Es soll ja nun ein ruhiger Tag werden. Aber die Abenteuerlust lässt uns bei diesem Vorsatz im Stich: Es geht wieder los! Wir wollen den Kultursonntag standesgemäß begehen, also ist unser Ziel Schloss Schönbrunn. Dieses zählt zu den schönsten Barockanlagen Europas. Seit 1569 im Besitz der Habsburger, ließ die Frau Kaiser Ferdinands II., Eleonore von Gonzaga, 1642 auf dem Areal ein Lustschloss errichten. Die nach der Türkenbelagerung ab 1696 gestaltete Schloss- und Gartenanlage wurde unter Maria Theresia nach 1743 grundlegend modifiziert. Heute gehört das Schloss wegen seiner historischen Bedeutung, der einmaligen Anlage und der prachtvollen Ausstattung zum UNESCO-Weltkulturerbe. Also gleich mehrere Gründe, da einmal vorbeizuschauen.
Wir starten den Trip vom Naschmarkt aus mit der U-Bahn, die in Schlossnähe hält. Und siehe da: Bereits im Zug die ersten chinesischen Laute. Auf dem Weg vom Bahnhof zum Ziel wird es dann deutlich chinesischer. Ob sie wohl alle Expats sind? Lässt sich nicht ergründen.
Wir entscheiden uns gegen den Eintrittspreis von 30 Euro pro Kopf und schwelgen im weitläufigen (kostenfreien) Schlosspark in der Geschichte: 1830 wurde Franz Joseph in Schönbrunn geboren. Als er 1848 den Thron bestieg, sollte das Schloss eine glanzvolle Epoche erleben; der junge Kaiser erkor Schönbrunn zu seinem Lieblingswohnsitz und bezog die Räumlichkeiten des Westflügels, die er bis zu seinem Tod 1916 bewohnte. Während die Repräsentationsräume weitgehend unverändert blieben, wurden die Privaträume des Kaisers neu ausgestattet. Die heute noch vorhandene Möblierung zeigt mit ihrem nüchternen und eher bürgerlichen Charakter die persönliche Prägung Franz Josephs. Anlässlich der bevorstehenden Hochzeit mit Elisabeth (Sisi; Sissi mit zwei s ist nur Romy Schneider) 1854 wurde für die zukünftige Kaiserin ein Appartement ebenfalls im Westflügel eingerichtet: mehrere Räume, von denen der Salon der Kaiserin das Zentrum bildete. In Hinblick auf die bevorstehende Weltausstellung im Jahre 1873 in Wien erfolgten ab 1869 umfangreiche Restaurierungen mit Rücksicht auf die ehemalige Rokoko-Ausstattung des 18. Jahrhunderts, die ergänzt, beziehungsweise im Neorokoko als Ausdruck des imperialen Stils, wieder hergestellt wurde.
Das kann man alles besichtigen, nur eben wir nicht. Uns ist es ohnehin zu voll beim Schloss. Im Park verlaufen sich die Besucherströme, die römischen Ruinen haben wir fast für uns allein.
Im Gegensatz zu gestern weht heute nicht der leiseste Windhauch. Es ist bedeckt, schwül, 27 Grad warm und damit anstrengend, durch die Gegend zu stromern. Bald reichen uns die Habsburger Hütten, vorbei an der Orangerie und grossen Gewächshäusern hauen wir ab Richtung U-Bahn.
Eine Pause wäre nicht schlecht. In der Innenstadt ist es rappelvoll: Sonntagspromenade. Die Füße sind im Widerstand, wir müssen uns mal irgendwo hinsetzen. Das tun wir im Café vor dem Jüdischen Museum in der Dorotheergasse mit letzter Kraft. Ein Apérol Spritz hilft, wieder ein bisschen munterer zu werden.
In Wien gab es bereits 1865 ein jüdisches Museum – das erste seiner Art weltweit. Dieses hier ist relativ neu: 1993 stellte das Auktionshaus Dorotheum, das sich fast in direkter Nachbarschaft befindet und das wir gestern besucht haben, dem Museum das Palais Eskeles in der Dorotheergasse zur Verfügung. Kurz danach, in den Jahren 1995 und 1996, wurde mehr Ausstellungsflächen geschaffen, das Depot vergrößert und unser Besuchercafé sowie ein Buchladen für Fachliteratur in den Räumlichkeiten des Palais Eskeles gestaltet. 1998 wurde das Museumsarchiv mit seiner ständig wachsenden Sammlung an Material über die Geschichte des jüdischen Wiens der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Wir verschaffen uns einen Überblick über die wechsel- und oft leidvolle Geschichte der Juden in Wien und lernen die bewegte Lebensgeschichte von Stefan Edlis kennen, der mit 16 Jahren mit seiner Mutter und Geschwistern aus Wien flüchten musste und in den folgenden Jahrzehnten in den USA zu einem der international bedeutendsten Sammler zeitgenössischer Kunst wurde.
Durch seine 1965 gegründete Firma Apollo Plastics zu Reichtum gekommen, baute er mit Ehefrau Gael Neeson eine spektakuläre Sammlung auf, die auch vor provokanten Kunstwerken nicht zurückschreckte. Im Film The Price of Everything aus dem Jahr 2019 erzählt Edlis in Zusammenhang mit der Skulptur HIM des italienischen Künstlers Maurizio Cattelan – einer knienden Hitler-Figur – von seiner dramatischen Flucht in die USA. Die Figur sehen wir in diesem Museum.
Ein weiteres Highlight: Die Austellung Love me kosher. Sie befasst sich ausgehend vom paradiesischen Zustand nach der Erschaffung der Welt, über die Betrachtung von Liebe und Sexualität im Tanach, die Rolle der Schadchan (Heiratsvermittler) bis hin zu Soziologin und Sexualtherapeutin Ruth Westheimer mit den Diskussionen im modernen Judentum zu Partnerschaft und LGBTIQ-Themen. Hochinteressant!
Aber auch anstrengend. Wir wanken über die Kärtnerstrasse zur U-Bahn und rattern bequem ins Hotel. Siesta für die dampfenden Füsse, den Geist und die Seele. Für heute reicht uns das kulturelle Leben. Wir suchen nur noch ein Plätzchen in der Nähe fürs Abendessen. Nicht so einfach an einem Sonntag in Wien.
Aber Juan wird fündig: Zum alten Fassl heisst das Haus, das wir heute Abend besuchen werden. https://www.zum-alten-fassl.at/speisekarte.html Tisch ist gebucht, leider ist im Garten schon alles besetzt. Aber das macht nichts. Das Etablissement war übrigens das Lieblingslokal von Falco, der hier heldenmässig nach wie vor verehrt wird. Wir sind gespannt auf die nächste Etappe österreichischer Küchenkunst.
Der Biergarten, in dem wir tatsächlich noch einen Platz bekommen, ist lauschig, die Bedienung streng. Wir haben etwas mehr als eine Stunde. Reicht für Kalbsragout und Backhendl. Kurz, bevor wir uns durch diese Delikatessen gefressen haben, zeigt die Kellnerin ihr weiches Herz: „Ihr könnt‘s hier bleiben.“ Ausatmen, noch ein Bierchen, Attacke aufs Dessert: Palatschinken mit Marillenmarmelade, Marillenknödel in Butter gebadet… Oh, oh! Alles ganz wunderbar in unserem alten Fassl. Auf dem Rückweg, vorbei an Crocos Liebling Haas (Ferien!) finden wir noch einen kleinen Grand Marnier im Zweitbesten und danach den direkten Weg ins Kurhotel… Fix und fertig, aber fröhlich und abenteuerlustig.