Das ist ja mal etwas ganz Neues: Der Himmel ist steingrau und mit dicken Wolken verhangen. Bei 23 Grad muss man zwar das Jäckchen noch nicht auspacken, aber ein Schirm sollte wohl in der Nähe sein. Gut ausgeschlafen, Carsten, der mit dem Bike in Litauen unterwegs ist, schon zum Geburtstag gratuliert, und bereit zu neuen Wegen. Hinnis sind derweil in Pau, wir wollen mal wieder ans Meer.
Gleich gibt es erst einmal Frühstück, dann starten wir Richtung La Rochelle. Im Moment bietet es sich fast an, Autobahn zu fahren: Auch an diesem Sonntag ist kaum etwas los. Wir rauschen vorbei an zahlreichen Schlössern, Abteien und Burgen, überqueren Loir und Loire, tanken irgendwo rechts der Autobahn für 1,42/L und kommen gegen eins und nach rund 20 Euro Maut am Atlantik an.
La Rochelle ist u. a. Partnerstadt Lübecks. Klar, dass wir hier vorbeigucken müssen. Das sagen sich an diesem Sonntag und bei mittlerweile recht sonnigem Wetter Tausende. Wir parken in der Nähe der alten Markthalle, in der gerade zusammengepackt wird. Um uns herum scheinen alle Menschen Austern zu essen, wahrscheinlich von der Île de Ré, quasi vor der Haustür, vor der es die grössten Austernbänke Frankreichs gibt. Uns steht nicht der Sinn nach einem Mittagessen, wir wollen ein bisschen von der Stadt sehen.
Auch wenn in La Rochelle die internationale Schifffahrt kaum noch eine Rolle spielt – bis ins 15. Jahrhundert war der Hafen einer der bedeutendsten in Europa – , gibt’s hier immer noch einen der wichtigeren Fischereihäfen des Landes.
Das Hafenbecken des Vieux Port ist das Zentrum der Altstadt. Flankiert von drei Türmen und einer gewaltigen Stadtmauer (erinnert ein bisschen an St. Malo) gibt es zahlreichen Yachten bei Schlechtwetter Schutz, unzähligen Besuchern die Möglichkeit, einfach nur zu flanieren, uns ihre grossflächigen Tattoos zu zeigen und/oder in einem der vielen Cafés und Restaurants den Ausblick zu geniessen. Mindestens drei Veranstalter buhlen um Gäste, denen sie das legendäre Fort Boyard zeigen wollen. Das Festungswerk, 68m lang, 31m breit, bis zu 20m hoch, wurde Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts auf einer Sandbank als Schutz für das Rocheforter Arsenal und die Rade der Insel Aix vor den möglichen Invasionen der englischen Flotte errichtet. Sein Bau erfolgte in mehreren Etappen. Zwischenzeitlich hatte aber die Artillerie solche Fortschritte gemacht, so dass das Fort militärisch nutzlos war. Deswegen auch sein Spitzname “Fort der Nutzlosigkeit”. Heute dient diese Befestigungsanlage als Schauplatz für die international bekannte und ziemlich blöde Fernsehsendung Fort Boyard. Wir passen, zu diesem Schiffsausflug haben wir überhaupt keine Lust.
Stattdessen versuchen wir, den Menschenmassen durch einen Stadtspaziergang zu entkommen. Aber so richtig springt der Funke nicht über. Apropos Funke: das berühmte Rathaus wird gerade grundrestauriert, es brannte 2012 heftigst. Wir sehen also nur eine Idee der historischen Fassaden, dafür aber viele, viele Planen.
La Rochelle muss ohne uns auskommen, wir fahren stattdessen auf die Île de Ré und überlegen, hier vielleicht ein, zwei Tage zu bleiben. Die Fahrt über die Brücke kostet 16 Euro Maut, ziemlich happig. Uns kommen an diesem Sonntagnachmittag schon unzählige Autos, Motorräder und Wohnmobile entgegen – Wochenendausflügler. Es bleiben aber auch noch genügend auf der Insel. Dass diese gern mal mit Sylt, Sanibel oder Nantucket verglichen wird, ist fast schon frech… Klar, es gibt ganz schöne Strände. Aber die meisten Hotels sind neben ziemlich teuer auch ziemlich heruntergekommen. Hinzu kommt noch, dass es kaum geöffnete Bars oder gar Restaurants gibt: Die offizielle Urlaubszeit der Franzosen ist vorbei, Klappe zu…
Für diese Insel sind wir offenbar nicht reif, aber Juan hat südlich von La Rochelle ein paar schöne Plätzchen am Meer entdeckt. So verschlägt es uns zu unserer Freude nach Châtelaillon-Plage, in einen typischen Badeort direkt am breiten Atlantikstrand. In zweiter Reihe finden wir das Hotel d’Orbigny (für 63 Euro), in das wir uns gleich für zwei Nächte einbuchen. Man muss sich ja erholen! Abends gucken wir vom Restaurant Le Rivage aus den grossartigen Sonnenuntergang, geniessen Fisch und Hasen (Juan als Quasi-Kannibale), trinken einen Sancerre und haben überhaupt keinen Grund, uns über irgendetwas zu beschweren.