Damit Rosie mit ihrem Temperament nicht durchdreht, braucht sie hinten neue Bremsbeläge. Das wissen wir seit Vancouver, hat gestern in Prince Rupert schon mal aus Termingründen der Werkstatt nicht geklappt.
Deshalb sind wir sehr früh in Terrace aufgestanden und haben angefangen, die Werkstätten abzuklappern. Der Erste hat den nächsten Termin Freitag in einer Woche. Aber einen Tipp: Yellowhead Highway bis Tim Hortons, dann rechts. Innovation autoworks auf der Kalum St. finden wir sofort. Da treffen wir entzückende Leute, die unser Problem sofort verstehen. Sie wollen sich die Kiste von unten ansehen, haben aber online schon mal gecheckt, ob es die Ersatzteile für Rosie überhaupt in Terrace gibt. Gibt es. Zwei Szenarien: nur Bremsbeläge neu, Nummer zwei: Bremsscheiben auch neu.
In einer Stunde wissen wir mehr.
Tyler bekommt unseren Schlüssel, wir verabschieden uns zu Tim Hortons zum Kaffeetrinken. Da treibt uns Sheldon, einer der Bosse auf, um die Wartezeit zu verkürzen (wo, bitte, gibt es sowas?). Szenario 2 ist in Kraft, Sheldon besorgt, was gebraucht wird, um 10:30 können wir voraussichtlich vom Hof rollen. Nun könnte man greinen und weinen, dass die Rechnung über 600 Dollar hoch ist – aber das macht nur Falten um die Augen. Die machen wir nun zu – und durch 🙂 Sicherheit geht vor. Wir haben schliesslich noch viele, viele Kilometer vor uns – und wir bremsen ja bekanntlich auch für Tiere, am liebsten Bären, Elche, Wölfe. Das muss Rosie genauso mitmachen (können) wie das Auf und Ab in den Rockies.
Sheldon bittet uns noch, zehn, fünfzehn Minuten durch die Gegend zu fahren, damit sie die Radmuttern noch einmal nachziehen können, also stromern wir bei strömendem Regen durch Terrace, lassen das erledigen und bekommen noch den Tipp, 100 km weiter östlich bei Canadian Petrol nochmals nachziehen zu lassen.
Schade, schade, dass das Wetter so mies ist. Aber trotzdem sehen wir die schöne Landschaft, fahren an Flüssen entlang und durchqueren Täler – sehr, sehr hübsch. In Katawanga halten wir an der Tankstelle. Der grosse Indianer, der die Werkstatt führt, ist nicht nur extrem unfreundlich, sondern auch noch hackezu. Er riecht wie eine zerbrochene Schnapsflasche und grölt die ondulierte Omi an, die das Café führt. Mannomann, das ist ja eine Szene hier! Irgendwie finden sie einen Menschen namens Keith, der die Muttern nüchtern nachdrehen kann. Wir tanken voll und biegen links in die 37 ein: Der Cassiar Highway ist der Verbindungshighway zwischen dem Yellowhead Highway und dem Alaska Highway.
Unser nächstes Ziel ist Stewart. Uns gehen die Adjektive für die Beschreibung dieses Weges aus. Atemberaubende Panoramen, grossartige Seen, endlose Wälder, gewundene oder auch wieder schnurgerade Strassen – wunderschön! Nur leider: Obwohl das hier ganz klar ihr Habitat ist, lassen sich weder Bären noch Elche sehen. Wir freuen uns über jeden Adler, der seine Kreise zieht.
Die 37a, eigentlich eine bärensichere Strasse, führt uns – vorbei an einem tollen Gletscher namens Bear Glacier – quasi ans Ende der Welt: Stewart hatte um die vorvergangene Jahrhundertwende um die 10 000 Einwohner: Goldgräber, Minenarbeiter, Hasardeure – von allem etwas. Mit dem Börsencrash von 1929 war Stewart am Ende. Heute leben rund 900 Menschen hier, mitten in der Wildnis, aber durch den Portland-Kanal mit Anbindung an den Pazifik.
Wegen des Schietwetters haben wir überhaupt keine Lust auf Camping, sondern ziehen ins Hotel Edward ein, das Unterkunft, Restaurant, Bar, Waschsalon und Liquor Store in einem ist. Kaum eingezogen, drängt es uns auch schon wieder raus: Wir wollen Bären sehen.
Erst einmal geht es aber nach Alaska!
Erstmalig setzen wir in Hyder einen Fuss in den nördlichsten Bundesstaat der USA. Wenn Trump wüsste, dass die Amis hier jeden unkontrolliert über die Grenze lassen. Aber der hat ja mit der Kündigung des Klimavertrags genug zu tun…. Wir reisen also einfach so in die USA ein. Der Ort nennt sich selbst „Alaskas freundlichste Geisterstadt“. Nur 90 Einwohner gibt es hier, aber viel, viel Natur. Im Spätsommer kann man hier Grizzlies beobachten, die Lachse fangen. Im Moment sind die Lachse noch im Meer, die Bären stromern durch die Gegend.
Nach einer kleinen Rundtour reisen wir mit Pass und Grenzkontrolle ordnungsgemäss wieder nach Kanada ein. Mit der Tourist-office-Frau in Terrace haben wir schon sehr gelacht: Viele, viele Touristen fahren genau bis Hyder, erzählen dann aber der Welt von ihren grossartigen Alaska-Eindrücken. Stimmt, wer in Hyder war, war in Alaska.
Aber so wirklich und richtig auch wieder nicht… Hyder ist eine Sackgasse. Es geht ein paar Meilen ins Land, zu einem weiteren Gletscher – und dann nur noch zurück.
Nachdem wir einen wunderbaren Regenbogen über Stewart gesehen haben, entdecken wir im Regen ein kurzes Stück hinterm Ort schwarze Öhrchen: ein Bär guckt uns neugierig an, wir gucken begeistert zurück. Bevor es ein Foto gibt, ist Petzi auch schon wieder abgehauen…
Während des Dinners im Hotel läuft eine Waschmaschine für uns, wir trinken Alexander Keith’s Pale Ale, essen Krabben, Fish & chips und gegrilltes Kotelett. Natürlich gibt es hier Alaska-Krabben – wir sind ja nur 500 Meter entfernt. Unwirklich!
Während die Wäsche im Trockner ist, gucken wir auf ein Bier in der Bar vorbei Was für eine Szene! Der Billardtisch hat Feierabend, die Dartscheiben bleiben unbespielt, das Volk zockt Bingo und trinkt sich die Welt schön. Was für Typen! Einige sehen so aus, wie die Hipster in Europa gern aussehen würden: Langbärtig, karierte Hemden, Jeans und natürlich Tattoos. Haben die hier auch alles, nur nicht Parfümerie-gepflegt. Und unsere hier würden sich eher mit der eigenen Axt einen Arm abhacken, als mit einem anderen, nach Moschus und Vanille duftenden Kerl vegane Rezepte auszutauschen…
Das Bier wird aus der Flasche getrunken, das gepiercte und bunt gefärbte Personal reagiert auf Zuruf, belästigt aber niemanden. Nach einer halben Stunde ist die Wäsche fertig – und wir auch. Buenas noches…