Aigues-mortes. Bonjour, Mittelalter!


2F190B21-3337-4C4B-B312-6C4D881ED2EC
Sanary verlassen wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Natürlich ist das Städtchen zauberhaft. Aber meine Rückenschmerzen vom Kinderzimmerbett sind es nicht. Ausserdem nervt uns ein bisschen die Badsituation und die Augen bleiben nicht bei jeder Schmuddelecke geschlossen. Eigentlich müsste man mal mit dem Kärcher durch die Bude. Wir aber nicht.

Es geht weiter. Über eine kleine Küstenstrasse schlängeln wir uns bei Sonne und Mittzwanziger Temperaturen nach La Ciotat. Hier wird der Hafen beherrscht von einer Werft, die offenbar auf Luxusyachten spezialisiert ist. Dolle Pötte liegen hier, möglicherweise auch an der Kette, denn hier riecht es verdächtig nach russischer Oligarchie.

Wir fahren bald weiter auf die Route des Crètes. Ein spektakulärer Weg entlang der Klippen nach Cassis. Auf halbem Weg bewundern wir das Meer, die felsigen Massive, den Blick auf La Ciotat – und treffen ein entzückendes Ehepaar als Borken, das mit dem Cabrio unterwegs durch die Provence ist. Wir schnacken ein bisschen, tauschen Erfahrungen und Tipps (Gîtes d‘hôte de charme, danke!) aus und verabschieden  uns fröhlich. 

 

In Cassis wollen  wir eigentlich nur einen Kaffee am Hafen trinken, bleiben aber auf der belebten Uferpromenade ein wenig hängen. Auch vor Furcht vor dem Rückweg zum Parkplatz, der ziemlich weit weg ist und mächtig bergauf liegt. Außerdem ist Marktzeit. Ich stelle umgehend fest, dass die Preise mindestens doppelt so hoch wie in Sanary sind. Aber ich wollte ja sowieso nichts kaufen.

 

Eine wunderbare Überraschung ist der Stopp in Arles. Nicht nur die römischen Erbstücke wie Amphittheater und mehr haben es uns angetan. Faszinierend ist auch der Turm von Frank Gehry, den sich die Hoffmann-La Roche-Erbin für ihr grossartiges Museum geleistet hat. Wir klappern den imponierenden Bau vom 9. Stock nach unten ab. In der vierten Etage sticht mich der Hafer: Es gibt zwei eng geschlungene Metallröhren, durch die man ins Paterre sausen kann. Das tut allerdings niemand. Nur – ich. Was ist mir da wohl wieder in den Kopf gekommen? Es ging fürchterlich rasant abwärts. Und am Fuss der Rutschbahn war ich einen Moment so groggy, dass ich mich einen Moment setzen musste. Speedy art…

Aber wir haben uns mehr von Arles, mehr von den Römern und mehr von Flohmarkthändlern angesehen, bevor es dann weiterging.

 

Aigues-Mortes. Unser Ziel. Croco war auch schon mal hier. Vor 66 Jahren auf Klassenfahrt. Wir haben direkt vor einem der Stadttore ein Apartment gemietet, das wir durch eine Brückensperrung mit Umweg anfahren. Wie versprochen finden wir Schlüssel und Parkkarte in einer Box an der Häuserwand. Kurz ausladen, Auto 20 Meter weiter parken, einrichten. Die Wohnung ist klein, aber hell und vor allem blitzsauber.

 

Weil wir überhaupt keine Lust auf Küche haben, gehen wir innerhalb der mittelalterliche  Mauern des Städtchens mittelgut, aber teuer essen. Erwähnenswert wäre hier eigentlich nur das Gesichts des Kochs, der aussah wie Popeye von einem verhaltensauffälligen Kind nachempfunden. Aber die Knautschvisage ist weit herumgekommen, hat sogar einige Zeit in Argentinien gekocht. Auch egal. Wir sind fertig von dem ereignisreichen Tag und schlafen wie die Babies: Im Wohnzimmer rattert die Klimaanlage und sorgt für ein angenehmes Raumklima.

 

Der nächste Morgen ist strahlend schön mit blauem Himmel und 25 Grad. Aigues-mortes ist berühmt für seine komplett erhaltene Festungsmauer aus dem frühen 13. Jahrhundert. Wir treffen auf dem höchsten Turm bei tollem  lick auf die Salzseen und Reisfelder unter uns ein nettes Trio von La Reunion, das gerade Europa unsicher macht und demnächst mit einem Schiff auf Mittelmeerkreuzfahrt geht. Dann begehen wir das historische Bauwerk: Knapp zwei Kilometer Weg entlang der Wehren, danach sind wir wegen der extremen Maihitze schon schön erledigt. Aber wenigstens haben wir die Stadt von oben gesehrn, die engen Gassen bestaunt, die nachhaltige Planung der Festung bewundert und einen vertrauenswürdigen Traitteur entdeckt.

 

Nach einer kurzen Pause sind wir on the road again. Entlang eines Rhône-Kanals landen wir in Le Grau du Roi. Die ersten Flamingos und schwarzen Stiere haben wir auch schon gesehen, dazu eine grosse Herde der zierlichen, halbwilden Schimmel, für die die Camargue berühmt ist. Le Grau ist noch immer ein echter Fischerort, allerdings mit viel überwiegend französischem Besuch. Gefällt uns ganz gut. Das kann man von La Grande Grotte nebenan nicht sagen: Fürchterliche architektonische Sünden! La Grotte ist Schrott.

 

Wir fahren zurück in unsere Festung, kaufen beim Traiteur marinierte Kalbskoteletts, trinken ein Bierchen auf dem belebten Platz inmitten des Ortes und sehen zu, dass wir nach Hause kommen. Heute abend läuft das erste von zwei Relegationsspielen des HSV. Auf dem ipad werden wir verfolgen, wie die Hamburger die Hertha hoffentlich verkloppen.

 

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen