Das Bedenkliche an Entscheidungen ist, dass man sie treffen muss. Darf man in den natürlichen Kreislauf eingreifen? Kaffee, Lesen, Zocken, Pool, Porch, Buch, Pool, Porch, Buch, Pool, Porch, Apero, Buch, Dinner, Buch, Buona Notte? Dieser Kreislauf hat ja seinen Sinn.
Heute steht uns der Kopf nach Unsinn. Ausbruch aus dem kuscheligen Nest. Das Auto ist bei 26 Grad nur mässig heiss. Wir haben ihm für 6,50 einen Alu-Sonnnenschutz geschenkt, der seine Aufgabe erfüllt.
Die 26 Grad sind natürlich nur eine Finte für das, was kommen wird: Hitze. Trotzdem machen wir uns über die staubige Piste auf den Weg nach Süden. Siena!
Glücklicherweise gibt es in Castellina in Chianti keinen Markt, wir können also den gesamten Weg von nahezu 40 Kilometern durchfahren. Es bedarf schon einer gewissen Pfiffigkeit, in Fortezza, zu Füssen der mächtigen Medici-Festung, zu parken. Denn dieser Platz ist möglicherweise die maximale Entfernung zur Piazza del Campo, auf der in Siena die Musik spielt.
Aber dieser Kilometer (oder sind es zwei?) ist nicht unüberwindbar. Zumal das Thermometer auch erst auf 31 Grad geklettert ist. Dazu muss man aber anmerken, dass sich die Hitze in den engen Gassen Sienas fängt. Aber wer würde meckern?
In der Stadt waren wir zu unterschiedlichen Jahreszeiten schon einige Male. Allerdings wiederholt sich hier, was wir aus Venedig, San Gimignano und Volterra kennen: Es ist nahezu nichts los. Und leider sind die Geschäfte, die links und rechts geschlossen sind, nicht nur für eine Siesta zu: Die Inhaber sind offenbar im Dutzend pleite.
Natürlich gibt es den üblichen Tand zu kaufen. Und in einigen Geschäften sind auch noch ostasiatische Verkäufer anzutreffen. Nur: Die Klientel aus dem Land der aufgehenden Sonne ist seit über einem Jahr weggeblieben. Das schmerzt. Dazu der coronabedingte Ausfall des Palio am 2. Juli – das schmerzt noch mehr.
Also schlendern wir Schatten suchend vom Campo zum Dom. Was für ein Gemäuer! Trotz oder vielleicht auch gerade wegen des gleissenden Sonnenlichts ist er ganz einfach spektakulär. Wir marschieren tapfer – Kopf immer im Nacken, weil es so viel Schönes zu sehen gibt – durch Sienas Altstadt, mutmassen, welche Medici und Schlimmere hier ihr Unwesen getrieben haben, sehen in einer Ausstellung mit Schrecken, wie viele Männer in den letzten Jahren beim Palio oder in der Vorbereitung dazu ihr Leben gelassen haben, entschließen uns gegen eine Kugel Eis, weil die vor den Lippen auf dem Hemd gelandet wäre – da ist die Hitze unerbittlich.
Wir haben noch nicht gefrühstückt, also suchen wir mal wieder ein schattiges Plätzchen. Auf dem Campo servieren sie längst komplette Mittagessen – nicht für uns. In einer Seitenstrasse finden wir dann, was wir gesucht haben. Eine Trattoria mit Garten und grossen Sonnenschirmen. Man bringt uns die Karte. Light lunch. Hä? Na gut, dann eben light lunch: Jeder bekommt einen Teller wohlschmeckende Pasta, dazu einen Liter Wasser, ein Gläschen Vernacchia und zum Schluss einen Kaffee. Das ermattet alles.
Zeit, in den natürlichen Kreislauf zurückzukehren. Via den niedlichen Ort Colle im Elsa-Tal kommen wir auf unsere ruppelige Schotterstrasse, Minuten später in die Badebüx und in den Pool. Hier oben auf unserem Hügel weht ein leichtes Lüftchen. Mit 31,5 Grad ist es auch deutlich zwei Grad kühler als in Poggibonsi.
Und nun? Porch, Buch, Pool, Porch, Buch, Apero, Porch, Pool, Buch. Nach einem leichten Abendessen müssen wir uns wenigstens zu keiner Entscheidung durchringen: Italien spielt heute Abend um neun gegen Spanien ein Halbfinale der EM. Passt mit in den Kreislauf.