Helden-Beobachtung

Zum Glück haben wir gut gefrühstückt, denn es liegt mal wieder ein langer, langer Tag vor uns. Juan telefoniert mit Gerardo wegen des Lichts, das uns ein bisschen im Auto berunruhigt, aber der winkt ab – nix los, wahrscheinlich nur ein loser Tankdeckel. Wir werden das morgen mal prüfen lassen.

Aus Hamburg kriegen wir Bilder von Natzl, Elke (meiner wiedergefundenen Cousine) und Thomas, die gemütlich an der Alster spaziert sind, um dann anschliessend in der Wrangelstrasse ein Spargelessen zu veranstalten. Derweil zocke ich ein bisschen mit Gerd aus Wolfsburg, Elkes Freund, via Quizduell. Die Welt ist in Ordnung, wir könnten etwas unternehmen…

Aber heute? Nein, wir klatschen nicht zum Vancouver Marathon, klettern auch nicht auf nächstgelegene Berge oder wandern um Seen; das überlassen wir den Hiesigen. Wir kümmern uns um den Ausbau von Rosie. Naja, ich bin eher Claqueuse, für Handreichungen unverfänglicher Art zuständig und mache Fotos.

Gemeinsam verlegen wir den neuen Teppich im Auto. Das hat weniger optische als praktische Gründe: Wir wollen das Darunter möglichst geschont erhalten. Klappt schon mal alles gut und sieht auch toll aus.

Das wahre Heldentum spielt sich aber erst später vor meinen Augen in Pebbles Küche ab: Aus vielen, vielen Hölzern unterschiedlichsten Zuschnitts entsteht die Basiskonstruktion unseres Bettsofas, die aus Rosie ein Mini-Wohnmobil machen wird. Juan nimmt Mass, zeichnet an, dreht mit Pebbles Bohrmaschine Schraube um Schraube ins Holz. Wir lachen und scheckig bei dem Gedanken, wie hilfreich unser Krokodil bei dieser Aktion gewesen wäre!

Während bei strahlend schönem Wetter vor den Tür eine kleine Sonntagsparty stattfindet – Pebbles und ihre Lebensgefährtin Lee haben ein paar Freunde in den Garten eingeladen – , bastelt Juan einen perfekte Rahmen, ich halte mal ein Hölzchen oder koche eilfertig Kaffee, surfe im Internet bei Craigslist, vergleichbar mit ebay Kleinanzeigen, auf der Jagd nach Dingen, die wir unbedingt noch brauchen.

Die Stunden rasen an uns vorbei, aber der Tag ist äusserst produktiv. Um halb sieben haben wir eine Verabredung mit Lincoln, der in North Vancouver einen Campingtisch mit Teleskopbeinen zu verkaufen hat. Den brauchen wir weniger für draussen, als für drinnen. Nur leider: Lincoln taucht nicht auf. Und same old story: Wir haben nur den Vornamen, aber in dem Wohnkomplex kommt man damit nicht weiter. Ich rufe zwar ein paar Leute mit L. im Namen übers Haustelefon an, aber Lincoln ist nicht darunter. Juan schreit sogar ein-, zweimal seinen Namen und ich lausche aufmerksam, ob ich irgendwo das Durchladen eines Gewehres wahrnehme, aber es passiert einfach nichts. 

Wie es der Zufall will, ist unsere nächste Station ebenfalls in North Vancouver: Doug verkauft seinen Porta Potti. Neuzustand. 75 Dollar. Wir fahren um zwei Ecken, sehen auf der Treppe eines Hauses Doug sitzen. Kurze Hosen, Live your Life-Tshirt, um die Mitte 50, fröhlich und offen. Er hat den Tag in Mission, nordöstlich der Stadt verbracht; dort ist er ehrenamtlich in einer Tierauffangstation tätig. Unsere Reisepläne findet er grandios, auch wenn er selbst lieber mit seinemTruck in die USA nach Arizona oder Utah fährt: „Love the deserts. Or that’s what they call it.“ Aha. Wir verstehen uns blendend, deshalb biete ich ihm auch nur 50 Dollar fürs Klo und er schlägt ein. Währnd er uns noch das portable WC erklärt und im Internet nach einem Lieferanten für die benötigte Chemie sucht, kommt Ralph aus dem Nebenhaus gelatscht. Klein, bärtig, zugänglich, vor seiner Tür steht die grösste noch bewegliche Harley Davidson. Er hatte auch mal ein Porta Potti, benutzte immer Chemie aus dem Canadian Tire. Klappt prima. Nach Norden wollen wir? Wortreich erklärt er den Nutzen eines internen Klos allein wegen der zahlreichen Fliegen in Alaska. Ja, gut gekauft…

