Sorry, Rosie!

 

Heute ist Victoria Day, der letzte Montag vor dem 25. Mai, ein gesetzlicher Feiertag in Kanada. An diesen Montag sind Banken, Schulen, Behörden, viele Geschäfte und Restaurants geschlossen. Der Victoria Day ist ein ganz besonderer Feiertag zu Ehren der britischen Königshauses. Am 24. Mai 1854, zum 35. Geburtstag von Königin Victoria, kamen 5.000 Einwohner von West-Kanada vor der Regierung Haus in Toronto und ehrten sie. Victoria war 64 Jahre (von 1837 bis 1901) Königin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland. Während ihrer Regierungszeit erlebten die Ober- und Mittelschichten Englands eine beispiellose wirtschaftliche Blütezeit, und das Britische Weltreich stand auf dem Höhepunkt seiner Macht.

Wir feiern heute einen wunderschönen Morgen mit strahlendem Sonnenschein, trinken noch einmal Kaffee am Jordan River und gucken zu, wie sich der Platz langsam leert. Der fiese Opa ganz rechts war geradezu wunderbar: Das Feuerholz, das er übrig hat, bringt er, auf seinen Stock gestützt, zu uns. Seine Frau rät Juan, sollten wir bleiben, auf ihren Platz umzuziehen: Nr. 10 sei der Beste. Wir packen dann aber auch unsere Klamotten, verabschieden winkend alle, die vor uns gehen.

Im Wasser dümpelt wieder das Wesen, das wahrscheinlich ein Otter ist. Oder eine Schildkröte. Schildkröten hier oben? Naja…

Nach fünf Tagen und Nächten ist uns unser Campground richtig ans Herz gewachsen, aber wir wollen ja noch weiter. Bis Port Renfrew, ungefähr 35 Kilometer, gibt es nichts ausser hohen Bäumen, vermutlich Douglasien, Einblicke auf die schweren Holzeinschläge überall und den Ozean. Port Renfrew selbst ist – nichts. Ein paar Häuser, der Beginn des Trails über den Botanical Park (das ist etwas für sehr erfahrene Wanderer und dauert ungefähr eine Woche) und ein General Store, in dem wir Eis kaufen, damit unser Cooler nicht schlappmacht.

Wir gucken uns ein bisschen um, fahren dann aber Richtung Cowichan Lake, der im Sommer eine Art Gardasee der Insel ist. Der Weg dahin ist traumhaft schön: Verschlungene Strassen, ein paar Serpentinen, intensives Grün, manchmal kuhgrosse Schlaglöcher – Kanada wie aus dem Bilderbuch. In Lake Cowichan ist es trotz ständig steigender Temperaturen allerdings noch nicht soweit, dass man bleiben wollte. Der See ist hübsch, die Campgrounds gucken wir nicht – falsche Jahreszeit.

Stattdessen fahren wir weiter nach Duncan, in die Stadt der Totempfähle. Dort gibt es bei Tim Hortens erst einmal einen Blick ins Internet und die Idee, mal im Motel zu duschen. Sorry, Rosie, das muss mal sein. Wir hatten uns ohnehin vorgenommen, mindestens einmal pro Woche sesshaft zu werden. Heute, am ersten Tag der vierten Woche, ist es soweit. Wir buchen via booking das Thunderbird Motor Inn für bummelige 60 Euro, weil es da auch einen Diner gibt, in dem wir praktischerweise essen können.

Erst aber mal ins örtliche Home Depot, weil wir Stützen für unsere schattenspendende Plane brauchen. Inzwischen ist es draussen 30 Grad warm. Wir finden etwas, sägen es zurecht, aber an der Kasse trifft uns fast der Schlag: der günstige Preis bezieht sich auf einen Fuss Länge, nicht auf die ganze Stange. Obwohl gesägt, können wir sie stehenlassen. In Europa wäre das unmöglich, schätzen wir mal… Wir finden etwas anderes und dann das Motel. An der Rezeption steht Rita, eine entzückende Filippina. Lovely Rita zeigt uns alles, hängt sich ins Internet, weil leider, leider der Diner an diesem Feiertag zu ist. Etwas südlich auf dem Trans Canada Highway gibt es etwas.
Oder downtown? Da könnte man dann auch gleich ein paar der größten Totempfähle Kanadas besichtigen, geschaffen von Simon Charlie. In den 1980er Jahren holten die Stadt ihre ethnischen Minderheiten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Damit rückten zunächst die First Nations der Region, vor allem die Cowichan, in den Blickpunkt.
Die Stadt wurde nach dem 1836 in Sarnia in Ontario geborenen William Chalmers Duncan benannt. Er kam im Mai 1862 nach Victoria und schloss sich den rund hundert Siedlern an, die Gouverneur James Douglas zur Cowichan Bay schickte. Nachdem Duncan dort von Goldfunden gehört hatte, zog er an den Fraser River und in das Cariboo-Gebiet. Schließlich siedelte er sich beim heutigen Duncan an und heiratete 1876. Sein Sohn Kenneth wurde der erste Bürgermeister des Ortes, der seit 1912 Stadt ist.

Heute gibt es wenig Menschen in Duncan. Wäre da nicht ein Schild gewesen, hätten wir die Innenstadt nicht einmal als solche erkannt. Aber es gibt zumindest ein geöffnetes Restaurant, das Jake’s. Pale Ale vom Fass, Wildlachs und baby back ribs – die Welt ist in Ordnung.
Jedenfalls hier in Duncan. Wenig später lesen wir vom Anschlag in Manchester. Wir sind hier so hinterwäldlerisch, dass man sich solche Katastrophen kaum vorstellen kann.

Bei einem letzten Bier auf der Terrasse des Motels und immer noch um die 24 Grad stellen wir wieder einmal fest, wie gut es uns geht.

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