Das Gute am frühen Aufwachen ist nicht nur eine gemütliche Kaffeeplörre aus der hoteleigenen Maschine, sondern die Zeit, sich einen Moment dieser Seite zu widmen. Wo sollte man sonst um 5:45 auch schon hin? Gestern stand vor allem Brooklyn auf dem Zettel, das uns immer mehr ans Herz wächst. Nachdem wir verschiedene Teile schon beim letzten Besuch angeschaut haben, steht diesmal Williamsburg, das an Queens grenzt, im Mittelpunkt. Morgens gab es im lokalen Fernsehen einen Bericht über eine Bürgerinitiative der hochfeinen Park Avenue in Manhattan. Alteingesessene, betuchte Bürger fürchten die Abrissbirne zu Lasten der prächtigen Bauten aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert und zugunsten gläserner Apartmenttürme. Ich bin sicher, dass sich die Anwohner der Park Avenue gegen die Trumps und ihre Baupläne durchsetzen werden. In Williamsburg habe ich meine Zweifel. Schon jetzt sind große Teile der Wasserkante mit luxuriösen Häusern zugebaut. Klar, denn hier gibt es direkt am East River noch Schnäppchen für ein paar Millionen Dollar und unverbaubarem Blick auf die Skyline von Manhattan. Aber natürlich gibt es auch noch die schönen Ecken. Nach einem moderaten Frühstück im Skylight Diner auf der 35th und 8th ave – unserem Lieblingsdiner in der Ecke, weil man dort Wall Street Leute ebenso beobachten kann wie hungrige Polizisten und Trucker oder Grossfamilien aus unaussprechlichen Ländern – geht’s mit der Metro A zur 14th St, dann weiter mit der Linie L Richtung Jamaica unterm Fluss durch. Erste Station Bedfort Avenue, und die ist auch schon richtig. Hier muss man einfach nur schlendern, gucken, staunen und sich freuen. Bäume säumen die Straße, überall findet man Cafés – klingt Rabbit Hole nicht wunderbar? -, kleine Boutiquen und illustre Mitmenschen. Wir können uns an den Details kaum sattsehen und sind trotz der ersten Baulücken, die vorzugsweise an Ecken für schicke Apartments sorgen werden, begeistert. Hinter einem Natodraht entdecke ich die goldene Kuppel einer Kirche und fotografiere ein bisschen Kunst. Dass es sich bei der Kirche, wie wir später sehen, um eine Bank gegenüber von Peter Lugers berühmten Steakhaus am Broadway von Williamsburg handelt, ist kaum erwähnenswert. Meine Bilder sind schön! Schön sind auch die Bilder, die wir nicht fotografieren, sondern nur sehen: Zum Beispiel die Gruppen schwatzender orthodoxer Frauen vor dem öffentlichen Badehaus. Alle Tragen dunkle Kleidung, alle Perücken. Irgendjemand hat mir mal erzählt, dass es in Brooklyn mehr orthodoxe Juden als in Jerusalem gibt. Kann man glauben! Damit wir möglichst viel von diesem ebenso faszinierenden wie großen Viertel zu sehen bekommen, belaufen wir es Meile für Meile im Zickzackverfahren, halten hier vor einer Galerie, gucken da mal in einen Spezialitätenladen, freuen uns über Tante-Emma-Läden, von denen es hier noch viele gibt. Nur der Blick Richtung East River erinnert daran, dass wir tatsächlich nur drei Metrostationen von Midtown Manhattan entfernt sind. Relativ wenige Touristen streunen in Brooklyn herum wie wir.