Juan hat angekündigt, keineswegs wieder über die Brücke zu fahren, ohne den klappbaren Tisch unterm Arm zu haben. Da wir Lincoln anders nicht zu fassen kriegen, suchen wir einen MacDonald’s, um ins Internet zu kommen. Klappt alles, der junge Australier erscheint nun mal endlich, wir gucken, kaufen, hauen ab. Cheerio!

Es ist fast acht und wir haben Hunger. Erst mal kurz nach Hause, dann zu Fuss los. Wir laufen viel zu wenig, aber bisher hatten wir auch nie Zeit dazu. Das Restaurant, das wir uns ausgesucht haben, steht in der Empfehlungsfibel, die Pebbles uns überlassen hat.

Jakalope’s Neighbourhood Restaurant & Bar. Online werfe ich einen Blick in die Karte – klingt gut. Ist auch nicht sonderlich weit, vielleicht zwei Kilometer. Und schon sind wir da. Das wäre mal was für die Hinnis: Heavy Metal, Musike, die man sicherlich bis Wackens hört. In einem Regal klemmt ein Monsterhase, es ist alles eher schummerig als neumodisch-hell. Einen Nachbarschaftskneipe, allerdings schon recht speziell. Wir haben einen Exotenbonus, nehmen wir mal an, weil wir die einzigen ohne Tattoos sind. Aber alle anderen haben so viele, dass es für uns mit reicht. So wild der Laden wirkt, so entzückend ist die Bedienung. „How’s your supper“ fragt der Kellner, da wir für einheimische Verhältnisse sehr spät essen. Normalerweise ist hier um sieben jeder satt, wir fangen um neun erst an – Nachtessen eben. Und als ich mit einer unbedachten Handbewegung ein Waaserglas umfege, kommt sofort ein Mädchen, das aussieht, wie Winnetous verlorene Schwester und macht klar Schiff. Not a thing…

Uns fällt in Vancouver häufiger mal auf, dass die Leute hier echt entspannt sind. Spielt keine Rolle, wer sich wie gibt und geben will, leben und leben lassen ist die Devise. Und das Ganze auf merkwürdige Art fast trutschig, dörflich, verglichen mit US-Grossstädten. Sehr angenehm! Da wir ohne Hinnis unterwegs sind, bleiben wir im Jakalope’s, Juan isst hervorragendes surf & turf, ich baby back ribs, die vom Knochen fallen. Zu beidem gibt es knackfrisches Gemüse und hausgemachtes Kartoffelpüree. Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten sind die Portionen in Kanada zum Glück eher übersichtlich – es wird also nicht auf Teufel komm raus gehäufelt, sondern nett und adrett gekocht und arrangiert. Sehr erfreulich! Dazu gibt’s Pils aus einer Brauerei in der Nachbarschaft – awesome!

Heavy metal könnte einem ja fast ans Herz wachsen, aber wir sind schon wieder k.o. und deshalb bald auf dem Weg nach Hause. Dort erwartet uns eine Nachricht von Angelo, unserem neuen deutsch-peruanischen Freund: Er würde uns seinen Astro Van auch für fünf Monate vermieten. Rührend! Wir danken postwendend und wünschen ihm alles Gute. Und was schreibt Angelo? „Falls irgendetwas ist, bin ich für Euch da!“ Wir haben so eine Ahnung, dass er das genauso meint…

 

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