Was sind denn das für seltsame Töne, die uns morgens um acht im 19. Stock des Landmark Hotels erreichen? Beim genaueren Hinhören wird klar: Der singt wer. Und zwar ziemlich laut, weil wir es hier oben sonst sicherlich nicht hören würden.
Wir gehen erst einmal frühstücken und dann in den Park direkt vor der Tür und querab vom Pearl River. Hier sind die Töne deutlich lauter, deutlich schriller. Sogar unsere unerfahrenen Ohren nehmen wahr: Hier werden chinesischen Opern geschmettert. Und zwar von allen möglichen Seiten mit durchaus verschiedenen Libretti. Wir gucken natürlich genauer hin und entdecken musizierende Grüppchen, alle im fortgeschrittenen Rentenalter, die lauthals singen, was ihnen so einfällt. Mit erstaunlichen Ergebnissen, die für westliche Ohren nicht immer wohlklingend sind.
Wollen wir mal lieber nicht stören. Entspannt marschieren wir Richtung Fischmarkt. Den kennen wir schon von früheren Besuchen in Guangzhou, er ist aber immer ein Erlebnis. Natürlich wollen wir den weiten Weg Richtung Shimian Island nicht zu Fuss gehen.
Natürlich. Aber wir durchschlendern wieder die abenteuerlichsten Gassen, sehen Handwerker, Köche, Paketpacker und Gaffer. Und sieben, acht Kilometer später stehen wir wieder einmal mitten auf dem Fischmarkt, der jetzt um die Mittagszeit in den letzten Zügen liegt. Aber es ist immer noch zu erkennen, wie hier verkauft und verhandelt, geschuftet und geruht wird. Spektakulär. Wir sind zwar weit und breit die einzigen Langnasen, das bedeutet aber keineswegs, dass uns irgendjemand zur Kenntnis nimmt. Gut so.
Wir gucken exotische Meerestiere an, bemitleiden ahnungslos Schildkröten, weichen Wasserschläuchen und den unvermeidlichen Elektrorollern aus. Es riecht, es stinkt, es duftet, ist grau, schwarz oder kunterbunt – ein Erlebnis.
Den weiten Weg zurück ins Hotel bringt uns für knapp zwei Euro ein Taxi. Das Gehirn muss auslüften, die Füsse auch. Ohne Pause ist das alles nicht zu machen.
Gegen halb fünf stehen wir wieder auf der Strasse. Mal sehen, was sich auf der anderen Seite des Flusses tut. Auch hier noch alter Baubestand, aber deutlich weniger action als auf der anderen Seite. Wir passieren eine Strasse, in der es ausschließlich Badezimmerkeramik gibt, dann ein paar handwerkliche Betriebe – und dann rührt mich fast der Donner: Braut- und Abendmode in ungeheurer Auswahl. Will man in Europa in ein Brautmodengeschäft, geht’s nicht ohne Termin, wurde mir berichtet. Hier reiht sich ein Laden an den nächsten. Weite Petticoats, Schleppen, enge Mieder, Spitzen und Stickereien – alles im Überfluss.
Noch viel irrer sind die Boutiquen mit traditionell bestickten chinesischen Abendroben. So etwas habe ich noch nie gesehen. Halb besoffen von so viel Pracht schleppen wir uns zurück Richtung Hotel über die Flussbrücke, kehren ein in einem Laden mit einer Art englischer Speisekarte. Wir essen krosses Schwein und lasches Huhn, trinken dazu eiskaltes Tsingtao, das mit dem Hinweis serviert wird, es handele sich um die letzten beiden Flaschen. Wollten wir mehr, müssten wir auf Budweiser umsteigen. Wir sind sogar für ein zweites Bier zu müde.