Der Wecker klingelt kurz vor sechs, nach einem schnellen Frühstück nehmen wir Abschied von Hanoi. Der Zug SE5, der uns nach Hue bringen wird, steht schon auf dem Bahnhof. Ach, ihr schönen chinesischen Züge! Die soft seat class in diesem Zug ist schmutzig, abgelebt und bald auch voll. Die Holzklasse kann man hier noch wörtlich nehmen. Pünktlich um 9 quält sich das Umgetüm aus Vietnams Hauptstadt, die Gleise führen direkt durch die engen Gassen. Man könnte die Häuser links und rechts mit den Händen greifen. Ob auf dieser Strecke der berühmte Markt liegt, der bei jedem durchkommenden Zug schnell ab- und danach sofort wieder aufgebaut wird, können wir nicht sehen, aber erahnen.
Sobald sich der Zug in Bewegung gesetzt hat, beginnt das Personal, Verpflegungskarren durch die Gänge zu schieben. Kein Vietnamese, der nicht sofort kaut. Es gibt Maiskolben, Süßes, Suppe, Reis mit Fleisch, Getränke aller Art – pausenlos. Nach dem Essen wird erstmal ein Ründchen geschnattert, dann geschlafen. Während wir an endlosen Reisfeldern, durch Bananenplantagen und andere Obstfelder rattern, wiederholt sich die Ritual immer wieder: essen, schnattern, schlafen. Überall liegen Leute herum und schlafen, schmutzige Füße über die Kopfstützen der Vordersitze, an die Fenster oder einfach auf die Sitze gelegt, dazu ein atemberaubendes Schnarchkonzert: das ist schon sehr speziell. Sobald jemand wach wird, greift er zu Essbarem, trinkt einen Tee oder sonstwas, geht kurz Richtung WC und fällt danach auf der Stelle wieder in den Tiefschlaf, es sei denn, er findet noch jemand, mit dem er lautstark das Leben im Allgemeinen besprechen kann. Oder er ruft noch mal kurz und laut irgendwen an, bevor er sich wieder irgendwo und irgendwie zusammenrollt. Die Toiletten-Situation beschreiben wir mal lieber nicht 🙂 Zum Glück gibt der wirklich unerträgliche Fernseher bald für einen Moment seinen Geist auf. Es wird zwar nicht ruhiger in der Hütte, aber wenigstens sucht Vietnam in diesem Zug unter ohrenbetäubendem Lärm nicht mehr seinen Superstar… Noch einmal: Wir vermissen die wunderbaren, blitzsauberen, komfortablen Züge in China (Rücken-)schmerzlich!
Nach den ersten drei, vier Stunden ändert sich das Bild: links und rechts Karstberge, dazwischen immer wieder bewaldete Hügel. Wasserbüffel und Ahnengräber liegen an der Strecke, die Klimaanlage scheint mir ins Wachkoma gefallen zu sein. Es ist warm, eng und laut. Zwischendurch wird immer mal wieder mit Mutti oder sonstwem telefoniert: So hautnah vietnamesisch wie auf dieser langen Zugfahrt haben wir das Land wohl doch noch nicht erlebt.
Auch wenn sich die Stunden endlos ziehen, die Mitreisenden schnarchen, die Lautstärke im Zug oft unerträglich ist: die Aussicht ist wunderschön! Wir hätten wahrscheinlich nie so weite Reisfelder gesehen, wären nie so nahe an der Grenze zu Laos durch die Urwälder gefahren, hätten insgesamt wesentlich weniger vom Land mitbekommen. Aber eines muss man auch sagen: die Zugfahrt ist richtig, richtig anstrengend. Dennoch bereuen wir nicht, die Tagestour genommen zu haben. Nachts rauscht man an der schönen Natur nur vorbei.
Nach 14 Stunden und 45 Minuten fallen wir in Hue geradezu aus dem Zug, werden von einem Fahrer erwartet und wechseln 10 Minuten später das Sonnensystem. Das Palace Indochine hat 5 Sterne, große Zimmer mit putzigen Badlösungen, aber alle Restaurants und Bars des Hauses sind zu, als wir um elf endlich einchecken. Bis auf den room service. Da wir heute nur ein leichtes Frühstück und drei Kekse zu uns genommen haben, sind wir ausgehungert. Keine Experimente, Burger, Sandwich und Bier – aus die Maus.
Hacia el sur hasta Hue