Buenos Aires Schnurren

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Quasi direkt vor unserer Haustür liegt der Paseo Colon, eine der wichtigen Straßen, die direkt zum Ritiro, zum Bahnhof führen. Damit das zügig klappt, wurden schicke Schnellbus-Trassen gebaut. Grandiose Idee, um an den täglichen Blechlawinen Richtung dowtown vorbeizischen zu können. Um die extrem günstigen Busse nutzen zu können, benötigt man allerdings eine «sube », eine aufladbare Fahrkarte im Kreditkartenformat, mit der man problemlos auch zu zweit oder dritt fahren kann. Bargeld wird in den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht akzeptiert. Das Gute: Die Sube kann man an fast jedem Kiosk aufladen lassen. Und Kioske gibt es reichlich. Das Schlechte: Es gibt keine Karten. Von unserer Wohnung in der Calle Azopardo laufen wir den ersten Kiosk an. Nichts. Den Zweiten. Nichts. Beim fünften oder sechsten rät man uns, zur Post einen Block weiter vis à vis zu gehen. Die haben die Karten sicher. Möglich. Aber: Die Post ist geschlossen. Ohne erkennbaren Grund. Dicht. Statt also für ein paar Cent den Bus zu nehmen, sinken wir erschöpft in ein Taxi. Kostet bis zur Plaza de Mayo auch nur drei Euro… P.S. An der zwölften oder dreizehnten Anlaufstelle kriegen wir in der City dann auch eine sube…

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Gran Café Tortoni. Natürlich waren wir schon einmal im vielleicht traditionsreichsten Kaffeehaus Südamerikas. Das ist aber Jahre her. Im Folgenden waren Besuche nie möglich, wollte man sich nicht stundenlang in die Schlange mit anderen Touristen einreihen. Corona hat vor allem die Asiaten und viele Europäer von einem Trip nach Buenos Aires abgehalten. Jeder will einmal einen Blick in das Interieur längst vergangener Zeit werfen, ein legendäres Törtchen löffeln und die Gemälde berühmter argentinischer Künstler an den Wänden bewundern. Wir bekommen heute sofort einen Platz unter der fantastischen Glaskuppel, frühstücken – dank des ungeheuer günstigen Western Union Kurses – für umgerechnet vier Euro pro Nase wie einst in der Bel Epoque. Dick geschnittener Toast mit Butter und Marmelade, frisch gepresster Orangensaft, Kaffee. Das alles serviert von Kellnern in etwas fadenscheinigen Smokings, was man aber im Licht der echten Tiffany-Lampen kaum bemerkt.

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Unterwegs ins Restaurant Malbecqueria. Hier will Ana ihren Geburtstag feiern, wir sind mittags zum Testessen verabredet. Das Restaurant in Palermo fahren wir bei brütender Hitze besser mit dem Taxi an. Um die Ecke an der Ampel Independencia hält eines, das offenbar eine Klimaanlage hat. Als wir unseren Irrtum bemerken, gibt die Fahrerin schon Gas. Eine winzige Person, die durchaus 80 sein könnte. Wache Augen unter dem gelblich blond gefärbten Schopf, aber das Zittern… Ömchen zittert wie Espenlaub. Und schleicht mit 30 Stundenkilometern schneckengleich durch die wilde Stadt. Um nicht vom rechten Weg abzukommen, orientiert sie sich am Mittelstreifen. Zum Linksabbiegen hält sie den zittrigen Arm aus dem Fenster.  Wir schwitzen Blut und Wasser… In aller Ruhe setzt Oma uns an der falschen Ecke ab, weil sie das mit dem Einbahnstrassensystem nicht mehr so auf die Reihe kriegt…

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Mit Ana in der Malbequeria. Wir warten eine Dreiviertelstunde auf die Vorspeise: Ravioligrosse Empanadas. Längst ist klar, dass dieser Laden, der schick versucht und jämmerlich scheitert, nicht unserer wird. Wir müssen mit der Party umdisponieren. Grund ist nicht nur, dass der Service schleppend und unfähig ist, Grund ist auch nicht, dass die Bude für hiesige Verhältnisse richtig teuer ist. Der Grund ist, dass sie nicht einmal gut kochen können. Wir werden etwas finden und diesen Blender vergessen.

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Wer etwas über die Weltanschauung der Argentinier wissen will, muss Taxi fahren. Hier wird einem die Welt noch einmal völlig neu erklärt. Wir erwischen einen, der sich über alles aufregt. Über die Richterin, die mit einem Mörder knutscht, über Windkraftanlagen, gegen die in Buenos Aires protestiert wird, obwohl sie doch offshore 400 Kilometer entfernt im Atlantik gebaut würden. Das sieht man hier doch gar nicht… Über die Zustände im Allgemeinen und besonderen und darüber, dass Argentinien so gar nichts auf die Reihe kriegt. Er sabbelt wie eine Sprechpuppe.

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Wechselkurs. Um es einfach zu machen, runde ich die Zahlen. Offiziell bekommt man für 100 Euro 10 000 Pesos. Wer also mit der Kreditkarte zahlt oder bei der Bank Geld wechselt, bekommt diesen Kurs. Dann gibt es noch den Dólar blue, einen Wechselkurs, der täglich in den Zeitungen veröffentlicht wird und mit dem arbolitos, so nennt man illegale Geldwechsler, vorzugsweise auf der calle Florida ihren Lebensunterhalt verdienen. Cambio, cambio an jeder Ecke: Für 100 Euro gibt es 19 000 bis 20 000 Pesos. Und dann gibt es noch Western Union. Schickt man sich selbst oder einem anderen Geld – zum Beispiel von seiner Kreditkarte – bekommt man eine Nummer, mit der und seinem Pass der Beschickte in eines der zahllosen Western Union Büros geht. Nach Abwarten in der obligatorischen Schlange bekommt man dann Bares problemlos ausgezahlt: 23 000 Pesos und mehr. Der Kurs ändert sich dank der grassierenden Inflation nahezu stündlich. Dass das Leben dadurch für uns im Moment extrem günstig ist, ist klar. Aber dass immer mehr Argentinier in die Armut rutschen, auch. Eine Flasche Malbec gibt’s im Restaurant schon ab 500 Pesos. 2,50 Euro. Ein Kaffee kostet 160 undsoweiterundsofort.

2 Kommentare zu „Buenos Aires Schnurren“

  1. was für ein toller text..ich habe mit Euch in den Taxis gesessen, das arme Öhmchen muss noch in dem Alter arbeiten.
    Dann der nervige Quatschkopf. Und alles andere was ich mit Euch erlebt habe, sehr interessant. Wenn bloß nicht so eine blödsinnige Hitze wär.

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