Von Lille ans Meer


Schade, dass es in Lille immer noch und wohl auch in den nächsten Tagen regnen wird: Wir würden sonst sicher noch einen Tag bleiben. So aber stehen wir um acht in der Markthalle von Wazemmes und beobachten das arbeitende Volk: zu früh zum shoppen. Auf der anderen Seite der schönen Eisen-Stahl-Backstein-Konstruktion findet sich ein geöffnetes Café. Voilà. Des tartines et des cafés allongés auf rot-weiss karierten Tischtüchern. 

Langsam wird es hell, und durch den Sprühregen erkennen wir die Markthalle auf der anderen Straßenseite. Angeboten wird hier alles: von den frischen Austern aus der Bretagne über Käse aus der Normandie und Fleisch von regionalen Höfen bis zu Obst und Gemüse aus aller Welt. Die Halle ist zu gross für beeindruckende Dufterlebnisse, aber perfekt fürs Auge. Wir schlendern von Stand zu Stand; die welschen Hausfrauen tauchen noch nicht auf.

Auf dem Rückweg zum Hotel sehen wir jemanden, der gerade um Schlag neun Uhr das Tor zur Peter & Paul Kirche öffnet. Nein, nein, erklärt uns der Geistliche, das Gotteshaus sei bis Sonntag geschlossen. Er öffne nur für einen Handwerker. Aber: Wenn wir mal einen Blick werfen wollten… Wir wollen! Allein in der stockdusteren Kirche! Sehr schön! Die Kamera meines iPhones sieht deutlich mehr als ich. Aber sie ist ja mit uns unterwegs…

Fröhlich und mit eingezogenem Kopf preschen wir Richtung Hotel. Lille wird uns wiedersehen. Vielleicht im September, denn da findet hier einer der größten Flohmärkte Frankreichs statt.

 

Aber nun wollen wir erst einmal ans Meer, auch wenn‘s zunächst nur der Ärmelkanal ist.

Ein bisschen Kultur schadet nie, deshalb nehmen wir bei zunehmendem Regen Kurs auf Arras. Das im 5. Jahrhundert bereits erwähnte Städtchen verfügt über eine riesige Kathedrale und einen schmucken Marktplatz. Letzteren sehen wir nur vom Rande, denn der Weihnachtsmarkt wird gerade abgebaut, was zu diversen Straßensperren führt. So lernen wir Arras besser kennen. Und erfahren schnell: Parkplätze sind hier überhaupt nicht vorgesehen. Wegen der widrigen Wetterverhältnisse und der offenbar geschlossenen Kirche lassen wir Kultur Kultur sein und richten uns auf eine zweistündige Fahrt nach Berck ein.

Die französischen Dörfer, die wir durchfahren, sind immer noch charmant, auch wenn man vielerorts die typische Bar und die noch typischere Boulangerie vergeblich sucht. Das ist in Berck Plage nicht anders. An der kilometerlangen Promenade gibt es nichts. Wirklich nichts. Jedes Hotel, jedes Restaurant, jede Daddelhalle – geschlossen. Sogar das obligatorische Riesenrad wurde abgebaut. Der Blick aufs bewegte Meer (Ärmelkanal) ist dennoch trotz des dichten Regens schön. Ich puste meine Lunge dreimal durch, dann geht’s auch schon weiter.

Wieder wegen des Wetters schenken wir uns das ursprünglich geplante Le Crotoy mit seiner zauberhaften Wattlandschaft, und auch St. Valérie sur Somme ist nur Durchgang zum Ziel.

Le Tréport. Das letzte Mal waren wir vor zwei Jahren mit den Xies hier. Auf dem Parkplatz vor dem Fischmarkt haben wir Shrimps gepuhlt und die Möwen mit den Schalen gefüttert. Jetzt checken wir die Hotellage. Le Marine auf der anderen Seite? Ein Ibis stadtauswärts? Es wird das Hotel de Calais. Wie schon einige Male zuvor. Die haben uns sogar noch im Computer. Wir beschließen, ein bisschen Ruhe zu geben und unseren Aufenthalt eine Spur auszudehnen. Das Auto parkt entsprechend zwei Nächte sicher im Hof, wir können aus dem Fenster den Gezeiten zusehen oder die Hafenstrasse im Auge behalten. Sehr gemütlich, völlig unaufgeregt.

Der Regen hat sich beruhigt, wir uns im Zimmer etabliert: Heizung bis zum Anschlag aufgedreht, Füße hoch, Buch vor der Nase. Nicht unwahrscheinlich, dass wir später noch mal durch den Ort laufen. Aber sicher auch nicht sicher.

Wir bleiben auf unserem Hügel, kaufen beim algerischen Händler Wein, Baguette, Paté, Käse und schwarze Schokolade. Draussen ist es und zu ungemütlich, also biwakieren wir mit unserem Picknick im Zimmer, hören dazu NDR 90,3. Morgen gehen wir wieder unter Menschen. Möglicherweise.

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