Wir könnten nicht glauben, was das Thermometer heute morgen um kurz nach 6 zeigte: 6,1 Grad. Das ist wesentlich kälter als alles, was wir beim Packen unserer Klamotten jemals in Betracht gezogen haben. Aber Entwarnung: bei strahlend blauem Himmel sollen wir mittags um die 20 Grad bekommen. Das versöhnt, denn für heute haben wir einen Luxustag eingeplant – in vielerlei Hinsicht. Unsere Pekinger Freunde haben uns geraten, für den Besuch der Großen Chinesischen Mauer einen Fahrer anzuheuern – ein gut investierter Hunderter! Das hat Christian trotz des Wochenendes wunderbar für uns arrangiert. Herr Ceo (so hat er es uns buchstabiert) steht pünktlich um 9 mit seiner gewienerten Limousine vor der Tür. Und schon sind wir auf dem Weg.
Zum Ziel ein klitzekleines bisschen Wikipedia: Mutianyu ist ein Abschnitt der Chinesischen Mauer 70 km nordöstlich von Peking. Der Mauerabschnitt steht nach Westen in Verbindung mit dem Juyongguan-Abschnitt und dem Gubeikou-Tor im Osten. Als einer der am besten erhaltenen Abschnitte der Großen Mauer diente Mutianyu als der nördliche Verteidigungswall der Hauptstadt und der kaiserlichen Gräber. Mit einem Baubeginn in der Mitte des 6. Jahrhunderts während der Nördlichen Qi-Dynastie ist die Große Mauer von Mutianyu älter als der Badaling-Abschnitt. In der Ming-Dynastie begann unter General Xu Da die Errichtung der heutigen Mauer auf den Fundamenten der Mauer aus der Nördlichen Qi-Dynastie. 1404 wurde ein Übergang in die Mauer gebaut. 1569 war die Mauer wieder aufgerichtet, und bis heute sind die meisten Teile gut erhalten. Der Mutianyu-Abschnitt sticht aufgrund seines großen Maßstabs und der Bauqualität unter den Abschnitten der Großen Mauer hervor. Überwiegend aus Granit errichtet, ist die Mauer sieben bis acht Meter hoch und an der Mauerkrone vier bis fünf Meter breit.
Damit sind wir zwar nicht auf dem Weg zum ältesten Teil – mit dem Bau der Mauer wurde 600 Jahre v. Chr. begonnen -, aber auf einem spannenden, der dazu noch wesentlich leerer als andere Abschnitte sein soll. Zunächst einmal zeigt uns Herr Ceo seine Fahrkünste. Irgendwo habe ich gelesen, dass Chinesen nicht auf der Straße, sondern auf riesigen Übungsplätzen das Autofahren lernen. Sonst sei es zu gefährlich. Was die allerdings außer Gas, Kupplung, Bremse und Hupe noch super beherrschen: das Augenmaß. Es wird, natürlich auch auf der Autobahn, rasant überholt. Wenn es eine Spur zu wenig gibt, wird halt noch eine improvisiert… Zwei Stunden nach Abfahrt sind wir in Mutianyu, kaufen für rund 50 Euro alle möglich Karten (Mauer betreten, Bus Transfer, Auffahrt, was weiß ich, was noch alles). Schon der erste Anstieg zum Lift, vorbei an lauter Restaurants und Souvenirshops, ist anstrengend.
