So. Ein neuer Tag, 14 Grad, aber die Sonne scheint. Die Stimmung hat sich analog zu Juans Backe verbessert. Von unserem Apartment im neunten Stock ist es nicht weit in den Frühstücksraum. Schon durch das Stuhlgescharre seit sieben war klar, dass er direkt über uns ist. Auch hier gibt es wieder ein Büffet mit allem südamerikanischen Schnickschnack inklusive Dulce de leche – man merkt, von Argentinien trennt uns nur ein Fluss, mal wieder der Rio Uruguay. Aber erst einmal spielt sich ein optischer Leckerbissen direkt vor unseren Augen ab. Das brasilianische Gegenstück zur Ralph Lauren Werbung. Mutti, Anfang 30 und gut in Form, in engen, schwarzen Hosen in hohen Stiefeln, einer helle Bluse unter der schwarzen, kurzhaarigen Fellweste, auf der Stuhllehne ein breitkrempiger, schwarzer Hut. Die beiden Söhne, vielleicht 6 und 8 Jahre alt, in weiten, senffarbenen Hosen in hohen, weichen Stiefeln, hellblauen Hemden unter dem dunkelblauen Pullunder, um den Hals jeweils ein rotes Tuch. Und der Papa ebenfalls im superedlen Gaucho-Outfit mit weiten Hosen, Slippern, feinem Hemd und Umhängetasche, in der sämtliche Mate-Utensilien elegant untergebracht sind. Sollte unsere Freundin Lisa jemals eine allerfeinste Estancia-Familie stylen – genauso würde sie aussehen. Nein, ich habe mich nicht getraut, ein Foto zu machen…
Inspiriert durch diese Familie machen wir uns auf den Weg zurück nach Argentinien. Der brasilianische Zoll lässt sich nirgendwo sehen, also fahren wir so über den Fluss. Ein extrem hilfsbereiter Zöllner auf argentinischer Seite schickt uns zurück: Ohne Ausreisestempel könnten wir später mal Probleme bekommen. Er weist uns den Weg zu den brasilianischen Kollegen, die wir aber nur mit Hilfe eines possierlichen Truckers aus Chile finden. Alle sind irgendwie verliebt in unsere kanadische Kiste 🙂 Ausgestempelt, wieder zurück. Juan nimmt alle Papiere mit, die eine chica ordnungsgemäß in den Computer tippt. Dauert knapp ein halbes Stündchen. Ich werfe noch mal einen Blick und stelle fest, dass wir nun plötzlich Schweizer sind. Dazu hat Juan auch noch dieselbe Passnummer wie Francis, unser Autoverkäufer. Und der Franzose ist von Zöllners Hand auch Schweizer geworden… Vorsichtshalber lässt Juan noch mal Passnummer und Nationalität ändern. Das geschieht handschriftlich mit allen amtlichen Stempeln. Hätten wir ein bisschen kriminelle Energie und einen halbwegs begabten Fälscherfreund, könnten wir das Grauchen nun gegen viel Geld in Argentinien verkaufen. Auf uns ist es kaum noch zurückzuführen…
Aber Grauchen bleibt natürlich bei uns. Wir fahren Richtung Mercedes (genau: das war unsere Basis für den Ausflug in die Esteros de Ibará), von dort weiter auf der Ruta 12 nach Corrientes. Das ist eine Gegend, in der man tunlichst vollgetankt haben sollte. Denn hier gibt es Landwirtschaft, Natur und sonst nichts. Gar nichts. Unterwegs werden wir allerdings noch von einem Polizisten gestoppt, der außer Rand und Band gerät, als er unser Kennzeichen sieht! Ganz aus Kolumbien! Als wir ihn aufklären, trällert er auf seiner Schiedsrichterpfeife noch einen Kollegen ran. Juan steht mit den beiden hinter dem Auto, ich sitze drin und versteh kein Wort. Was wollen die? Kohle? Ganz, ganz anders! Polizist Nr. 1 möchte unbedingt ein Foto von sich und Juan und den kanadischen Kennzeichen. Das hat er ja noch nie gesehen! Und ob wir mit dem Schiff gekommen seien? Wie, Deutschland? Ach, gut, egal. Hauptsache, der Kollege hat das Bild. Zur Gesellschaft schieße ich auch noch eins von den beiden Wachtmeistern mit Juan. Per Handschlag verabschieden wir uns alle voneinander. Der kleine, dicke Polizist winkt uns noch hinterher.
Das kann man den Nandus, die wir auf den nächsten Kilometern treffen, ebensowenig erzählen wie dem anderen Viehzeug links und rechts der Straße, die uns gegen fünf nach Corrientes führt. Wir hatten uns online schon mal eine Hütte ausgeguckt und das Don Suites Aparthotel in der Calle Rioja wird es auch. 750 Pesos inkl. Parkplatz und Frühstück, also 50 Dollar mit dem kruden Umrechnungskurs – alles bestens. Vor allem die Lage: Wir sind direkt am Rio Parana, haben heute diagonal die Provinz Corrientes durchquert, bis wir jetzt in deren gleichnamiger Hauptstadt einen Moment die Füße hochlegen.
Wir denken noch mal an all die Overlander, die jahrelang detailgenau ihren großen Trip planen und bei jedem Schritt hoffen, dass auch ja alles gut geht. Und dagegen wir. Kurzerhand online ein Auto gekauft, Pläne verworfen, eine Schlafstätte einzubauen oder einen Dachkoffer zu installieren – einfach los. Es gibt natürlich auch nichts, was wir versäumen: Wir haben ja nichts geplant. Das ist wirklich, wirklich gut! Sonst wären wir jetzt wahrscheinlich an der Küste von Uruguay, klappernd und frierend im Regen, würden morgen ins Museum wollen, um festzustellen, dass auch in diesem Land montags die Kunst ruht. Stattdessen sind wir auf Jück Richtung Wärme und Norden. Morgen gucken wir uns mal die Provinz Chaco ein bisschen näher an, deren Hauptstadt Residencia genau gegenüber von Corrientes liegt.