So ganz früh, wenn noch alles schläft, sieht Dawson City noch mehr nach Filmkulisse aus, als gestern bei Tag. Wir sind nach einer guten Nacht, die niemals dunkel wurde, früh auf den Beinen und ganz allein im Badehaus. 6 Minuten duschen für zwei Dollar. Das klingt kurz, ist aber viel Zeit. Nachdem es gestern Abend noch weit über 25 Grad warm und entsprechend knuffig in Rosie war, ist es über Nacht wieder heftig abgekühlt auf gerade einmal fünf Grad. Aber man kann sich ja etwas anziehen…
Schon vor acht dackeln wir los, gucken noch mal kurz durch den menschenleeren Ort, kaufen Coffee to go an der Tanke und warten am Ufer des Yukon auf die kleine, kostenlose Fähre, die uns über den Fluss bringen wird. Der Strom ist schwer in Bewegung. So sehr, dass mehrmals am Tag die Landeplätze der Fähren mit Sand aufgeschüttet werden müssen, weil die Strömung alles wegreisst.
Vor uns liegt der Top of the World Highway, der uns erst an die US-Grenze und dann direkt nach Alaska führen wirst.
300 Kilometer liegen vor uns bis nach Tok, der ersten nennenswerten „Stadt“ in dieser Ecke Alaskas. Der Weg ist ja bekanntlich das Ziel – aber dieser Weg ist Pest und Pocken: Sandpisten wechseln sich ab mit Schotterstrecken, Schlaglöcher mit plötzlichen Untiefen. Schlechter waren die Strassen in Patagonien auch nicht. 106 Kilometer sind es von Dawson City bis zur Grenze. Es rüttelt und schüttelt und staubt und knattert. Meine Güte!
Aber belohnt für die Mühe werden wir mit herrlichen Ausblicken auf die Alaska Berge, die immer schneebedeckt bleiben, in tiefe Täler, undurchdringliche Wälder und auf glitzernde Flüsse. Irgendwo auf einem Rastplatz treffen wir ein Ehepaar aus Iowa, deutlich älter als wir, das mit seinen beiden Motorrädern unterwegs ist. Im Denali, dem berühmten Nationalpark zwischen Fairbanks und Anchorage, wollen wir uns wiedersehen. Fröhlich machen wir uns weiter auf den Weg, als Rosie plötzlich elektronisch Reifendruck-Probleme meldet. Sofort angehalten – nichts zu sehen. Aber das Lämpchen leuchtet…
An der Grenze – nur die Amis kontrollieren – müssen wir aussteigen, Fingerabdrücke, Fotos. Das alte Spiel. 6 Dollar kostet die Prozedur pro Nase. Nur: Wir haben keine US-Dollars. Ich biete kanadische oder auch eine Kreditkarte. Aber auf diesem gottverlassenen Grenzposten geht nur cash. Keine Kohle – nichts bezahlen. Hä? Don’t worry… Auch das haben wir noch nie erlebt. Der beleibte good cop grinst freundlich, bad cop Modell Ex-Marine bleibt stoisch. Ich frage ihn noch, warum denn so viel Deutsches angeschlagen ist in dieser winzigen Zollbude, die nur im Sommer und auch nur tagsüber geöffnet ist. Weil fast alle, die den Top of the World Highway fahren, Touristen aus Deutschland sind. Ja, ja, die harten Kerle…
Vor der Tür ist mein Kerl sauer: der rechte Hinterreifen ist fast platt. Nützt nichts, wir müssen den Reifen wechseln, wobei sich meine Aufgabe im Wesentlichen darauf beschränkt, Erkenntnisse zu diesem Thema aus dem Benutzerhandbuch weiterzugeben.
Zum Glück sind wir auf einer asphaltierten Scholle. Ich frage die officers, ob wir direkt vor ihrer Tür den Reifen wechseln können, bad cop will gerade was Fieses sagen, good cop schnellt mit einem „Sure“ dazwischen.
Mein Held! Er sieht zwar inzwischen schmutzig wie ein Kfz-Mechaniker nach einem langen Arbeitstag aus, aber hat die Rosie aufgebockt, den platten Reifen (den wir vor ein paar Tagen – oder ist es schon Wochen her? – in Prince Rupert neu gekauft haben…) abgeschraubt, unter dem Auto den Ersatzreifen gelöst… Inzwischen sind Iowas an der Grenze und drücken die Daumen, ein anderer Truck hält und fragt, ob wir es bis Tok schafften… Good cop meint, im nächsten Ort, in Chicken könne man uns helfen.
Mein Held hat alles im Griff, wir sagen dem Zoll tschüs und hoffen, 80 Meilen später den Originalreifen reparieren lassen zu können. Aus langer USA-Erfahrung wissen wir, dass die Strassen in relativ gutem Zustand sind. Diese nicht. Der US-Teil des Top of the World Highways ist deutlich garstiger, als der in Kanada. Und der war schon schaurig… Nun darf uns nur kein zweiter Reifen versagen, dann sind wir geliefert.
Wir ruckeln und zuckeln bis Chicken. Der völlig bedeutungslose Minen- und Goldsucherort ist zu einer Art Berühmtheit geworden, weil sich hier eine maulige Lehrerin den Frust über die Arbeit in völliger Abgeschiedenheit von der Seele geschrieben hat. Das fand ein Publikum, davon lebt Chicken heute. Unsere beiden Motorradfreunde drücken uns weiter die Daumen und düsen los. In Chicken gibt es keine Hilfe. Also noch mal 120 Kilometer Huckelpiste mit angeschossenem Ersatzreifen. Trotz der Sorge begeistert uns die Landschaft. Hinter jeder der zahlreichen Kurven eröffnet sich ein neues, immer faszinierendes Panorama. Bis auf 1200 Meter klettern wir hoch. An einigen Stellen ist die Strasse so eng, dass wir uns gar nicht vorstellen möchten, wie sich da zwei dicke Wohnmobile aneinander vorbeiquetschen.
Möglicherweise sind Staub und Dreck von der Strasse schuld daran, dass wir kein einziges Tier sehen. Jedenfalls knattern wir irgndwann in Tok, wieder am Alaska Highway gelegen, ein. In einem grossen Motel frage ich nach einem Mechaniker – die empfohlene Bude sieht nicht sehr vertrauenserweckend aus. An der Shell-Tankstelle kann niemand helfen, dafür aber bei Chevron. Für 25 US-Dollar wird Rosies Puschen wieder hübsch gemacht. Frauen und ihre Schuhe, sagt Juan.
Es ist brüllend warm hier in Alaska. Ausserdem war der Weg hierher nach Tok anstrengend genug. Wir beschliessen, uns ein Motel zu gönnen, zumal auch keines unserer Geräte mehr läuft: alle Akkus sind leer. Also tanken wir Strom und erholen uns im Three Bears Motel. Abendessen gibt es aus dem eigenen cooler: schlichte Bemmen. Wir haben einfach keine Lust, auch nur noch einen Fuss vor die Tür zu setzen…