Wir haben über neun Stunden tief und fest geschlafen, gemütlich geduscht und dann Rühreier & Toast mit Blick auf den See gegessen. Dunkle, tiefe Wolken verheissen nichts Gutes…
Schweren Herzens trennen wir uns von diesem niedlichen Apartment und fahren zum Tanken nach Whitehorse. Der Ort ist wie beim ersten Besuch überaus belanglos, also sind wir schnell wieder auf dem Alaska Highway. Interessant, was man so alles verdrängt. Wir haben zum Beispiel überhaupt nicht mehr auf der Rechnung, wie lausig der Highway war und natürlich noch ist. Dazu fängt es an zu regnen. Erst zögerlich, dann aber aus allen Rohren.
Einige hundert Kilometer schüttet es, wir ruckeln und zuckeln immer weiter nach Osten. Erst kurz vor der Abbiegung des Highway 37 (auf dem wir von Terrace kommend nach Norden gefahren sind) wird es besser. Es wird sogar trocken.
In Watson Lake biegen wir ab zum visitor center, das direkt an einem der berühmtesten kanadischen national monuments liegt, dem sign post forest. 1942, zum Beginn der Bauarbeiten durch das amerikanische Militär, hatte irgendein Soldat aus Heimweh sein Autokennzeichen von zuhause an einen Pfahl genagelt. Dieses Kennzeichen gibt es schon lange nicht mehr, aber 50 Jahre später ist der Soldat noch mal wiedergekommen und hat eine Replika davon mitgebracht. Die hängt nun unter Glas im visitor center, der Soldat ist inzwischen mausetot, aber für immer berühmt.
Denn aus seiner Macke ist ein Blechwald entstanden: Über 85 000 sign posts aus allen Ländern der Erde sind angenagelt. Wir haben sie zwar nicht gezählt, uns aber gewundert, dass offenbar viele Leute den Besuch von langer Hand geplant haben. Nur so ist es zu erklären, dass so viele Originalschilder hier hängen.
Ein Paar aus Formosa hat nicht vorgeplant, sondern sich sein Schild selbst gebaut und bemalt. Die beiden Chinesen, die schon die grosse Südamerikatour hinter sich haben, strahlen vor Glück darüber, sich hier nun zu verewigen.
Ganz anders Lourdes und Francisco aus Argentinien: Das junge Paar, seit zwei Jahren on tour, klappert vor Kälte. Als Kommunikationsminister derer von und zu Klitzing quatsche ich sie natürlich an. Erst freuen sie sich, dass ich spanisch spreche, dann strahlen sie vor Glück, dass Juan Argentinier ist. Wir schnacken ein bisschen, umärmeln uns, wie es in Südamerika üblich ist, und verabschieden uns.
Und nun? Watson Lake ist ungefähr so sexy wie ein Pickel. Also beschliessen wir, noch ein bisschen weiter zu fahren. Der Highway 97 soll uns schon mal in die grobe Richtung Fort Nelson bringen.
Ein digitales Verkehrsschild warnt vor Büffeln (=Bisons) auf der Strasse. Büffel, schon klar… Die glänzen garantiert ebenso mit Abwesenheit wie Bären, Moose & Caribou…
Den ersten Büffel sehen wir liegend und mümmelnd ein paar Meter vom Strassenrand entfernt.
Wenige Kilometer weiter grast ein riesiger Schwarzbär gemütlich in der Nähe der Strasse. Wir fotografieren wie bekloppt, da sehe ich plötzlich auf der anderen Seite der Strasse einen Grizzly. Juan glaubt mir erst nicht, ist dann aber auch hin und weg. Der Schwarzbär trödelt in den Wald, der Grizzly bleibt. Eine Mutter mit einem Jungen, das sicher aus dem Vorjahr stammt. Nein, sogar zwei Junge. Was für ein Schauspiel!
Auf der Gegenseite hält ein roter Jeep, offenbar genauso fasziniert wie wir von den Grizzlys. Und was tut dieser vollidiotische Oberdepp? Bringt seine Drohne in die Luft! Die Grizzlymutter ist sofort aufgeregt und wittert Gefahr für ihren Nachwuchs. Das Surren der Drohne ist bis zu uns zu hören!
Es kommt, wie es kommen muss: Die Drohne stürzt ab, weil der Idiot nicht damit ungehen kann. Er hupt auch noch wie verrückt und lenkt seinen Jeep von der Strasse ins Grüne in Richtung Grizzlys – die hauen ab. Leider, leider zerstören sie die dämliche Drohne nicht.
Wir fahren langsam weiter, und es geht Schlag auf Schlag: Schwarzbären, Büffel, ein Fuchs, mehr Schwarzbären, mehr Büffel, sogar eine ganze Herde mit vielen Jungtieren.
So viele Tiere wie auf diesen 150 Kilometern haben wir auf der ganzen Reise nicht gesehen. Wir sind restlos begeistert. Juan nennt den Tag heute unseren Bingo-Tag. Recht hat er! Irgendwann biegen wir kurz nach dem letzten Schwarzbären auf einen lausigen Campingplatz ein, auf dem wir unter anderen drei Motorräder aus Brasilien sehen. Auch weit weg von zuhause! Ein paar Sandwiches, ein Bier, gute Nacht! Wir werden von unserem grossartigen Jurassic Park träumen!