Es ist drei Uhr nachts und stockdunkel. Ich höre das Rauschen des Meeres und spüre das Kratzen in meinem Hals. Dazu eine laufende Nase. Wie ist es nur schön. Ohne Krach zu machen taste ich nach einer Dorithricin. Hilft erst einmal.
Morgens das Gleiche noch mal, jetzt nur nicht schwächeln. Vorsichtshalber trotz Sonne und 18 Grad nicht auf den Golfplatz, dafür ein gemütlicher Spaziergang am Strand. Die Atlantikluft ist klar und salzig, während die Wellen rhythmisch an den weiten Sandstrand rollen. Im Südteil des Ortes, der über eine Brücke über den Fluss erreichbar ist, entdecken wir einen Traiteur, der offenbar auch gebratene Hühner anbietet. Die Auslage ist vielversprechend: neben den goldbraunen Poulets locken hausgemachte Quiches und Terrinen. Im Moment ist allerdings alles geschlossen: Frankreich isst zu Mittag. Die heilige Mittagspause zwischen 12 und 14 Uhr wird hier mit religiöser Inbrunst eingehalten.
Wieder zuhause haben wir etwas Zeit, bis die Sonne um die Ecke und auf unseren Balkon kommt. Von hier aus blickt man über die Dünenlandschaft bis zum Horizont, wo Himmel und Meer verschwimmen. Die Ferienwohnung liegt im zweiten Stock eines der typischen Apartmenthäuser, die den Strand säumen – nah genug am Meer, um seinen Rhythmus zu spüren, aber geschützt vor den gelegentlichen Sturmfluten, die in der Wintersaison die Küste heimsuchen.
In den Nachrichten ist zu hören, dass der Bundesrat der Grundgesetzänderung zu unserem neu verabschiedeten Schuldenberg zugestimmt hat. Der Orangene will in den USA das Bildungsministerium abschaffen, Elon Musk bekommt Zugriff auf intimste militärische Geheimnisse. Es hat schon seinen Grund, nicht alle Stunde Nachrichten zu sehen.
Mit Blick aufs Meer stöbere ich mal in dem, was andere zu Mimizan-Plage in der Vergangenheit gesagt haben. Unterm Strich: Entsetzlich und nie wieder wegen des unerträglichen Gestanks, der von der Papierfabrik Gascogne Papiers ausgeht. Wir haben den Badeort bei auf- und ablandigen Winden kennengelernt und nichts davon mitbekommen. Entweder hat das Unternehmen kräftig in Filter investiert, oder die Meckerbande wollte einfach verhindern, dass noch mehr Menschen im Sommer hier ans Meer strömen. Verstehen können wir jeden einzelnen. Es ist hier einfach wunderschön.
Die Schönheit Mimizans liegt in seiner Unaufgeregtheit. Anders als die mondänen Badeorte weiter nördlich an der Côte d’Argent oder südlich im Baskenland, bewahrt sich der Ort seine Authentizität. Die lokalen Surfschulen unterrichten jetzt schon Anfänger in den Morgenwellen, während die erfahrenen Surfer bei Flut die kraftvolleren Brecher am Nordstrand suchen.
Kleine Boutiquen verkaufen Strandmode und Souvenirs, während die Eisdielen mit bunten Sorbets locken. In den Restaurants servieren sie frische Austern aus dem Bassin d’Arcachon und Entrecôtes vom Grill. Der Courant de Mimizan, der Fluss, der hier ins Meer mündet, bildet einen natürlichen Hafen für die kleinen Fischerboote, die jeden Morgen frischen Fang anlanden.
Am späteren Nachmittag gucken wir uns noch ein Terrassenplätzchen für einen Apéritif aus.
Direkt am Meer im Le Keny’s bestellen wir einen Weisswein und zum Teilen eine kleine Schweinerei, eine Gascogner Spezialität: Pâté landais au foie gras aus der Region Les Landes hier im Südwesten Frankreichs. Es handelt sich um eine feine Pastete, die aus einer Mischung aus Entenleber, Schweinefleisch, Entenfleisch und Gewürzen wie Cognac zubereitet wird, wobei die Foie gras einen schmelzenden Kern bildet. Die in einer Mini-Terrine gebackene Pastete wird mit Baguette serviert. Weshalb ich das so ausführlich beschreibe? Na, weil es unbeschreiblich fantastisch ist. Ein klitzekleines bisschen neidisch? Zu Recht!
Noch ein bisschen am Strand das Publikum an diesem Freitag beobachten und zusehen, wie die Sonne langsam im Meer versinkt – ein neues Schauspiel in Orange, Rot und schließlich tiefem Violett.
Anschließend igeln wir uns in unserer putzigen bunten Ferienwohnung ein. Reste-Schnitzel von gestern mit Avocados zum Diner, anschließend „Let’s dance“ beim RTL. Das ist durch nichts zu entschuldigen – außer vielleicht durch die wohlige Erschöpfung nach einem Tag an der frischen Atlantikluft und die einfache Freude am Nichtstun.