Nichts für schwache Nerven

Wir sind noch weit davon entfernt, uns dem argentinischen Rhythmus angepasst zu haben, aber es wird. Auch wenn man harte Rückschläge einstecken muss. Heute zum Beispiel…

Den früheren Vormittag haben wir damit verbracht, den Kaufvertrag fürs Auto aufzusetzen. Einmal englisch, einmal spanisch. Natürlich haben wir uns darüber ein bisschen verkracht, aber harmlos 🙂 Ein PDF war dann schnell gemacht, ab zum Chinesen, ausdrucken. Merkwürdigerweise hat der Windowsdrucker die Wortzwischenräume gefressen. Lässt sich mal gerade nicht ändern, wir müssen zum Notar, die Docs abholen. Mit Maëlle und Francis haben wir kurzfristig vereinbart, dass wir allein gehen, denn die beiden müssten wirklich quer durch die Stadt und zurück, um hinterher mit uns auf der Plaza de Mayo die Papiere umschreiben zu lassen.

Amalia, unsere Notarin, ist nicht da, das wissen wir. Etwas merkwürdig finden wir noch immer, dass nach unserem Klingeln eine Mitarbeiterin aus dem fünften Stock hinuntergekommt, um uns zwischen Tür und Angel die beglaubigten Dokumente auszuhändigen. Allerdings noch mit dem Hinweis, dass sie noch international beglaubigt werden müssten. 400 Pesos, aber es würde nur eine Stunde dauern. Das Ganze auf der Ecke Callao/Las Heras. Unseretwegen auch das noch…

Zwischendurch immer wieder Mitteilungen von Nichte Soledad, die heute Abend mit uns essen und anschließend einen Zug durch die Milonga-Läden machen will. Tango total! Eigentlich freue ich mich drauf, aber erstmal haben wir ja noch einiges auf dem Zettel.

Erstmal fahren wir mit der  U-Bahn zur Casa Rosada, Station Catedral, und treffen auch sofort dort, wo die Großmütter der in der Diktatur Vermissten sonst mahnen, unsere Franzosen. Es geht wieder mal laut zu: Irgendwer demonstriert mal wieder für höhere Löhne.

Trotzdem kämpfen wir uns durch zum Zoll. Genauso, wie wir es so prima online bei den Panamericana Spezialisten gelesen haben. Nur leider: Die Adresse stimmt ebensowenig wie das notarielle Prozedere, durch das wir uns gestern gekämpft haben. Man verweist uns ein paar Häuser weiter. Wir probieren es im 4. Stock – nichts. Im Parterre auch nichts. Die seien doch umgezogen, erklärt man uns. Hinter der Buquebus Station am Fluss. Nach einem Blick auf die Karte beschließen wir, zu Fuß zu gehen. Heute ist endlich mal ein wärmerer Tag bei tiefblauem Himmel – wir geraten zwar alle ins Schwitzen, aber noch lange nicht an die richtige Stelle. Wir wollen nichts anderes, als ein Dokument ändern zu lassen, mit dem Francis in Argentinien eingereist und mit dem wir aus- und auch wieder einreisen wollen.

Bei der nächsten Station unserer Odyssee beschäftigen wir fünf, sechs Leute mit dem Problem. Es wird hektisch telefoniert, untereinander diskutiert, noch jemand hinzugezogen… Nach langem Hin und Her bekommen wir einen Zettel in die Hand gedrückt: Wir sollen zum Chef des Zolls im Hafen. Eigentlich sei das, war wir vorhaben, gar nicht möglich, aber wenn überhaupt einer, könne nur er die Ausnahme machen.

Natürlich ist auch das wieder weiter weg, also Taxi. Wir irren noch ein bisschen im Hafen umher, bis wir über eine steile Treppe in den ersten Stock eines klapprigen Hauses gelangen. Viele Menschen laufen hier scheinbar willenlos durch die Gegend, einer fragt uns endlich, was wir wollen. Zum Chef. Huch! Wir erklären die Angelegenheiten zum fünften oder sechsten Mal, die Lady schüttelt den Kopf, aber, oh Wunder, der Chef lässt uns vorsprechen. In seinem Zimmer sitzen noch zwei  Männer, die gar nicht gehen möchten, weil wir Exotentruppe doch mal was anderes sind.