Es soll Leute geben, die bei dem Gedanken an einen Sessellift ängstlich werden. Ich gehöre nicht dazu. Ich habe einfach panische Angst. Und trotzdem springe ich auf das dumme Ding, kralle mich fest, gucke nicht nach links und rechts, vor allem aber nicht nach unten. Beim ersten Betreten der Großen Chinesischen Mauer bin ich persönlich erstmal zu nichts mehr fähig. Herzschlag bei 250, zittrige Hände, in Schweiß gebadet und ganz sicher: Mit dem Sessellift kann von mir aus zurückfahren, wer will – ich nicht. Es gibt drei Alternativen: 1. zu Fuß den Berg runter, 2. mit einer Art Schlitten zu Tal, 3. mit der Seilbahn. Da es diese Alternativen gibt, berappele ich mich auch bald wieder und blicke mit staunenden Augen auf das kolossale, nahezu 9000 km lange Bauwerk, das man zwar trotz anderslautender Gerüchte nicht aus dem All, dafür aber zu einem beeindruckenden Teil von hier aus sehen kann. Wir gucken einfach und sind ganz und gar begeistert. Eines muss ich zugeben: Durch die Auffahrt mit dem fiesen Sessellift am Vormittag steht die Sonne für uns optimal. Wir haben sie im Rücken, als wir die Wanderung beginnen. Juan Carlos ist wegen der hysterischen Sessellifttante an seiner Seite sofort bereit, ebenfalls einen anderen Abstieg zu nehmen, deshalb nehmen wir Kurs auf die Seilbahn, die einige Kilometer vor uns Richtung Südwesten liegt. Atemberaubende Ausblicke auf Mauer und Bergpanorama begleiten uns. Wir sind froh, dass wir schon fünf Wanderwochen durch die Städte hinter uns haben, denn der Weg über die Mauer ist wirklich anspruchsvoll. Treppenstufen, mal 5 cm hoch, mal 40, Gefälle und Steigungen, ab und zu ein paar echte Engpässe – ordentlich zu tun! Aber der Genuss und auch das tolle Gefühl, auf diesem monumentalen Bauwerk herumzulaufen, machen die Anstrengungen leichter. Zwar keuchen und pusten wir manchmal ganz schön, aber aufzugeben ist natürlich keine Option. Irgendwann sehen wir dann auch die Seilbahnstation, aber die erscheint wesentlich näher, als sie tatsächlich liegt, denn vor das Plateau haben die Bauherren noch eine ordentliche Senke gelegt. Dass diese Mauer nahezu uneinnehmbar von irgendwelchen Feinden war, leuchtet sofort ein. Sie ist sehr kühn auf Bergkämme gebaut. Und zwar so, dass beide Seiten gut zu verteidigen waren. Damit nicht jeder doofe Tourist seinen „I was here“-Unsinn in das historische Gemäuer hackt, haben sich die Chinesen etwas ausgesprochen Pfiffiges ausgedacht: Auf die Wände einiger Wachtürme wurde Holzplatten geschraubt, auf denen kann sich jeder verewigen. Platte voll = Verbrennung. Sehr löblich. Übrigens darf auf der Mauer auch nicht geraucht, gerannt und gerotzt werden. Daran halten sich auch fast alle. Nach knappen drei Stunden Wanderung mit vielen Ah!- und Oh!-Pausen und mit schmerzenden Knien kommen wir bei der Seilbahn an, ruhen ein bisschen aus, vermeiden nach Inaugenscheinnahme die öffentlichen Toiletten, zahlen noch mal 20 Euro für die Abfahrt, weil die Sessellifter und die Seilbahner nichts miteinander zu tun haben und schweben ins Tal. Nun kann sogar ich die Höhe genießen und noch einen sehnsuchtsvollen Blick auf die großartige Große Mauer werfen.
Noch ein paar Höhenmeter, dann geht es wieder in den Shuttlebus und von dort direkt in die Kneipe: ein Schälchen Bratreis mit Gemüse, Dumplings mit Hack und Sellerie gefüllt und zwei Zischbiere haben wir uns echt verdient! Mr. Ceo schläft, wie vermutet, in der kuscheligen Tiefgarage, wird aber sofort hellwach, als wir zaghaft gegen die Scheibe klopfen. Auf dem Rückweg nach Peking zeigt uns China noch einmal, wie Stau wirklich geht, aber nach etwas über zwei Stunden sind wir vor dem Hotel. Ein richtig, richtig toller Tag, auch wenn wir jetzt richtig müde sind!
La Muralla China
Eindeutig: Dein Lächeln im Sessellift wirkt etwas gequält. Aber, um mal John Wayne abzuwandeln: „Mut ist, in eine Gondel zu steigen, obwohl man Todesangst hat“. Wir waren übrigens am Sonntag in Hamburg, Fleetfahrt machen. Nur damit Ihr nicht denkt, wir kämen nicht rum in der Welt…Allerliebste Grüße 🙂
Du machst mich bange! Aufm Sonntag in Hamburg ? Huch! Ansonsten hast du das ganz richtig gesehen: ich hatte wirklich Angst in diesem mistigen Ding. Übrigens verfolge ich natürlich auch in Peking das Geschehen und weiß somit auch um den Verkauf der Familie Jahr an Bertelsmann. Man darf gespannt bleiben. Geht es Euch gut? Allerliebste Grüße von den Reisenden 🙂
Schade, daran habe ich gar nicht gedacht, sonst hätte ich Dir gestern den Livestream schicken können und Du hättest eine leicht nervöse Frau J. erlebt. 🙂 Und zu HH am Sonntag: Es kommt noch schlimmer – eigentlich wollten wir noch ins Museum für Völkerkunde, das wurde aber zu spät. Und deshalb ist das nächste „Ausfährtle“, um meinen Mann zu zitieren, schon geplant. Ansonsten alles prima hier, Stall ist voll, Arbeit wird weniger, gesundheitlich auch alles gut.
heftig winkt – auch zum ungeheuer Attraktiven
das Olsch