Sanary. Turbulente Tage.

Es hat geregnet und gestürmt, ist zehn Grad kälter als in Hamburg und dennoch schön, dieses Sanary. Nur ein Problem müssen wir lösen: Das wifi ist wirklich lausig. Wir haben einen mobilen Router im Auto, der allerdings erst scharf gemacht werden muss. Das ist im Ort nicht möglich, denn am Häfchen gibt es bestenfalls eine sim card, die uns allerdings auch nicht wirklich weiterhilft. Doch erst einmal ist wieder Markt: Trotz dunkler Wolken wird ab fünf Uhr morgens aufgebaut.

 

Der Mittwochmarkt von Sanary am Hafen wurde zum schönsten Frankreichs erkoren. Und trotz des anfangs unwirtlichen Wetters und der Grossbaustelle hat sich der Markt den ganzen Charme erhalten. Wir stöbern durch Bücher und Klamotten, prüfen Gemüse und Hüte, schlendern vorbei an Fischständen und Korbwaren. In der vergangenen Woche war der Hafenrand durch den Feiertag komplett überfüllt, heute kann man alles gemütlich ansehen.

 

Gegen Mittag lassen wir die Händler in Ruhe ihre Stände wieder abbauen und machen uns auf den Weg nach La Seyne, in den etwas grösseren Ort, der zwischen uns, Six Fours les plages und Toulon liegt. Juan hat dort eine Free-Niederlassung gefunden, in der wir unser leidiges Online-Problem lösen werden. 

 

Die Filiale befindet sich in einer Mall. Innerhalb von Minuten kaufen wir an einem Automaten eine simcard mit erstaunlichen 300 (!) Gigabyte für rund 30 Euro und 30 Tage. Anschliessend tauchen wir ein in den riesigen Auchan Supermarkt. Hier gibt es wirklich alles und das auch noch in Variationen. Beladen mit einigen sehr guten Weinen, diesem und jenem verstauen wir alles im Auto und überlegen, La Seyne mal anzusehen. 

 

Der Ort liegt auf einer halbinselartigem Vorlagerung gegenüber von Toulon, das man auch vom Jachthafen aus immer im Blick hat. Einschliesslich der Kriegsschiffe und verrottenden Kähnen, die einfach so im Wasser rumliegen und das sicherlich noch viele Jahren machen werden.

 

Wir finden einen schönen Hafen mit bildschönen Yachten, ein paar Cafés und Boutiquen. Dann weist ein Schild auf Saint-Mandrier-sur-Mer. Was mag das denn sein? Angucken! Die Halbinsel ist über eine gut ausgebaute Strasse mit dem Festland verbunden und dennoch eine Welt für sich. Wunderschöne Villen, grossartig angelegte Parks, unberührte Natur, dann wieder ein Sporthafen. Sehr schön. Dennoch: Wohin man sieht, fast überall ist Toulon. Wir fahren den kurvenreichen Weg wieder zurück, passieren die berühmte Janneau-Werft, sehen Yachten an Land, auf die bestimmt schon irgendwelche Oligarchen lauern, und die später sicher in Cannes oder Monte Carlo gesichtet werden können.

 

Wieder zuhause, fummelt Juan die neue sim card in den Router. Voilà! Der Fernseher läuft mit Chromcast, die ipads glühen wieder. Alles schön. Zum Abendessen gibt es zu einem guten Bordeaux Reste eines Estragon-Huhns, das wir mit gebratenen Champignons verlängern. Das Wetter hat sich deutlich gebessert, deshalb überlegen wir, am nächstem Tag einen Ausflug vorzuziehen. 

 

Marseille! Wir waren schon sehr oft in Südfrankreich, ein paar Mal auch in Marseille. Aber irgendwie immer nur kurz irgendwo am Hafen etwas essen und das Auto im Blick, das ja sicher aufgebrochen, geklaut oder sonstwas würde. Der Ruf von Marseille ist nicht der beste, aber mittlerweise waren wir weltweit in so vielen Orten, in denen heimtückisches Meucheln zum liebsten Freizeitvergnügen gehört, dass uns Frankreichs zweitgrösste Stadt nach Paris nicht schreckt.

 

Uns reizt der Markt von Noailles, eine feines Stück Maghreb mitten in der Stadt. Auch deshalb beschließen wir, per Zug anzureisen. Kurz nach neun sitzen wir im Bus, eine halbe Stunde später im Doppeldecker-Regionalzug. Die Fahrt geht über Bandol, St. Cyr, La Ciotat und Aubagne. 50 Minuten später rollen wir im Hauptbahnhof ein, der wirkt, als habe Monsieur Eiffel hier auch die Finger im Spiel gehabt. Muss man noch mal eben nachlesen.

 

Schon in der Ankunftshalle wird klar, dass wir ganz, ganz weit weg von Sanary sind. Die Umgangssprache wechselt rasend schnell von Französisch auf Arabisch, kurzberockte Mädchen lachen mit vollverschleiertem Frauen, Männer rauchen dünne gelbe Zigaretten oder die inzwischen unvermeidlichen E-Zigaretten.

 

Klar könnte man sich mit Bus, Strassenbahn oder auch Metro fortbewegen, wir entscheiden uns glücklicherweise für einen Spaziergang. Was für eine Stadt! Quirlig, lustig, laut auf der einen Seite, herb und brandgefährlich im Norden, den man tunlichst meiden sollte. Aber den haben wir auch gar nicht auf dem Zettel, sondern wandern über breite Boulevards und durch enge Gässchen Richtung La Noailles. Und dann sehen wir ihn auch schon, den Markt: Wenn für irgendetwas der Begriff multikulti zutrifft, dann für diesen verhältnismässig kleinen Platz, an dessen vielleicht zwanzig, dreissig Ständen sich Menschen aller Hautfarben, Religionen und Herkünfte tummeln. Grossartig zu sehen, wie sich die Pailletten in den Gewändern der Afrikanerinnen mit den brillantenbesetzten Handschuhen von Araberinnen ein Glitzerduell liefern. Am Obststand prüft ein älterer Jude mit Käppi Orangen, lässt sich von einem Verkäufer mit Palästinensertuch beraten. Wir tun das einzige, wozu wir gerade in der Lage sind: Setzen uns auf die wackeligen Stühle eine Cafés mitten auf dem Markt, bestellen Kaffee und Croissants und – ja, und glotzen. Was für Gesichter! Welche Gestalten! Die Vielfarbigkeit des Lebens und der Gewänder zu einem fröhlichen Miteinander aufgemischt. Man mag gar nicht weiterziehen!

 

Wir tun es dennoch, denn der Fischmarkt am Alten Hafen wird gegen Mittag abgeräumt. Also schlendern wir weiter immer bergab, bis wir das Wasser erreichen. Strassenmusikanten sind schon von weitem zu hören, an den Ständen palavern Fischfrauen mit Hausfrauen und auch Touristen. Rechts liegt das berühmte Hotel La Samaritaine mit seinem schönen Café, hinter uns das Stammhaus von Ricard mit dem vielleicht ehrlichsten Pastis. Wir lassen uns bei strahlendem Wetter einlullen von der Kulisse, der Musik, den Menschen, beschliessen aber dann doch noch, das alte Viertel Le Panier zu besichtigen. Das beginnt fast hinter dem Samaritaine, aber der erste Eindruck ist trügerisch: Es geht aufwärts und zwar steil. Über Hügel und Treppen keuchen wir uns durch die engen Gassen, nehmen Restaurants und Galerien wahr, machen einen Abstecher ins Museum in der Alten Charité. Ein Moment der Ruhe bei den alten Ägyptern, dann geht es wieder Richtung Hafen steil abwärts.

 

Hier reiht sich ein schickes Restaurant ans andere, tolle Fischgerichte, überall Blick auf die Schiffe, gepflegte Gastlichkeit und kultiviertes Publikum. Man hat die Qual der Wahl – wir nicht. Uns zieht es zurück in den Maghreb, zum bunten Völkchen, das jetzt überall ein spätes Mittagessen einnimmt. Wir landen bei einer Art Italiener gegenüber einem Halalrestaurant in einem dunklen Durchgang. Wieder einmal ein grossartiger Ausguck! 

 

Nach vielen Stunden und deutlich mehr Kilometern sitzen wir müde und mit runden Füssen wieder in unserem Zug. Marseille – wir werden wiederkommen.

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