Aber es gibt keinen Platz, also müssen sie gehen. Einer ist sich sicher, dass ich Holländerin bin, aber auch das verhindert nicht, dass er rausfliegt. Der Chef, 1,50 groß und wichtig, nimmt sich unserer an: Das ließe sich doch alles regeln. Hoffnung! Tatsächlich tippt er eigenhändig in seinen Rechner, schickt jemanden los, mit Mendoza zu telefonieren, weil Francis da eingereist ist, beschäftigt ein, zwei weitere Leute, erzählt zwischendurch, er würde im Oktober mit seiner Frau Urlaub in Frankreich machen, tippt weiter, scheucht Leute und versichert uns. wir dürften an keiner Grenze Probleme haben. Bevor er uns allen die Hand drückt, drückt er mir noch seine Karte samt privater Handynummer in die Hand – für den Fall aller Fälle. Fröhlich ziehen wir davon, ich höre noch ein „Hasta  luego, holandesa“. Vor der Tür gucken wir mal, was Chef Muzio geschrieben hat. Och… Francis‘ Nachnamen hat er vergessen, aus uns Kitzings gemacht… Ich nehme die Papiere und den Pass von Francis und stiefel wieder die Treppe hoch. Ist ja, wie nach Hause kommen: Ich werde sofort zum Chef  durchgewunken. Ein bisschen irritiert ist er schon, mich so schnell wiederzusehen. Ich mache auf Superdummchen und schlage die Augen auf und zu: Ob er wohl korrigieren könne? Aber selbstverständlich! Wir sind doch Freunde fürs Leben 🙂

 Nun haben wir wirklich alle Papiere zusammen. Na gut. Die internationale Bestätigung kommt morgen noch, aber im Prinzip ist alles bestens. Wieder ein Taxi, Café im Bankenviertel. Juan schießt los, um die Kaufverträge neu ausdrucken zu lassen, wir anderen lassen uns ermattet in die Sessel fallen. Dann unterschreibt Francis alles; wäre Maëlle nicht, hätte er nicht einmal eine Kopie. Wir trennen uns mit Küsschen, laufen zur U-Bahn und fahren direkt nach Hause. 

Unsere Nerven beruhigen wir mit Obst und Toast. Und verabreden uns mit Soledad zum Essen in einem Parrillaladen in der Av de Estado de Israel. Gegen halb neun landen wir per Taxi in Villa Crespo in einem Restaurant mit dem fast schon lyrischen Namen „Dale perijil al toro“. Gib dem Stier Petersilie. Sehr hoher Raum mit viel Patina, dekoriert mit alten Schallplatten und nostalgischen Bildern. Zu trinken gibt es guten Malbec, als Vorspeise teilen wir Empanadas, gebratenen Provolone und Rinderzunge in Essig, als Hauptgang teilen Sole und ich eine Parrilla Negra (gegrilltes Rindfleisch in einer Rotweinsauce), Juan entscheidet sich für Ravioli. Immer noch nicht genug. Bevor wir vollends platzen, bestellen wir Milchreis, Crema catalana und in Schokolade gebratene Bananen. Alles zusammen für unter 60 Euro. Wenigstens das Essen ist relativ günstig hier. Mit Sole reden wir über ihre Zeit in London und Berlin, vor allem aber über ihr Ankommen in Buenos Aires. Hier fühlt sie sich nun richtig wohl, das sieht man ihr auch an. Sie hat etwas Strahlendes. Und ist ungeheuer vital. Ständig wird gesimst und verabredet. Sie muss nun, gegen elf, gleich los. Tango in San Telmo. Wir sind viel zu erledigt, um überhaupt darüber nachzudenken, ob wir mitgehen und trollen uns nach Hause.

 

 

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