Es ist acht, und wir messen schon 25 Grad. Das ist erst der Anfang, denn heute erwarten wir bis zu 32, morgen dann sogar bis 35 Grad. Am besten schnappt man sich einen kühlen Drink, legt sich an den Rand eines Pools und lässt sich halbstündlich ins Wasser plumpsen. Was dem im Wege steht: Wir haben keinen Pool.
Aber eine Karte, die uns unermüdlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf die Pirsch gehen lässt. Heute ist wieder ein ganz normaler Arbeitstag, also alles offen, die Tram recht voll. Unser Ziel: der Brunnenmarkt in Ottakring. Die Bahn 2, die uns in den 16. Bezirk bringt, rattert laut und ächzt erbärmlich. Sie ist uralt und hat selbstverständlich keine Klimaanlage. Aber warum meckern, wo Wien doch so viel Tolles zu entdecken hat.
Der Brunnenmarkt in Wien-Ottakring ist einer der letzten reinen Straßenmärkte, dazu mit knapp einem Kilometer der längste. Sofort fühlen wir uns wie auf einem orientalischen Basar. Ganz anders als auf dem Naschmarkt mit trendigen Accessoires und jeder Menge Lifestyle, sind wir nun in einem Souk gelandet. Man spricht überwiegend türkisch, aber auch arabisch. Beim Metzger starren einen die toten Augen eines Schafes an, daneben wird Obst verkauft. Haushaltswaren klappern im orübergehen im Schatten eines astrein gefälschten Guccishirts. Der Duft von Gewürzen liegt über allem. Die Preise sind hier halb so hoch wie in den schickeren Vierteln, die Ware mindestens so frisch. Natürlich ist alles halal, aber wo bekommt man Kalbschnitzel für 12,90 das Kilo? Hier wird gefeilscht und gebrummelt, Tee getrunken und ins Handy gegrölt. Sehr bunt, sehr lustig, ordentlich viel zu sehen. Aber eben heiss. Richtig heiss.
Das nächste Ziel, der Yppenplatz, entpuppt sich heute leider als Flop: Dort findet nur samstags ein – wie es heisst – bemerkenswerter Bauernmarkt statt. In Verbindung mit der Brunnengasse muss es ein grandioses Gewusel geben. Nur eben nicht heute.
Der Plan, über die belebte Josephstädter Strasse zu bummeln, fällt den noch weiter ansteigenden Temperaturen zum Opfer. Ein Pool ist immer noch nicht in Sicht, also muss zumindest eine Klimaanlage her: Wir gehen in die Albertina. Von der Kültür mit den vielen Ühs (türkisch) in die Kultur mit den vielen Ahs (Ausdruck der Bewunderung).
Per U-Bahn und Tram verlassen wir den Orient und tauchen im Okzident wieder auf. Die Qual der Wahl: Gehen wir in die Albertina Modern und setzen uns mit Ai Wei Wei auseinander oder gleich ist „Mutterhaus“? Letzteres gewinnt.
Die Albertina besitzt nicht nur eine der größten und wertvollsten grafischen Sammlungen der Welt, sondern präsentiert mit ihrer Schausammlung „Monet bis Picasso“ Meisterwerke der Klassischen Moderne. Als größtes habsburgisches Wohnpalais aus dem frühen 18. Jahrhundert thront das Museum an der Südspitze der Hofburg auf einem der letzten Reste der Basteimauern Wiens.
Unser erster Weg führt durchs von Hans Hollein entworfene Entree ins Café, damit wir nicht völlig dehydrieren. Obwohl: Bei einem Flaschenpreis von 8,50 fürs stille Wasser bleibt die Kehle fast verdörrt. Aber wir machen uns auf in den 2. Stock und werden sogleich von Monet, Picasso (auch Grossartiges aus dessen Anfängen) und Degas empfangen. Die Albertina ist wirklich schön, perfekt klimatisiert und gut besucht. Wir verharren vor den spannendsten Kunstrichtungen der letzten 130 Jahre: vom französischen Impressionismus über den deutschen Expressionismus zur russischen Avantgarde bis in die Gegenwart. Monets „Seerosenteich“, Degas „Tänzerinnen“ und Renoirs „Mädchenbildnis“ sind ebenso zu bewundern wie Gemälde von Beckmann, Chagall, Picasso, Malewitsch, Warhol und Katz. Dreht man sich um, um das Auge einen Moment auszuruhen, steht man vor einem Modigliani, Munch oder Toulouse-Lautrec. Und natürlich immer wieder Picasso. Es ist hervorragend und spannend kuratiert.
Der Fahrstuhl bringt einen dann schlagartig in eine andere Welt. In die Prunkräume der Habsburger. Die Albertina war einst das größte habsburgische Wohnpalais, bewohnt von der Lieblingstochter Maria Theresias, Erzherzogin Marie-Christine. Die in leuchtendem Gelb, Grün und Türkis gestalteten Räume sind zum Teil mit Originalmobiliar ausgestattet. Grösser als zwischen diesen Suiten und der Ausstellung im Obergeschoss könnte der optische Unterschied kaum sein. An den Wänden finden sich Faksimile von Dürers Händen, dem Hasen und vielem mehr.
Nach den vielen Kristalllüstern und habsburgischem Palaisambiente in die Fahrt ins Untergeschoss fast wie ein Schock: Hans Weigand wird mit der Ausstellung „Rider in the storm“ sehr zeitgenössisch geehrt, dazu gibt es ein paar junge Wilde und eines der letzten Werke Andy Warhols.
Es flimmert alles noch vor den Augen, als wir wieder ins Freie treten und Richtung Stephansplatz schleichen. Ein kurzer Ritt mit der U-Bahn, der Treppenaufstieg am Halt Taubstummengasse – und dolce far niente.
Für den Abend hatten wir zwar einen weiteren Besuch im alten Fassl geplant, aber allein der Gedanke an die wunderbare Wiener Küche bei diesen Temperaturen macht uns fertig. Es wird wohl eher ein Vietnamese mit leichten Sommerrollen werden…
Genauso ist es gekommen: Sommerrollen und mehr Leichtes.