Leider sind wir immer noch ziemlich angeschlagen, deshalb nehmen wir uns auch vor, heute keine grossen Sprünge zu machen. Ganz gemütlich gondeln wir über Narbonne und Béziers nach Sète, stellen das Auto ab und gucken uns erst einmal ein bisschen um. Viel Wasser, viel Schifffahrt, viele Cafés und bunte Blumen.
Ein interessantes Städtchen: Der Bau des Canal du Midi und Emigranten aus Süditalien haben das Cap de Cette zum Leben erweckt. Daraus ist mit Sète der grösste französische Fischereihafen im Mittelmeer und die Basis der Thunfischflotte entstanden. Makrelen, Sole, Dorade, Loup de mer, Tintenfische, Austern, Muscheln und Shrimps werden hier ebenfalls gefangen.
Wir kommen aus Südwesten über eine schmale, 15 Kilometer lange Sandbank, auf der Reben («vin de sable») gedeihen, in den Ort und suchen eine Bar, in der man uns ein Sandwich zum Kaffee reicht. Nicht ganz einfach, denn mittags wird hier wie überall in Frankreich richtig und mehrgängig gegessen.
Also landen wir in einem Viertel, das meine Stiefgrossmutter, Tante Nanni, „Nachtjackenviertel“ genannt hätte, was ich aber nie richtig verstanden habe (gehört auch gar nicht hierher, werde über Nanni wohl ein Buch schreiben müssen).
Man muss hier genau hinhören bei dem mit Italienisch, Katalanisch und Languedocien durchmischten lokalen Dialekt, der noch eine Spur nasaler wirkt als in Marseille oder im benachbarten Montpellier.
Sète ist historisch durch Einwanderer aus Kalabrien und Immigranten aus den Küstenstädten Salerno, Formia und Cetara geprägt worden. Italien erlangte nach der Mitte des 19. Jahrhunderts zwar seine nationale Einheit, doch wirtschaftlich hatte der Mezzogiorno damals wenig zu bieten. Das damals industriell erwachende nördlichere Europa wirkte als Magnet: Frankreich brauchte Arbeitskräfte, die Italiener reisten an. Erste Anlaufstationen dieser Emigranten waren Marseille, Toulon und der Hafen Cette. Die engen Gassen der verschachtelten Quartiere erinnern bis heute an süditalienische Hafenstädte. Von bürgerlichem Wohlstand, der anderswo auch in Südfrankreich in typischer Haussmann- oder Belle-Epoque-Architektur zum Ausdruck kommt, ist hier kaum etwas zu sehen. Wer den absoluten städtischen Kontrast zu Cannes oder Monaco sucht, wird an der Côte d’Azur in Sète fündig.
Wir werden auch fündig, teilen uns ein Sandwich ubd trinken Kaffee mit Blick auf den Catamaranhafen.
Nach Sète wollte ich unbedingt, denn ich habe auf zdf neo „Candice Renoir“ kennengelernt: Frisch getrennt und mit vier Kindern im Gepäck, trifft die Hauptkommissarin aus Singapur in Südfrankreich ein und wagt den beruflichen Wiedereinstieg nach zehn Jahren Auszeit. Mit der Feindseligkeit, die ihr Team ihr entgegenbringt, und ihrer zynischen Vorgesetzten hat Candice nicht gerechnet. Ich auch nicht, deshalb bin ich hängen geblieben. Eine entzückende Person mit wunderbar menschlichen Macken. War interessant gemacht und die Bilder aus der Gegend haben mir gut gefallen. Es soll nun bald eine zweite Staffel geben; freu‘ mich drauf.
Trotz der Sonne und Temperaturen um 25 frösteln wir. Kein gutes Zeichen, aber es wird schon besser. Wir wollen nicht in Sète bleiben, sondern auf die andere Seite des Thau, nach Mèze. Dort waren Hinnis gestern, soll hübsch sein. Dort wollen wir auch eine Hütte suchen. Zunächst aber staunen wir über schier unendliche Austernbänke im See, die wie abgestorbene Wälder wirken. Viele der hier lebenden Familien leben seit Generationen von den Austern. Ginge es nach uns, wären sie alle pleite.
Aber wir müssen ja auch nicht alles essen, was wir sehen. Zunächst einmal Mèze, ein niedlicher Hafenort, umgeben von niedrigen Häusern, in denen Restaurants untergebracht sind. Wir beobachten einen gerade einfahrenden Touri-Katamaran, der seine überwiegend weissschopfigen Gäste zu den Austernbänken motort hat. Unter Klängen der Marseillaise tuckert der Kahn wieder in den Hafen. Ganz schön, dazu tolles Wetter, also bleiben wir.
Gar nicht so einfach. Das erste b&b, in dem es laut booking noch Platz geben soll, winkt ab. Voll. Eine kleines Hotel an einer verkehrsreichen Ecke will 95 Euro plus Frühstück. Oh. Wir gegen mal zum tourist office. Die Dame hat eine Liste mit sechs, sieben Unterkünften, müsste aber durchrufen, ob es noch irgendwo Platz gibt. Wir gucken lieber auf eigene Faust ubd stehen bald vorm Le Pyramide. Etwas ausserhalb, sehr schön gelegen, so angenehm, weingecheckt.
Unsere Erholungsphasen sind im Moment ein bisschen länger, aber sei’s drum. Am frügen Abend machen wir uns zu Fuss auf den Weg zum Hafen von Mèze, suchen eines der Restaurants aus und essen ganz gut zu Wein aus dem Languedoc.
Zu Fuss zurück, satt und auch schon ein bisschen besser beinander. Das heitertt die Stimmung deutlich auf. Unsere letzte „Amtshandlung“: Wir schreiben an Agnetha und Erling und kündigen uns für den nächsten Tag auf ihrer wunderbaren Mas Rabassan im Herzen des Liberon an. Die Antwort kommt nahezu postwendend: Es gibt Platz, wir sind willkommen und schlafen mit einem Lächeln ein
sehe ich da ‚pfui‘ auf dem Tellerchen ? mmmhhhh
öm. murmel, murmel…