Pärnu – nackte Tatsachen

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Inzwischen haben wir mitbekommen: Pärnu wird jedes Jahre von Juni bis August zur „Sommerhauptstadt Estlands“. Das hängt damit zusammen, dass viele Tallinner hier eine Datscha haben, dass das Wetter deutlich besser ist, dass die Strände trotz Hochsaison nie überfüllt sind.  Bis auf Letzteres also ein bisschen wie Deauville oder Honfleur für die Pariser. Nur sehr viel entspannter.

 

Das Badeort-Geschehen gucken wir uns nun mal an. Juan kränkelt noch ziemlich, ich habe das Gröbste wohl hinter mir. Wortlos reiche ich Nasenspray, Lutschtabletten und mehr weiter. Wir werden es schon wieder hinkriegen.

 

Nun erst mal los. Die erste Überraschung erwartet uns im Fluss. Knapp an der Fahrrinnenkante steht ein Typ in Wathosen und angelt vor sich hin. Die kleine Opti-Flotte umsegelt ihn einfach – leben und leben lassen.

 

Auf dem anderen Ufer des Flusses, der übrigens Pärnu heißt, wird massiv Holz auf Schiffe verladen; auf unsere Seite ist alles viel harmloser.

 

Bis wir an den Dünen vorbei an den Strand marschieren. Was ist denn hier los? Lauter nackte Damen zwischen 8 und 80. Sonnen sich bei Traumwetter völlig unverhüllt, was für die kreuzkatholischen Balten schon etwas Besonderes ist. Aufklärung durch ein Schild ein paar hundert Meter weiter: Es ist eine alte estnische Tradition, den Damen einen genau beschilderten Strandabschnitt zum Nackigsein zu überlassen. Potentielle Spanner werden schon mal prophylaktisch verwarnt. Wer belästigt, kriegt es mit der Staatsgewalt zu tun. Wir sind völlig ungefährdet.

 

Eine zweite Sache fällt uns auf: die Stille. Obwohl auch größere Familienverbände mit kleineren Kindern unterwegs sind, hört man – nix. Nicht mal die Standardrhythmen scheppern aus den Lautsprechern. Sehr ungewöhnlich, sehr erfreulich.

 

Hier am Strand könnten wir es gut ein paar Tage aushalten, aber es ist unmöglich, etwas Bezahlbares in Wassernähe zu buchen. Zwar klappere ich noch Hotel um Hotel ab, aber alle winken ab: keine Chance am Wochenende, will man nicht gleich ein paar Hundert  Euro pro Nacht berappen. Will man nicht…

 

Die Wochenenden sind im Sommer immer und lange im voraus ausgebucht. Wenn nicht von Esten, dann von Finnen, die Reiselust und Durst ans estnische Westmeer drängen.

 

Irgendetwas müssen wir uns einfallen lassen, bis wir wieder ganz gesund sind. Mehrere Stunden des Nachmittags gehen wir trotz der miesen Online-Verbindung auf Budensuche. Auch unser „Carolina“ schlägt mal eben 50 Prozent fürs Wochenende drauf. Wollen wir wirklich in unserem Sauna-Zimmer bleiben? Hin, her, her, hin.

 

Zwischendurch essen wir in der Altstadt überaus mies in einem Restaurant namens Alpenveilchen oder Almosen oder vielleicht doch „Edelweiß“. Was ist uns bloß in den Kopf gekommen, da einzukehren? Pseudo-Österreicherinnen im aus der Erinnerung nachgepfriemelten Dirndlgetüm servieren überwiegend Einheimischen laues Bier und alles, was die Friteuse hergibt. Aber knallvoll, der Laden. Mittenmang: Wir. Entschuldigt hoffentlich – Erkältung führt in gewisser Phase zur Teilverblödung.

 

Im heimischen Saunaclub reißen wir alles auf, was uns zur Verfügung steht, einschließlich der Fenster auf der gegenüberliegenden Seite des Flures bei offener Zimmertür. Und treffen eine Entscheidung: Noch zwei Nächte wegen der optimistischen Wetteraussichten und des Genesungszustandes in Pärnu. Aber nicht hier! Nach „Carolina“ kriegt uns nun „Emmy“. Wir buchen das letzte Zimmer sofort und lassen uns ermattet bei noch hochstehender Sonne in die Buntkarierten fallen. Mit Glück träumen wir ja wenigstens von Geselchtem und Gesottenen, von Marillenknödeln und eiskaltem Grünen Veltliner…

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