Lille – La Braderie

Morgens halb zehn ist der Zug von Lens nach Lille rappelvoll. Jung, alt, hübsch, nicht so, lächelnd, maulend – alles da. Der Doppeldecker hält auf der 40-Kilometer-Strecke noch vier, fünf Mal, dann ergießt sich die Menschenmenge aus unserem Bummelzug auf den Bahnhof Lille.

Nicht zu übersehen: Viel schwer bewaffnete Polizei, Sprengstofftrupps mit top ausgebildeten Schäferhunden, die sich durch die Menge schnüffeln. Nicht leicht, all die Attentate in Frankreich sofort aus dem Kopf zu bekommen, aber wir wollen uns ja amüsieren.

Schleichend geht’s Richtung Ausgang des schönen Jugendstilbahnhofs, auf dem auch noch Unzählige auf ihre Abreise warten.

 

Vor dem Portal sehen wir erstmal nur Menschen. Viele, viele Menschen. Alle Hautfarben, alle modischen Exzesse, alle Alters- und Einkommensklassen. Dazu wachen Auges die Armee. Viele, viele Soldaten, schwer bewaffnet wie die Polizei.

Wir stürzen uns ins Getümmel und flüchten schon relativ schnell und nach den ersten Flohmarktständen und lauter Musik in die nächstgelegene Kathedrale. Mal eben Luft holen.

 

Die Stadt Lille hat im wahrsten Sinne des Wortes zugemacht. Das heißt: Kein Bus, keine Bahn, kein Autos. Die gesamte 250 000-Einwohnerstadt befindet sich im Ausnahmezustand.

La Braderie! Morgens gibt es einen Halbmarathon, offiziell ab 14 Uhr (inoffiziell schon Freitagabend) beginnen Flohmarkt und Party, die bis Sonntagabend 23 Uhr gehen. Durchgehend. Pausenlos. Gottogott.

 

Braderie musste ich nachschlagen. Es heisst Ausverkauf. Und verkloppt wird, was nicht niet- und nagelfest ist. Sämtliche Geschäfte haben ihre Ladenhüter nach außen gekehrt, jedes Ömchen, jeder Teenie seine Schränke geleert. 10 000 Stände gibt es insgesamt, 100 Kilometer Wegstrecke für Kunst und Kitsch, frühes und spätes Tchibo, Rares, Verrücktes, Chinesisches direkt aus dem Container oder mit musealem Hintergrund.

 

Was immer es an Schätzen geben mag: Wir werden es nie erfahren. Rund zwei Millionen Menschen sollen sich durchs wunderbare Lille walzen. Manchmal stecken wir mittendrin, manchmal sind wir flüchtig. Alles drängt, alles guckt, viele kaufen – es ist atemberaubend bei 24 Grad, Tendenz steigend.

Wo immer ein Plätzchen zu finden ist, werden Moules frites serviert. Das gehört für die Franzosen einfach zur Braderie. 500 Tonnen Muscheln werden an diesem ersten Septemberwochenende verspeist. 500 Tonnen!

Nach drei, vier Stunden und fast 20 Kilometern beschließen wir: Abhauen! Es ist uns zu voll, zu laut, zu zu…

 

Der Zug zurück nach Lens gehört uns fast allein. Wir genießen die Stille, den Platz, das Entkommen. Zwar bereuen wir keine Sekunde, dieses Spektakel namens La Braderie mal gesehen zu haben, aber es reicht.

 

Vom Bahnhof müssen wir nur eine Straße überqueren und befinden uns direkt in unserem Ibis Styles Paloma Hotel. Schuhe aus, Füße hoch, durchatmen.

Gegen sechs fällt uns ein, dass man ja auch noch mal was essen könnte. Restaurant, Brasserie, Bar? Nichts von alledem. Wir trätieren einen Traiteur, schnappen Paté, Baguette und einen exzellenten Roten aus Montpellier und biwakieren im Hotel. Kurz ziehen wir im Fernsehen noch einmal Bilanz und gucken uns einen ausgedehnten Beitrag über „unsere“ La Braderie in Lille an. Und wir sind einer Meinung mit den Reportern: Großartig! Was für ein Event!

 

Und während in Lille morgen ein noch größerer Ansturm erwartet wird, geht es für uns ans Meer. Jedenfalls aller Voraussicht nach.

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