Kurz nach dem Frühstück klopft es: Zul, unser Vermieter. Er bringt eine nagelneue Kaffeemaschine, Handtücher, den Öffner für die Tiefgarage und die schlimmsten vorstellbaren Kaffeebecher. Alles, was ich gern wollte, bis auf die auch beim besten Willen fürchterlichen Becher aus grobem Steinzeug in undefinierbaren Erdfarben.
Wir verbringen noch etwas Zeit damit, Rosie elektronisch auf allen möglichen Plattformen anzubieten, bevor wir uns mal aus dem Staub machen. Man kann ja nicht den ganzen Tag im Apartment rumsitzen und hoffen, dass jemand anruft. Ab und zu mailt mal ein Torfkopf, der aber nicht kaufen, sondern ein Nachfolgemodell verkaufen will. Das sind so Brieffreundschaften…
Also gucken wir uns Granville Island an. Abends tobt sich hier in diesem Stadtviertel die Kunstszene mit Theater, Musical und Konzerten aus, tagsüber konzentriert sich das Leben überwiegend auf den Public Market, die Markthallen. Das ist ja mal wieder genau unsere Welt. Hier gibt es grossartiges Obst, knackfrisches Gemüse, hervorragendes Fleisch, sogar im Brotbacken versuchen sie sich, was mit einer Schippe Salz zweifelsfrei besser gelingen könnte. Aber es geht ja auch ums Bemühen. Der Ort ist schön, durch die Hallen unter den Brücken und die direkte Anbindung ans Wasser mitsam Yachthafen gibt es ein besonderes, sehr schönes Flair. Wir gucken an, was anzugucken ist und lächeln ein bisschen über den Farmers‘ Market vor der Tür, der winzig klein ist. Fast hätten wir ihn übersehen. Hier gibtves dreimal so teures Obst wie in den Markthallen, Kunstgewerbliches und ökologisch eventuell Einwandfreies.
Zeit für eine andere Welt, Zeit für Chinatown. Es wird zwar damit geworben, die zweitgrösste nach San Francisco zu sein, ist aber überhaupt nicht zu vergleichen. Wo in SF das Leben tobt, dümpelt es hier vor sich hin. Völlig dösig – Sind wir nicht grossartige Traveller? – landen wir plötzlich schlendernd ausgerechnet auf dem Stück der East Hastings, das berüchtigt für Verbrechen aller Art und die meisten Drogentoten in ganz Nordamerika ist.
Schlimmer sind fast die Untoten, die hier herumhängen oder -liegen, lallen oder schreien, apathisch nach innen oder einfach in einen Gully starren. Mannomann, das ist eine Szene, für die wir keine Vergleiche haben. Hier sind die ganz Harten unter den Kaputten unterwegs. Direkt vor unseren Augen greift ein junger Asiate zu einer gebrauchten (!) Spritze vom Bürgersteig, setzt sie sich in eine Restvene, ist frustriert, dass kein Stoff mehr drin ist und dreht aus dem Stand durch. Erst geht er rasend auf ein paar Tauben los, dann blitzschnell in die andere Richtung auf einen Mann, der das Pech hat, einfach dort zu stehen. Die Rangelei wird von irgendwelchen Leuten lahmarschig auseinandergebracht; wir sehen zu, dass wir aus dieser hochgefährlichen Ecke verschwinden. Dass wir überhaupt hierher gekommen sind, verdient schon Prügel! Wie blöd sind wir eigentlich? Aber es ist ja alles noch mal gut gegangen. Wir gucken noch ein paar chinesische Trockenwaren an und hauen dann einfach ab. Dösig vergessen wir sogar, ein paar Potsticker – Jiaotze – zu essen. Die Chinatown ist sicher nicht uninteressant, aber wir werden einen anderen Tag aufkreuzen.
Die dicke Rauchwolke über der Stadt drückt ein bisschen aufs Gemüt, sicherlich auch auf die Lungen. Uns und allen in der Gegend fehlt eindeutig Luft. Noch ist keine Besserung in Sicht. Es brennt hier zwar in jedem Jahr, in den letzten 60 allerdings nicht so heftig wie im Moment. Dazu kommt eine Hitzewelle, die seit Aufzeichnung der Daten nie dagewesen ist. Wie schön, dass Herr Trump vom Klimawandel nichts wissen will…
Luft ist nicht das Einzige, das uns fehlt: Sieb, Schüssel und Salatschüssel (gibt es in dieser Flohkiste alles nicht), Wasser, Reis – also gegen Abend noch mal los, einkaufen. Im Dollar Tree (gut für günstigen Hausrat) rennt ein Typ an uns vorbei – ein Ladendieb. Bei diesen Vögeln weiss man ja auch nie, wie sie sich verhalten, also fahren wir mit dem Auto ein Ecke weiter zu safeway, um den Rest zu erledigen. Danach ist für heute wirklich Feierabend. Ich mache aus magerem Groundbeef Heimweh-Klopse, bei denen mir absichtlich die Knoblauchhand ausrutscht, dazu einen frischen Salat und Rotwein.
Das Fernsehprogramm ist auch hier überwiegend gruselig bis unterirdisch, also vertiefen wir uns in unsere Bücher… Die Atmung, die ich neben mir höre, ist quasi sofort verdächtig regelmässig 🙂