Geräuschpegel

Seit zehn Tagen wird in der Wohnung nebenan renoviert. Offenbar versucht jemand, mit einem Hämmerchen Wände einzureißen, wird dabei aber nicht so recht fertig. Macht er mal eine Pause, beginnt ziemlich zuverlässig die Kreissäge auf der Baustelle auf dem Nachbargrundstück ihr Getöse. Das stört dann oft auch einen Hund, der darüber alle seine Kumpel informiert. Die wiederum teilen seinen Protest.

 

Unser Apartment liegt im 7. Stock. Niedrig genug, um den Lumpensammler zu hören, der mit dem Megaphon durch die Strassen schlendert. Oder den Motorradfahrer, der unsere Straße kurzfristig mit einer Rennstrecke verwechselt. Natürlich hören wir auch Musik und Gelächter aus den Bars und Clubs zu unseren Füßen. Einmal meinen wir auch Schüsse gehört zu haben. Die Hunde auch, denn da war das Gebelle wirklich grenzenlos.

 

Winkt man das nächste Taxi heran, tönt schon moderner Latinorock aus dem Radio. Oder sonstwas. Manchmal so laut, dass der Fahrer offenbar von den Lippen lesen kann, um das Ziel mitzubekommen. Ich kehre dann in mich, sehe links und rechts aus den Fenstern, bloss nicht nach vorn. Denn was sich die Jungs hier zusammenfahren, ist schon erstaunlich. Die weißen Linien auf der Fahrbahn? Anhaltspunkte. Ampeln? Oft nur Empfehlungen. Abstand halten. Welchen Abstand? Auf Fußgängerüberwegen kann man froh sein, wenn man keinen Kardashian-Hintern hat. Denn die Autos fahren schnittig über die Wege.

 

Bei  Busfahren ist es ähnlich. Nur noch eine Spur lauter. Denn es wird geschnattert. Unentwegt. Treffen sich zwei Bekannte oder Unbekannte: Die Konversation beginnt. Und zwar gleichzeitig. Das setzt sich fort in jeder Bar, in jedem Restaurant. Alle reden miteinander gleichzeitig, damit überhaupt jemand etwas mitbekommt, durchaus auch mal ein bisschen lauter.

 

Es hat ein paar Tage gedauert, bis wir uns daran wieder gewöhnt haben. Nun wundert es einen umso mehr, wenn Stille herrscht.

 

Relativ ruhig ging es kürzlich im Los Mellizos zu, einem Restaurant, das wir uns schon mehrfach ausgeguckt hatten, das aber immer geschlossen war. Dachten wir. Weil doof. Tatsächlich sind wir einfach zu früh zum Abendessen gegangen. Der entzückende Chef dieses Restauraants mit viel Fussballflair öffnet seinen Laden täglich um 20 Uhr. Lernen wir’s denn noch? Jedenfalls hat er uns ganz grossartig mit Hausgekochtem bedient, den Malbec extra einkaufen lassen, weil uns seiner aus dem Kühlschrank zu kalt war. Wenn Messi in der Stadt ist, erzählt er, sitzt er auch bei ihm. Es ging ruhig zu: Ein paar Tische weiter sass noch ein Paar, wie sich bald herausstellen sollte: sie aus Hamburg, er aus Argentinien. Ungefähr in unserem Alter, haben sie Jahre an der Alster gelebt, dann ein paar Jahre in Buenos Aires, bevor sie sich in den 90ern in Australien niedergelassen haben. Helga und Pedro. Fünf erwachsene Kinder. Alle zusammen mitsamt Anhängen im grossen Haus der Eltern 60 Kilometer nördlich von Melbourne.

Helga und Pedro haben sich vor knapp 40 Jahren bei Kühne und Nagel in Hamburg kennengelernt und nie mehr losgelassen. Inzwischen ist er sehr erfolgreicher Maler mit einer Malschule in Australien, Helga unterstützt tatkräftig und sieht zu, dass nicht allzu viele Kängeruhs die Koalas im Garten stören. Ausgesprochen nette Leute, die eine Art Weltreise machen. Der jüngste Sohn hat gerade sein Studium in Hamburg abgeschlossen und ist dann mit Frau und Baby aufs elterliche Anwesen nach Australien zurückggekehrt. Es wurde den Eltern zu voll, sie mussten mal raus. Über Melbourne nach Singapore und Istanbul und Madrid nach Rio und Buenos Aires. Jeweils mit Stopover in den Städten. So ähnlich geht’s nun auch wieder zurück. Wie wohltuend diese Unterhaltung bei allem Geschnatter!

 

Übrigens sind es keineswegs nur die Damen, die unentwegt plaudern. Treffen sich zwei Männer: Geschnatter. Treffen sich mehr Männer: Diskussionen. Und das setzt sich fort. Gehen die beiden Klitzings nach Hause: einfach mal nix sagen. Und andächtig den Unterhaltungen der streunenden und sesshaften Hunden lauschen.

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