Wir kommen gerade von einem längeren Ausflug aus der Stadt wieder und finden Kommentare und Mails von Euch, Ihr Lieben, vor. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie wir uns über jede einzelne Zeile freuen! Also: Bleistift anspitzen und immer schön schreiben. Fehlen irgendwelche Informationen? Fragt nur!
Der Tag heute begann diesig, aber trotzdem warm (27 Grad) und feucht (sicher hoch in den 80ern). Unser Plan: keinen Plan zu haben, wir laufen einfach mal los und halten die Augen offen. Das bringt uns auch wieder in die großartigsten Gegenden in der Altstadt. Zwar gibt es in Shanghai durchaus Bestrebungen, ein bisschen von der alten Bausubstanz zu erhalten, aber wir haben den Eindruck, dass wir hier mal gerade noch die Chance haben, das gewachsene Shanghai zu erleben. Hier gibt es keinen Chrom, keine Glaspaläste, hier tropft die Wäsche auf den Kopf, hier wird Krach gemacht, der aber nicht einmal die Katzen stört. Mit anderen Worten: Hier wird richtig gelebt. Mitten im Gewirr der Gassen beginnt plötzlich ein Markt, der sicher nicht für Touristen gemacht wurde. Natürlich betreiben wir intensive Markt-Forschung. Wir schleichen herum, gucken hier, schnuppern da – und kriegen das fröhliche Grinsen gar nicht aus dem Gesicht. Man könnte fast meinen, in ein ganz anderes Jahrhundert versetzt zu sein. Natürlich entspricht hier nichts den europäischen Standards. Hier käme aber auch niemand auf den absurden Gedanken, das Markierungsspray auf den internationalen Fußballfeldern, das wir seit der WM kennen, zu verbieten. Wir haben heute morgen herzlich über die Meldung gelacht, dass der deutsche TÜV sich damit gerade wichtig macht (wir lesen deutsche Zeitungen online & gucken CNN). In einigen Straßen reiht sich ein kleines Restaurant an das andere. Wir können zwar nicht lesen, was es zu essen gibt, aber wir können gut von weniger gut unterscheiden: je länger die Schlange, umso besser die Dumplings, der Bratreis oder die Nudelsuppe. Allein die Düfte, die durch die engen Straßen ziehen, machen satt. Zu und zu toll!
Am Ende einer Gasse stehen wir plötzlich auf der Nanjing Road, deren östliches Ende das Peace Hotel ist, die hier, im Westen, aber Fußgängerzone wird. Und voll, so voll! Offenbar ist der erste Schwung der Golden Week Reisenden schon da. Am 1. Oktober feiert China seinen Nationalfeiertag und die ganze Nation feiert mit, in dem sie sich auf alle Fälle schon einmal auf Reisen begibt. Eine Woche Urlaub für alle! Die meisten sind schon da… Wir schlendern Richtung People’s Park und treffen davor eine kleine Gruppe aus Shouzou, die unbedingt mit uns Fotos machen will. Einer der Jungs hat das Shirt der deutschen Fußballnationalmannschaft an und als er hört, dass wir aus Deutschland kommen, gerät er völlig aus dem Häuschen. Die Mädchen kreischen „How romantic“ und wollen am liebsten den Rest des Tages mit uns verbringen, aber wir lehnen höflich dankend ab und machen uns davon.
Auch wenn wir längst an abenteuerliche Verkehrsverhältnisse gewöhnt sind und wissen, dass Ampeln hier bestenfalls Empfehlungscharakter haben, gibt es auf die andere Strassenseite keinen anderen Weg als durch einen Tunnel. Um illegale Überquerungen unmöglich zu machen, hat man vorsorglich überall Gitter und Polizisten aufgestellt. Natürlich wird der Tunnel auch gleich wieder für eine Shoppingmeile genutzt, hier unten sind die Optiker in der Überzahl. Mal sehen, ob ich es in Peking schaffe, mir eine dieser lustigen Riesenbrillen basteln zu lassen.
Im Park scheint es eine große Menschenschlange vor irgendetwas, wahrscheinlich einem Museum, zu geben. Aber der Eindruck trügt. Es ist ein Markt. Ein ganz besonderer Markt, der jeden Samstag stattfindet! Hier wollen Eltern und Großeltern ihre Ladenhüter unters Volk bringen. Im Klartext: Sie bieten Kinder, Enkel und sonstige Verwandte oder auch sich selbst an – ein riesiger Heiratsmarkt! Auf A4-Blättern wird der Sohn oder das Töchterchen kurz beschrieben (Geburtsdatum, Größe, Ausbildung, Job, Einkommen), darunter steht, wie man sich den Lebenspartner vorstellt. Wer echtes Interesse zeigt, bekommt Fotos zu sehen. Ganz, ganz irre! Es wird verhandelt eben wie auf dem Markt. Wir sind nicht sicher, ob die „Ware“ ahnt, dass sie hier an den Mann, bzw. an die Frau gebracht werden soll. Parship und online dating? Nicht, wenn es nach Oma geht! Wie es nach ersten Kontaktdaten weitergeht, wissen wir leider nicht. Aber auch das werden die Alten sicherlich irgendwie richten 🙂
Eine Ecke weiter: Eine Dame mittleren Alters singt ein paar Lieder, begleitet von Musik, die sie über ihr ipad einspielt. Es gibt Applaus, a star is born… Junge, Alte, Kranke, Gesunde, Reiche, Arme – der Park ist für alle da. Und sie alle sind auch gekommen.
Wir wollen mal etwas für unsere Bildung tun und peilen das Shanghai Museum an. Gar nicht so einfach, hereinzukommen. Die Security nimmt mir zuerst schon mal mein Feuerzeug ab! Dann muss ich wegen meines schicken, klappbaren Obstmessers aus Hongkong meinen kleinen Rucksack abgeben. Dafür will ausnahmsweise niemand Eintritt von uns haben. Verteilt über mehrere Etagen im hochmodernen Bauwerk bewundern wir Skulpturen aus vorchristlicher Zeit, bestaunen Keramisches und die Entwicklung des Porzellans über Jahrtausende, sehen uns eine unvergleichliche Jadesammlung und Münzen aus vergangenen Dynastien ebenso an wie eine Ausstellung bedeutender Kalligraphien und Druckplatten. In diesem Museum sind die Bildungslücken kaum zu stopfen. Mannomann, haben wir wenig Ahnung! Umso spannender dieser Museumsbesuch, nach dem wir natürlich wieder runde Füsse haben. Die Sonne geht langsam über Puxi unter und strahlt die Hochhäuser auf der gegenüber liegenden Seite an. Zeit für einen Snack und einen Drink. Etwas später sitzen wir im Taxi und machen in unserem wunderbaren Astor House eine kleine Pause und freuen uns über Eure Post(s. oben).
Unser Hotel beschreibt der Lonely Planet China zu meiner großen Freude wie folgt: Vollgestopft mit Geschichte (und vielleicht dem einen oder anderen Hausgeist) mixt dieser ehrwürdige Oldtimer einen beeindruckenden Cocktail aus erlesenen Ingredienzen: eine Lage nahe am Bund, altweltlichen Shanghaier Charme, großzügige Rabatte und riesige Zimmer. Hier gibt’s genug Holztäfelung, um eine Arche zu bauen, und in die geräumigen Badezimmer könnte man ein Bett schieben; die originalen gebohnerten Holzböden, Korridore und Galerien (in denen sich die verloren wirkende Richard’s Bar Seite an Seite mit dem Massagesalon wiederfindet) sind eine gelungene Mischung aus britischer Privatschule und viktorianischem Irrenhaus.
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