Unser Zelt ist groß genug, die Matratze gemütlich, die Schlafsäcke auch. Aus Handtüchern und Jacken basteln wir uns Kopfkissen, zur Sicherheit hat jeder doch eine Fleecedecke dabei. Draußen vor der Reissverschlusstür trippelt ein Geier rum, ein paar Vögelchen singen sich gute Nacht.
Unsere ist gegen drei zuende: Wir wachen fast gleichzeitig von Kälte gebeutelt auf. Die Temperatur ist ungefähr auf den Gefrierpunkt gesunken und wir klappern und zittern. Mit Fleecedecken und Jacken wird alles besser, nur meine Füße bleiben massive Eisblöcke. Ich zieh mir die Kapuze meines hoodies übers Gesicht, Juan mummelt sich ebenfalls ein und wir schlafen bis sechs. Draußen tobt das tierische Leben, alle Vögel zwitschern sich schon ihre Träume zu.
Juan holt erst einmal Wasser und kocht auf unserem famosen Kocher Kaffee. Ich trinke einen Schluck eiskaltes Wasser: Unser Kühlschrank hätte diese Kälte nicht hingekriegt.
Fazit unserer ersten Nacht im Zelt: Alles prima, nur wir zu doof, um an den Nachtfrost zu denken. Und natürlich haben wir genügend Klamotten dabei, um Frostbeulen zu verhindern.
Der erste Kaffee ist ein Traum und weckt wirklich alle Lebensgeister. Der Blick auf die Torres in der aufgehenden Sonne dazu ist einmalig! Die Dusche in der pieksauberen Dusch- und WC-Hütte bringt die Körpertemperatur wieder auf ein normales Maß. Juan macht Frühstück: Toast, Spiegeleier, Kaffee. Herrlich! Aber schon während wir essen, verzieht sich die Sonne und es wird grau. Regen ist angesagt. Wir haben verschiedene Optionen. Hierbleiben, auf einen anderen Campingplatz umziehen oder abhauen. Ach ja: Oder ein Hotel für rund 400 US die Nacht; das fliegt sofort aus dem Kalkül. Erst einmal beschließen wir den Abbau des Zeltes, weil wir auch nicht wissen, wie wir es im Falle eines Regens schnell wieder trocken bekommen. Unser einziger Nachbar, ein deutscher Wanderer, baut auch schon ab, bietet uns sein restliches Campinggas an, hat aber leider ein anderes System.
Bis alles wieder abgebaut und richtig verstaut ist, der Abwasch gemacht und wir fertig sind, wird es zehn. Toller Campingplatz, finden wir beide.
In den folgenden Stunden macht der Anblick der wirklich atemberaubenden Natur die unsäglichen Waschbrett-Verhältnisse der Schotterpiste wett. Wir genießen die Ausblicke und wissen, dass wir hier etwas ganz Besonderes erleben. Das Massiv der Torres del Paine verändert sich durch Sonne, Wolken scheinbar minütlich, ebenso der Himmel über Patagonien, der es mir ganz besonders angetan hat. Plötzlich entdecken wir ihn: ein Kondor, der über uns schwebt. Wir bleiben sofort stehen. Es kommen noch drei weitere hinzu – sensationell. Unsere Kamera kann die Schönheit dieser mächtigen Vögel gar nicht richtig erfassen. Also gucken wir einfach und sind sehr, sehr froh, dass wir die Kondore beobachten können. Wir haben das Schönste gesehen, die Wettervorhersagen sind schlecht, also verlassen wir den Park langsam Richtung chilenisch-argentische Grenze. Unterwegs sehen wir die größten Guanokoherden, die wir jemals getroffen haben. Hunderte!
Da wir noch Schinken und Käse, eine Birne und zwei Tomaten haben – nichts davon darf nach Argentinien mitgebracht werden – gibt’s ein kleines Picknick am Straßenrand vor toller Kulisse. Die gefällt offenbar auch einem Paar im gemieteten 4×4, das neben uns hält. Franken in unserem Alter, die am Starnberger See wohnen. Früher mit Motorrad und Zelt unterwegs, in Europa jetzt mit Mercedes-Wohnmobil. Das hätten sie für ihre 4-Wochenreise durch Chile und Argentinien gern dabei. So fliegen sie, mieten vor Ort Autos und wohnen in vorgebuchten Hotels. Sie sprechen kein Wort Spanisch, aber es geht ja auch so irgendwie immer. Zwar wandern sie auch hier in den Anden, aber zuhause kümmert sich der Alpenverein um die Wanderwege. Da muss man hier natürlich Abstriche machen… Der Herr findet die Alpen sowieso schöner als die Anden. Nächstes Wochenende fliegen sie endlich wieder nach Bayern, gehen nach Weihnachten skifahren.
Wir trollen uns Richtung Grenze. Schotter, na klar. Aber nur 60, 70 Kilometer. Bei den Chilenen werden wir relativ schnell abgefertigt, bei den Argentiniern geht es wieder nur kompliziert. Wir sind bei einem ziemlich vereinsamten Grenzposten gelandet, die Beamten sind heillos überfordert, machen sich aber wichtig. Einer muss die Papiere vor sich laut vorlesen, um den Inhalt halbwegs zu erfassen. Der zweite zählt die acht Monate, die das Vehicle im Land bleiben darf, an den Fingern ab – und verzählt sich. Endlich haben wir alle Papiere, die ich ausfülle – offenbar ist der Grenzer wirklich zu blöd für seinen Job. Zum Glück reisen wir später noch mal ein und aus, damit es alles wieder ordentlich wird. Ich rege mich noch ein bisschen über die bekloppten Zöllner aus, aber wir holpern wenigstens wieder in Argentinien, befahren die Ruta 40, die längste Straße der Welt, auf der wir auch im Norden schon unterwegs waren. Sie ist asphaltiert! 250 oder so Kilometer trennen uns von El Calafate, der Welthauptstadt der Gletscher. Wir nehmen einen 80-Kilometer-Umweg in Kauf, um ein 70-Kilometer-Stück wirklich übler Ripiopiste zu vermeiden.
El Calafate. Seit wir vor 20 Jahren hier gewesen sind, hat sich eigentlich alles verändert. Die 1000 Einwohner von damals sind zu 24000 heute geworden, auf der Hauptstrasse tobt das touristische Leben. Wir suchen wieder einmal ein Zimmer, landen im Hotel Kelken. Ganz ok, aber natürlich funktioniert das wifi wieder mal nicht. Egal, wir sind sowieso fix und fertig, essen gegenüber in einem ganz guten Restaurant Milanesas zu Salat und fallen wenig später in einen traumlosen Schlaf.