In Frankreich, besonders hier im Süden im äussersten Westwinkel der Côte d‘Azur, gibt es enorm viele enorm kleine Hunde. Das wundert einen nicht, wenn man ihre Leine verfolgt: Sie hängen an den Händen enorm kleiner älterer Damen. Manchmal, wenn die Hundchen zu faul sind, mühen sich die kaum 40 Kilo schweren Ladies damit, die fiependen Tierchen in der Armbeuge zu schleppen. Oder sie stecken sie einfach in eine Tasche, die durchaus von Hermès oder Chanel ist. Fast alle dieser niedlichen, zierlichen Damen sind bis ins hohe Alter geschminkt und fein frisiert, keine käme auf die Idee, mit schiefen Absätzen oder gar Jogginghosen auf die Strasse zu gehen. Ich frage mich, wo man so winzige Klamotten kaufen kann. Size 0 ist viel zu gross pour les dames. Akzentuiert wird klassischer Stil gern mit opulentem Schmuck, so manches Schühchen ziert dazu ein Strasssteinchen. Es glitzert und glänzt. Der Süden hat seine besonderen Reize.
Während zwei, drei Dutzend Arbeiter damit beschäftigt sind, Quai und Strasse in schweisstreibender Anstrengung zu modernisieren, sitzen viele, viele Beobachter in Armeslänge von der Grossbaustelle entfernt in den zahlreichen Bars. Die einen nippen am Kaffee, andere haben sich für ein Glas Wein oder einen Pastis entschieden. Für die beiden letzteren gibt es hier am Meer keine Zeiten: die kann man immer trinken. Das wissen auch die Touristen. Zum Beispiel der füllige Herr mit den blau verspiegelten Sonnenbrillengläsern, der an einem Rosé nippt. Ein bisschen Briatore, ein bisschen dolce vita. Ganz anders der Mittsiebziger mit der Baskenmütze. Die hellen Socken in den Sandalen weisen auf einen Deutschen hin. Ich könnte wetten, dass irgendwo sein Wohnmobil parkt. Möglicherweise mit aufgeklebtem Hinweis darauf, dass er das Erbe seiner Kinder auf den Kopf haut. Aber das ist eigentlich auch egal. Hier tut jeder, was er mag. Die vier Damen am Nebentisch klatschen aufgeregt über eine fünfte, die gerade nicht dabei ist. Einheimische, wie so viele in den Kneipen. Die Kinder sind in der Regel ruhig und gesittet, reagieren auf Blicke und Handzeichen der Eltern fast mit Verschüchterung. Im engen Tunnel zwischen Bars und Baustelle suchen Menschen in Rollstühlen ein Durchkommen, Kinderwagen in allen Grösseren werden ebenfalls gekonnt entlanggezirkelt. Nur wenn mal jemand versucht, mit seinem Rennrad einzuscheren, wird‘s ungemütlich.
Man hört nur wenige Ausländer hier in Sanary. Mal einen Amerikaner, eine Italienerin, ein Deutsche, aber nur sehr vereinzelt. Und wir hören viel, denn wir sind jeden Tag im Ort unterwegs.
Unsere Routine beginnt zwischen zehn und elf. Baguette („Une classique, s‘il vous plaît“) bei den Verkäuferinnen in der Boulangerie du port kaufen, entlang der Baustelle und den bereits gut gefüllten Cafés zum Markt. Die Stände der Fischer davor sind meist leer, aber direkt auf dem täglich stattfindenden Markt in der Platanenallee gibt es genügend Meerestiere für alle. Crevetten, Loup, Seezungen, Calamaris und viel, viel mehr. Natürlich auch die unvermeidlichen Muscheln einschließlich ihrer eleganten Cousinen, den Coquilles St. Jacques. Dann Gemüse und Obst (es ist gerade Erdbeerzeit!) in Hülle und Fülle, eine überbordende Käseauswahl, krähengrosse Landhühner, Würste und Schinken. Die boudin antillais ist eine Empfehlung von Croco. Und Juan ist begeistert. Ich fasse keine Blutwurst an, grill mir eine andere saucisse. Meist landen wir nach dem Markt noch im Super U, dem lokalen Supermarkt. Im Grunde hat der auch alles, was es auf dem Markt gibt, aber der Laden hat halt den Charme eines Edeka-Ladens. Und auch die Preise; der Markt ist deutlich teurer, aber doch so hübsch.
Nach unserem Spaziergang landen wir wieder in unserem Krähennest, müssen uns vor dem mittäglichen Frühstück kurz erholen und stecken nachmittags die Nasen in Bücher. Gegen Abend gucken wir noch mal aufs Volk, trinken irgendwo einen Wein oder machen Letzteres einfach zuhause. Juan ist bisher immer der Koch. Er schnippelt und grillt und macht und tut. Ich decke den Tisch, bin ansonsten aber einfach nur Prinzessin. Abends Buch oder Fernsehen oder beides. Fussball auf Prime oder gleich im Canal+
Auf morgen sind wir sehr gespannt, denn der große Markt direkt vor unserer Tür steht an. Es dürfte voll werden, denn der 8. Mai ist in Frankreich ein offizieller Feiertag, an dem das Ende des 2. Weltkrieges gefeiert wird. In diesem Jahr folgt Himmelfahrt nahtlos: Auch der 9. Mai ist offiziell Feiertag. Mal sehen, wie sich das auf unseren schönen Ort auswirkt.