Heute hat uns die Natur in Kunming mal einen kleinen Einblick in das gewährt, wozu sie im Südwesten Chinas fähig ist: Sonne, Regen, Sonne, Starkregen, Sonne, Hagel, Sonne, Platzregen, Sonne. Aber trotz des vielen Wassers hält uns nichts im Hotel. Unser Plan: Einen historischen See im Zentrum zu besuchen.
Dass wir trotz des dürftigen Materials, das wir haben, überhaupt auf diesen See gekommen sind, verdanken wir dem Enigma-Spezialisten Juan. Wenn er ein Problem wirklich lösen will, verbeisst er sich solange darin, bis er‘s hat. Enigma, griechisch Rätsel, war seit den 20-er Jahren ein kaum zu knackenden Chiffriersystem, das hauptsächlich vom Militär, später den Deutschen im Zweiten Weltkrieg benutzt wurde. Juan hätte es geknackt, davon bin ich überzeugt. Stattdessen glüht das Hirn jetzt über der chinesischen Karte, der Baidu App, natürlich auch auf Chinesisch. Irgendwann zeigt er mir Bilder und Wege zum See. So wird Programm gemacht. Meine Bewunderung ist grenzenlos.
Weil alles viel Gerenne ist, nehmen wir ein Taxi, der uns vor der alten Militärschule, die heute ein historisches Militärmuseum ist, absetzt. Wieder einmal tauchen wir mitten in einer Großstadt ein in eine andere Welt. Kunming hat eine 2000jährige, wechselhafte Geschichte, ein bisschen spiegelt sie sich hier im Park rund um den niedlichen See wider.
Es spazieren Alte und Junge, Paare und Gruppen, nur Chinesen – wir haben ausser zwei, drei Indern in Guangzhou schon lange keine Nicht-Chinesen mehr gesehen. Die Einen mieten ein Bötchen, die anderen schwatzen in Pavillons mit zauberhaften Pagodendächern, essen ein Kleinigkeit oder träumen nur so vor sich hin. In einer kaum einsehbaren Ecke entdecken wir eine Gruppe junger Menschen, die tai-chi probieren. Einige schon sehr gut, andere müssen noch etwas länger üben. Zufällig finde ich ein paar wirklich schöne Ohrringe fürs Cousinchen, die hoffentlich gut in ihre Sammlung passen.
Im Park rund um den See herrscht eine himmlische Ruhe. Die setzt sich fort auf einem Markt am Ufer, den wir eher zufällig entdecken, Wieder werden Möwen erschreckt und gefüttert, wieder gibt es unendlich viel zu essen, darunter extrem lecker aussehenden Schinken und natürlich Enten.
Wir können uns kaum losreissen, wollen aber noch die Trinity Church besichtigen, bevor es wieder anfängt zu plattern. Auf dem Weg fällt uns auf einem Hügel ein uraltes Gebäude auf. Da muss man wohl mal hochklettern. Vor der Tür treffen wir „Schönes Kleid“, deren internationaler Name zu Julia wurde.
Julia stammt aus der Provinz Yunnan, hat in Peking Wirtschaftswissenschaften und internationales Recht studiert, viel von der Welt gesehen, sich unter anderem in den Kölner Dom verliebt und ist hinreissend. Sie spricht gut englisch und freut sich, es endlich mal wieder praktizieren zu können, in dem sie uns durch das 300 Jahre alte Bauwerk mit verschiedenen Höfen führt, die gerade noch restauriert werden.
Julia ist General Manager von dieser Begegnungsstätte, die Strukturen ähnlich wie die Tempel haben. Bereits in den kommenden Woche soll auf der jetzigen Baustelle eine erste Hochzeit stattfinden. Im Stil der Han Dynastie. Denn das ist der Clou dieses Ortes: Wer hier feiern will, sucht sich eine Zeit aus, in der er gern gelebt hätte, wird entsprechend eingekleidet und in zeitgemässes Ambiente entführt. Julia würde uns zu gern bei der Hochzeit dabeihaben, aber leider müssen wir passen. Nächste Woche sind wir in Laos oder Thailand.
Wir verabschieden uns wie alte Freunde voneinander, machen noch schnell ein paar Fotos voneinander. Und weil gerade wieder Regen einsetzt, schenkt uns Julia nicht nur einen Schirm, sondern führt uns über geheime Gänge zu einem Hinterausgang, damit wir es nicht so weit zur Kirche haben.
Was für eine entzückende Person! Die nächste treffen wir im Eingang der Kirche. Der Wachmann döst halb schlafend vor sich hin, aber nachdem wir das nahezu schmucklose Gotteshaus besichtigt haben, frage ich ihn nach dem Weg in Richtung unseres Hotels. Dazu sage ich artig Renmin Lu, was meiner Meinung nach Renmin Strasse heisst. Der Wachmann schüttelt den Kopf, sieht mich zweifelnd an und fragt: „Do you speak English?“ Wir lachen noch zwei Strassen weiter…
Langsam haben wir Hunger und mit Blick in den Himmel auch Fluchtgedanken. Vorbei an dem gestern durch die Gruppen in historischen Gewändern so spannenden und heute verwaisten Tempel landen wir wieder in der uralten Fussgängerzone. Versuchen wir mal ein laotisches Restaurant! Das Internet ist wieder mal Fehlanzeige, was besonders blöd ist, weil die Speisekarte nur über einen QR code einzusehen sind. Der junge Kellner hilft und loggt uns irgendwo ein, zeigt die Karte letztlich auf seinem Handy. Wir bestellen Reis und Huhn, ahnungslos, dass es sich dabei um einen kalten Salat handelt. Der ist allerdings sensationell! Angemacht mit viel kleingeschnittenem Genüse, gehackten Erdnüssen, Sesamsamen und Koriander ist er grandios. Der Koriander passt so gut zu dieser Komposition, dass unser Widerwille gegen dieses Kraut in Begeisterung umschlägt.
Weil schon wieder düstere Wolken aufziehen, schnappen wir ein Taxi, fahren am Hotel vorbei zu einem Obstladen, können wegen des Platzregens und folgenden Hagels kaum irgendwo Schutz finden. Aber dann gibt es frische kindskopfgrosse Mandarinen, einen Café americano to go und die letzten paar Meter vor dem nächsten Wolkenbruch zu Fuss ab ins Hotel.