für uns. Mike erkennt, das er nichts für uns hat, gibt artig Pfötchen, und wir sind auch schon fast weg, da ruft er uns zurück. Er könne ja noch mal gucken. Wir landen im Büro über seiner Werkstatt, er wirft den Computer an, findet auf Craigslist einen Savanna, der 4500 kosten soll. Von privat. Er könne auch gern für uns bei Joe anrufen. Warum das denn? Weil er uns helfen will. Wir fassen es nicht, aber Mike greift schon zum Hörer. Er rufe an für seine Tante und seinen Onkel, die einen Camper Van suchten. Nein, im Moment seien sie mit seiner Mutter essen, darum der Anruf von ihm. Die Lügen kommen ihm makellos und stotterfrei über die Lippen. Achtzehn Jahre Gebrauchtwagenhandel. Joe bleibt keine Chance am anderen Ende der Leitung. Mike handelt ihn zum Warmwerden schon mal gnadenlos auf drei Mille runter, notiert die Adresse. Sowas haben wir ja noch nie erlebt… Mike strahlt, wir auch. Wenn’s klappt, könnten wir ihm ja 500 geben. Oder 250. Oder irgendwas. Zumindest die Kiste technisch von seinem zertifizierten Meister checken lassen. Kostet zwischen 150 und 200. Wir reichen einander die Hände und verabschieden uns. Mittlerweile hat sich ein zweiter, älterer Inder im Office eingefunden. Wir sind schon im Auto, als Mike wild gestikulierend auf uns zurennt. Mein neuer Neffe (…) hat gerade von seinem Sozius gehört, ein Freund würde ein ähnliches Modell wie den Savanna von Joe verkaufen. Fünf Jahre jünger, besser in Schuss für fünfeinhalb. Und daran hätten sie noch keinen Cent verdient. Kann man den besichtigen? Inzwischen ist auch Inder Nr. 2 herbeigeeilt. Morgen würden sie die Kiste auf dem Hof haben und uns anrufen. Dass wir nur eine deutsche Telefonnummer haben, ist egal. Wird auch nicht teurer als nach Mumbai sein…
So. Nächstes Ziel ist also der Savanna von Joe. Wir sehen ihn gleich und auch auf den ersten Blick, dass er das Beste hinter sich an. Während wir noch überlegen, ob wir aus nicht besser aus dem Staub machen sollen, stellt sich ein Abschleppwagen mit einer (weiteren) Schrottkiste huckepack quer vor den Savanna und uns. Heraus springt ein fast zwei Meter grosser Afroamerikaner. Joe. Sein schwarzer Hoodie ist hinten bedruckt. Canada boxing. Das Letzte, woran Natzilie sich erinnerte… Joe hat seinen Sohn mitgebracht, Joshua oder so. Der hat auch den Schlüssel für die Kiste, die so verrottet ist, dass ich sie kaum angucken mag… Während Joe mir erklärt, dass man die zersprungene Windschutzscheibe für zweihundert ersetzen könnte, müht sich Junior mit mobiler Batterie und einem Starthilfekabel ab. Der Schrotthaufen will nicht anspringen. Nach einem ganz, ganz kurzen Blick ins Innere und trotz des rebellierenden Magens ob des unvergesslichen Gestanks schwatze ich noch ein bisschen mit Joe, der jetzt 40 ist, mal drei Monate in Stuttgart geboxt hat und den Kopf schüttelt, dass Klitschko sich mit 41 noch so derbe verkloppen lässt, dann sind wir ready to rumble. So richtig versteht Joe zwar nicht, dass wir in seine Kiste nicht schockverliebt sind, aber wir müssen es ja selbst wissen.
Im Auto sagt Juan das Zauberwort: Feierabend. Wir schliessen nicht ganz aus, dass Mike und Joe gegen uns Bande gespielt haben. Zeig du denen deinen Schrotthaufen, dann sind sie so schockiert, dass sie sich morgen von meinem blenden lassen und kaufen. Und wir teilen ein bisschen den Gewinn. Böse, böse Gedanken? Als Gebrauchtwagenhändler im Haifischbecken hätte ich definitiv viele Ideen 🙂
Bis nach Hause sind es nur ungefähr 30 Kilometer. Haben wir Lust, zu kochen? Haben wir nicht. Gegen sechs, halb sieben trudeln wir bei Pebbles ein, checken mails, bekommen eine Absage für einen recht vielversprechenden Van: Dozens of people interested, but I have a friend who has a similar van… Schon klar. Die Anzeige ist auch schon offline. Mit einem anderen Vogel simse ich xmal hin und her. Wir sollen ihn morgen um elf treffen. Ok. Wo? Sein Savanna stehe in der lane way. Ok, aber wo genau? Er würde direkt zum truck kommen. Aber wo ist der? Die Adresse? Er würde ja dort sein. Bevor ich einen Nervenzusammenbruch bekomme, kriegt er die letzte Chance: Ich entschuldige mich – hier in Kanada entschuldigt sich jeder bei jedem für alles -, dass ich nicht wisse, wo er wohne, aber da könne er mir doch vielleicht helfen… Endlich hat er das Problem erkannt. Er habe den ganzen Tag im Auto gesessen und sei deshalb erschöpft. OK. WO STEHT DIE VERDAMMTE KARRE? Nelson Avenue, Vancouver Westend. Und sorry nochmals. Das kann ja wieder was werden…
Wir holen tief Luft und machen uns zu Fuss auf den Weg zur East Hastings. Dort tobt das Leben hier im East Village, also toben wir mal mit. Phò beim Vietnamesen? 37a beim Chinesen? Curry beim Inder? Keine Experimente, Burger’n’Beer im Slocan, einem Nachbarschaftspub wie aus dem Bilderbuch. Eishockey im Fernsehen, karierte Hemden mit Hut an der Bar. Gut & lustig. Auf dem Rückweg gucken wir noch durch ein paar Querstrassen – vielleicht lauert ja irgendwo eine Superkiste on sale? Sie lauert nicht. Ebensowenig wie Koyoten oder Racoons.
Halb zehn liege ich in der Falle, Juan lädt noch ein paar Bilder hoch. Warum ich wieder so ausführlich schreibe? Was sollte ich sonst zwischen drei und halb sechs morgens machen? Juan schläft tief und fest. Und ja, ich bin ein bisschen neidisch. Vielleicht nehme ich morgen Pebbles Angebot an und werfe eine Melatonin, so kann’s ja nicht weitergehen…