Irgendwann und nach vielen neuen Eindrücken sind wir platt. Nach Manhattan geht’s auch mit einer Fähre, und deren Anleger suchen wir. Eine fährt uns direkt vor der Nase weg, also sitzen wir in der Sonne und warten auf die nächste. Das Ticket für 4 Dollar – am Wochenende kostet es 6 – gilt für eine Fahrt entweder nach Süden zur Wall Street oder nach Norden, Midtown, zur 34. Straße, also quasi zu den United Nations. First come, first serve: wir fahren mit einem Stop in Queens zur 34. und genießen den ungewohnten Anblick von der Wasserseite. Irgendwie kriegen wir das Grinsen auch nicht aus dem Gesicht. New York war immer schon unsere Stadt, und diesmal hat sich daran auch nichts geändert. Inzwischen haben wir vom vielen Laufen Hunger. Und sind müde. Warum soll man Bus und Bahn bemühen, wenn man doch so prima laufen kann? Auf der 3rd Avenue können wir uns zunächst nicht entscheiden, was wir wo essen wollen und landen schließlich im Sarge’s, einem der älteren Delis in der Stadt. Juan bestellt ein halbes Sandwich mit Roastbeef, das turmhoch gehäufelt wird. Zwar keineswegs vergleichbar mit den Mengen, die Schippi, Natz und ich – die Person fast vergessend – noch aus dem Carnegie Deli in Erinnerung haben, aber selbst für einen fleischfressenden Argentinier kaum zu bewältigen. Und wir reden hier über eine halbe Portion – ich meine das Sandwich 🙂 Mein Salat mit Hühnerbusen hätte auch lässig für eine vierköpfige Familie gereicht. Dazu bekommen wir ein Gläschen Chardonnay, die Bedienung am Ende 50 Dollar und wir sind wieder auf der Straße, crosstown über die Avenues, noch mal eben durch Macy’s, gegen fünf im Hotel. Schuhe aus, Füße an die Wand, ausatmen… Ein Stündchen bleiben wir, Juan schläft schon, bevor sein Kopf auf dem Kissen liegt. Der Wecker reisst uns um halb sieben aus den Träumen. Aufstehen, schütteln, los geht’s Richtung Chinatown. Für den Abend ist zwar Regen angesagt, aber da tut sich nichts. Wir fahren mit der A line bis Canal und West Broadway und sind auch schon fast mitten in Chinatown, das uns erstaunlich ruhig vorkommt. Liegt es daran, dass Mittwoch ist, kommen die Touristenscharen nur tagsüber in dieses Viertel? Keine Ahnung. Unser Ziel ist die Mott street ( natürlich…), weil wir hier eine Empfehlung aus dem Frommer’s Guide folgen wollen: 451 Shanghai Kitchen. Die Bude ist voll, überwiegend Chinesen, das ist schon mal gut. Wir bekommen ein Zweier-Eckchen, aber dort zieht es höllisch. Als zwei andere Gäste aufbrechen, bitten wir um deren Tisch. Die Chefin, winzig klein, zischt Befehle ans Personal, wir ziehen um, bevor das Essen kommt. Bemerkenswert sollen die Dim Sums sein, deshalb bestellen wir vier verschiedene, dazu gibt’s Tee und eine Flasche chinesisches Bier. Ohne Glas, versteht sich… Wir bekommen je acht gedämpfte Teigtaschen mit Schwein und Garnele im Sud schwimmend. Nachdem die erste bei Hineinbeissen geplatzt ist und eine suppige Schweinerei auf dem Papiertischtuch verursacht hat, bezähmen wir die Gier und essen ordnungsgemäß mit dem Löffel: Täschchen anpieksen, Sud im Löffel auffangen, trinken, Täschchen hinterher genüsslich verspeisen und vor Glück mit den Augen rollen. Die gebratenen Jaotse sind auch ganz wunderbar, ebenso die hauchzarten vegetarischen Frühlingsröllchen. Am Nebentisch sind inzwischen zwei französische Pärchen gelandet, die bei der Bestellung immer nur auf unseren Tisch deuten. Genau das wollen sie auch. Ein bisschen wie bei Harry und Sally 🙂 Satt und selig und mit einer 50-Dollar-Rechnung, weil wir nach den Dim Sums noch ein Hühnergericht geteilt haben machen wir uns wieder auf den Weg uptown. Kein Absacker mehr, wir sind fix und fertig. Und es war so schön!
Bis dato habe ich auf jeder Reise ein Tagebuch wie dieses per Hand geschrieben. Früh morgens mit dem ipad ist auch lustig.