Wird Zeit, dass wir trotz der hohen Temperatur mal wieder auf Entdeckungsreise gehen. Unser erstes Ziel liegt nur knapp zwei Kilometer entfernt, aber kurz nach halb zehn ist es schon so heiß, dass wir ein Taxi zum Parque Lezama nehmen.
Wir sind früh aus dem Haus, weil sich für neun die Putzfrau angekündigt hat. Nein, sie ist nicht gekommen… Der Portier hat irgendwas von einem verblichenen Cousin erzählt. Wir werden sehen, wie sich das weiterentwickelt.
Im Park erklimmen wir erst einmal uralte Stufen, um dann unter wunderschönen Tipa-Bäumen auszuruhen. Außer uns gibt es ein paar schlafende Obdachlose, einige Gassigeher mit ihren Hundescharen. Und eine gepflegte ältere Dame, von der wir wissen wollen, zu welchem Viertel dieser Park gehört. Noch San Telmo? Schon La Boca? Im Süden der Stadt kennen wir uns nicht so gut aus. Die Dame weiß es auch nicht so genau, erklärt aber die russisch-orthodoxe Kirche von 1901, deren Baumaterial aus Russland stammen soll. Der letzte Zar soll das beeindruckende Gotteshaus mit den Zwiebeltürmen gestiftet haben.
Warum die Dame ganz unvermittelt auf das Thema Kaffeehäuser und Restaurants, hohe und niedrige Preise kommt, bleibt ihr Geheimnis. Wir wollen es auch gar nicht ergründen, dafür lieber frühstücken, bevor es ins Museum geht. Wie nicht anders zu erwarten, gibt es auch an jeder Ecke des Parks Bars. Da stellt sich dann auch raus, dass Park und Denkmal des Buenos Aires-Gründers Pedro de Mendoza sehr wohl zu San Telmo gehören.
Zwei Medialunas und einen Kaffee später stehen wir wieder in der Hitze, biegen von der Avenida Brasil in die Defensa ein. Das Museo Historico Nacional ist in einem wunderschönen, italienisch anmutenden Herrenhaus der Familie Lezama im gleichnamigen Park untergebracht. Wir freuen uns nicht nur auf die Klimaanlage, sondern auch auf faszinierende Exponate, die die Geschichte des Landes von präkolumbianischer Zeit über die Gründung der Stadt bis ins 20. Jahrhundert nacherzählen.
Wir freuen uns zu früh, denn das Museum ist zu. Geschlossen. Ein Wachmann gibt die Erklärung: kein Strom, kein Licht, kein Museum. Die hohen Temperaturen und der damit verbundene Einsatz unzähliger Klimaanlagen haben die Stromversorgung in über 70 000 Haushalten lahmgelegt. Das wussten wir aus den Nachrichten. Dieses Museum ist auch betroffen, das erfahren wir schwitzend vor der Tür. Und nun? Nur nichts Anstrengendes, wenig laufen und bloß nicht nach La Boca, in die absolute Tango-Touri-Hochburg.
Das Ende vom Lied: Wir strengen uns an, denn die Wanderung durch großartige Straßen, der Anblick bildschöner, zum Teil aber sehr maroder Häuser ist anstrengend. Und wir laufen viel: Hier gibt es eine neue Ecke, dort, och, lass mal kurz gucken… Und zum Schluss stehen wir vor dem Stadion der Boca Juniors, natürlich in La Boca. Auf uns ist eben Verlass…
Im ehemaligen Immigranten-Viertel La Boca ist der Wandel zu spüren. Auf El Caminito, dem berühmten Weg mit den farbenfrohen Wellblechhäusern, bröckelt es. Wenn hier nicht bald mal Hand angelegt wird, erledigt sich das Hafenviertel, das noch immer Touristenmagnet ist, bald selbst. Relativ neu ist, dass die Maradona-Puppen gegen Messis ausgetauscht wurden, neu ist auch die Omnipräsenz des argentinischen Papstes. Franziskus all over….
Wir gucken uns vor allem abseits des Trubels ein wenig um, entdecken tolle, alte Häuser, hervorragende Murals, Fassadenmalerei vom Feinsten. Und natürlich sind wir fix und fertig, haben aber nicht vor, uns hier irgendwo zwischen die Besucherhorden zu quetschen. Stattdessen per Taxi zurück zum Park. Das Museum bleibt geschlossen, also machen wir uns zu Fuß wieder auf den Weg, diesmal in die entgegengesetzte Richtung. Über San Telmo haben wir ja schon viel geschwärmt, dem wäre noch viel hinzuzufügen.
Das Museo de Arte Moderno de Buenos Aires hat uns früher schon mal angelacht, heute besichtigen wir es. Viele der argentinischen Künstler sind uns schon aus dem Museo de Bellas Artes bekannt. Einige Kunstwerke erschließen sich uns gar nicht, allen voran ein Riesenhaufen in Klopapier eingewickelter Stühle. Bestimmt großartig, aber für uns Banausen nicht nachvollziehbar. Vor den Installationen einer mit Licht und Stoff hantierenden Künstlerin hat sich eine Schlange gebildet. Man muss das Täschchen abgeben und einzeln eintreten. Innen gibt’s Lappen um die Ohren, Blitz und Donner (sehen wir in einer Fotodokumentation in einem Nebenraum). Sicherlich auch künstlerisch wertvoll, aber… merci! Wir ziehen weiter. Plötzlich stehen wir auch schon wieder auf der Plaza Dorrego, im Herzen des Viertels. Uns steht der Sinn nach ChoriPan – Grillwurst im Baguette, die wunderbare argentinische Variante zum fiesen Hotdog – und einem kalten Bier. Beides finden wir in einer uralten, traditionellen Parrilla, danach den Weg in unsere klimagekühlte Hütte.
Die Hitze schlaucht! Bewegungslos guckt Juan auf dem Sofa ein Fußballspiel der spanischen Liga, mit dem Messi und die Seinen einen anderen Verein 4:0 verkloppen, ich gucke Tatort mit Til Schweiger live im Ersten. Streaming verändert die Welt ja doch erheblich! Wir können live oder aus Mediatheken sehen, was sie wollen, kriegen über Nachrichtendienste und Apps auch das letzte Fitzelchen Weltgeschichte mit… Ich glaube, ich mache mal eine sechswöchige Frachterfahrt ohne Wifi. Mal sehen, was Juan davon hält 🙂
Später am Abend gehen wir einkaufen. Im Jumbo Supermarkt im feinen Puerto Madero – um die Ecke – soll es Spezialitäten geben. Uns steht der Sinn nach einer Paté und Schnabbelkram in der Silvesternacht. Und nach einer Flasche Schampus. Fehlanzeige auf der ganzen Linie, außer beim Schampus. Für heute Abend kaufen wir ein gegrilltes Huhn und ein paar Tomaten. Auf dem Rückweg ein Stop in einer Bar, weil der Himmel über Puerto Madero so schön ist und wir Lust auf ein Bier auf der Terrasse haben. Zuhause essen wir dann noch jeder einen Klops von gestern und ein paar Tomaten. Und morgen? Keine Idee. Ach doch: Wir haben ein gegrilltes Huhn im Kühlschrank. Und der Schampus steht kühl.