Heute hat unser Freund Horst Geburtstag. Das ist so ein Anlass, weit entfernt von allem etwas wehmütig zu werden. Natürlich feiern alle mit ihm, die Chinesen mit all den fabelhaften Töchtern und deren Familien, die Verwandten aus der Herbert-Weichmann-Straße… Ach ja, da wären wir gern dabei gewesen. Heimweh wird nicht davon weniger, wenn das eigene Brüderchen sein geplantes Weihnachtsmenü „whatsapped“. Tausend Gedanken gehen einem früh morgens so durch den Kopf, und plötzlich ist es da: das vertraute Geräusch. Kann es sein? Tatsächlich! Es gießt in Strömen. Och, wie schön 🙂 Der Regen vertreibt alle traurigen Gedanken. Ich gucke ihm einfach zu.
Schon seit über 20 Jahren will ich ins Nationalmuseum der Schönen Künste – bisher hat es nie geklappt. Aber heute? An einem Regentag? Ich gucke mir schon mal den Weg aus. Irgendwie kompliziert. Aber dann doch wieder nicht, weil Juan zu meiner Freude mitkommen will und den richtigen Bus kennt. Busfahrten in Buenos Aires sind so ein Ding. Nicht jeder Bus hält an der vorgesehenen Haltestelle. Mal kommen vier von einer Linie, dann wieder lange gar keiner. Man reiht sich in eine Schlange ein und hofft, dass man irgendwie in den richtigen Bis kommt. Wird schon schiefgehen.
Für ein paar Cent – man sagt dem Fahrer, wohin man ungefähr will und zahlt dann mit der prepaid sute-Karte – landen wir vis-à-vis dem eleganten Bauwerk, in dem das Museo Nacional de Bellas Artes untergebracht ist. Eine wirklich herausragende Einrichtung, für die nicht einmal Eintritt verlangt wird. Nirgendwo in Lateinamerika sind so viele hervorragende Künstler ausgestellt. Wir bewundern Werke von Rubens, Rembrandt, Goya, Rodin und vielen anderen, freuen uns über Plastiken von Henry Moore und Monet, denken darüber nach, ob man den kleinen Renoir nicht einfach einrollen könnte. Unterschiedliche Sammlungen sind hier zu einem sehr harmonischen Ganzen kuratiert worden. Die Zeitgeschichte der Malerei vom späten 15. bis Ende des 20. Jahrhunderts. Neben den internationalen Meistern gibt es verschiedene Ausstellungen argentinischer Künstler mit großartigen Arbeiten. Von den meisten habe ich noch nicht einmal den Namen gehört.
Während wir so durch die Ausstellung schlendern, erinnern wir uns fröhlich an ein sächsisches Mädchen, dem wir im vergangenen Jahr im Metropolitan Museum of Art in New York über den Weg gelaufen sind. Wir werden die Frage, die es seinem Begleiter stellte, nie vergessen: „Glaubst du etwa, dass die Bilder echt sind?“
Ein paar Stunden später stehen wir wieder auf der Straße, schlendern ein bisschen durch Recoleta, essen ein Sandwich in einem Deli, bevor wir wieder in unseren Bus springen.
Nachmittags gegen fünf ist der Verkehr in Buenos Aires unvorstellbar. Hinzu kommt noch, dass die Plaza de Mayo vorm Regierungspalast offenbar gesperrt ist – noch mehr Autos, Busse und Motorräder, die sich auf den abenteuerlichsten Wegen durch den dichten Verkehr schlängeln. Mal fällt einer auf dem Fußgängerweg einfach um – das kümmert weder die Passanten, noch die Polizei, die direkt daneben steht.
Mich wundert nicht, dass Buenos Aires die höchste Dichte an Psychotherapeuten und Psychiatern weltweit hat…