Route 66

Gegen halb zehn werden wir schon mal telefonisch darauf hingewiesen, dass zehn Uhr check-out time für unser Apartment ist. Das erwischt uns nicht unverhofft, denn wir haben alles gepackt und grosse Lust, endlich etwas anderes zu sehen.

 

Also on the road again, mit unserem kleinen Mietwagen, der neben Klamotten auch unseren grossen cooler transportieren muss.

 

Der Freeway I-15 South – der direkte Weg von Las Vegas nach Los Angeles – ist rappelvoll. Und obwohl es die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 70 Meilen gibt, ist das Fahren längst nicht mehr so angenehm wie dereinst. Grund: die Amis lieben fast Stossstangenkontakt, fahren also so nah auf, dass ich richtig wütend werde. Und wenn sie dann auch noch einfach zum Überholen in winzige Lücken ausscheren, ist’s mit meiner Geduld ganz aus. Zum Glück hat Juan bessere Nerven.

 

Unser Ziel liegt 250 Kilometer westlich: Barstow, der Ort, an dem die legendäre Route 66 in die I-15 übergeht. Der Weg dahin ist schön für jeden, der Wüsten mag. Uns gefallen die Aussichten auf die fernen Salzseen, die Kakteen, unter denen meine klappernden Freundinnen lauern, die blasse Gesteine der Berge und diese ungeheure Weite.

 

Kurz überlegen wir, der Geisterstadt Calico einen Besuch abzustatten. Aber wollen wir wirklich bei 45 Grad durch touristisch aufgerüschte Pionierkulissen latschen? Wollen wir nicht.

 

Also geht’s direkt ins Ramada an der Main St aka Route 66 in Barstow. Es ist erst halb drei, aber das Zimmer ist schon fertig. Wir können uns gerade noch zum Pool aufraffen. Eigentlich sehr schön, aber hier müsste dringend mal jemand mit dem Blätterfangnetz ran. Und bei Stühlen, Liegen und Tischen hätte Meister Proper seine Freunde. Ausserdem laufen überall Katzen herum, ich zähle mindestens acht. Aber es scheint nicht so, als würde sich jemand vom Personal jemals in den knallheissen Aussenbereich trauen.

 

Am frühen Abend – wir sind schon wie Hinnis und/oder Millionen Amerikaner – steht uns der Sinn nach einem eiskalten Bier und einer Portion Spareribs. In einem neu eröffneten Steakhaus haben sie zwar das Fleisch, aber noch keine Lizenz für den Bierausschank. 

 

Also ziehen wir weiter und landen direkt neben dem Ramada bei einem Chinesen, der seine Kochkünste auf einem Büffet demonstriert. Und kaltes Bier hat er auch. Die Jiaotze sind grossartig, auch vieles andere gefällt uns.

Ein junger Chinese, der sich mit dem Englischen sehr schwer tut, kümmert sich um uns. Er ist mit seinen Eltern vor zehn Jahren aus Südchina nach Amerika ausgewandert. Erst nach Pennsylvania, dann hierher in die Wüste. Noch heute hat er Heimweh nach Penn, weil es dort so ruhig und vernünftig zuging. Barstow ist nur dann gut, wenn viele Chinesen auf ihrer Busreise von L.A. nach Vegas und umgekehrt einen Zwischenstopp einlegen. Darauf sind sie eingestellt, weshalb jeder Hinweis auf Chinesisch – und nur auf Chinesisch  – zu finden ist. Klar, dass die Eltern des Jungen auch keinen Piep Englisch sprechen. Das letzte Jahr war sehr gut, dieses ist katastrophal. Trump ist schuld. Seit er das Sagen hat, bekommen nur noch zwei von zehn Chinesen ein Touristenvisum. Früher waren es sieben… Der Manager, ein weisser Amerikaner, war früher ein glühender Trump-Anhänger. Nun ist er enttäuscht. Der Arme…

 

Wir essen verhältnismässig gut, als ich mich zum Abschied mit einem „xiexie“ verabschiede, werden die Augen meines neuen Freundes für einen Moment kugelrund.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen