Kanada zeigt sich heute morgen wieder einmal von seiner schönen Seite: Sonne über den Rocky Mountains. Wir gucken uns in Netz und Roadatlas noch ein paar Routen an und fragen uns, ob überhaupt noch jemand den Nerv hat, andando zu folgen. Man hört ja nix.
Langsam trödeln wir von Cranbrook Richtung Süden auf Highway 93. Schöne Aussichten, einige Staus, weil gerade viele Strassenschäden behoben werden. Auffällig sind die vielen Blumenwiesen, an denen wir vorbeifahren. Margeriten, Löwenzahn und mehr. Sehr schön! Fast kann man sich vorstellen, wie das hier alles im tiefen Winterschnee aussieht. Ein bisschen beginnt die Landschaft dem Voralpenland zu ähneln. Man darf aber nicht vergessen, dass wir uns in einem Tal (!) auf 1000 Meter Höhe befinden.
Kurz vor Rooswell, der Grenzstation der Amerikaner, fällt uns siedendheiss ein, dass wir ein paar Äpfel und Bananen, ausserdem alle Zutaten für eine gute Bemme sowie Bier und Wein dabei haben.
Naja, wir haben sowieso Wichtiges mit dem Officer zu besprechen: Weil wir am 4. Juni nach Alaska eingereist sind, läuft unser USA-Visum am 3. September nach 90 Tagen ab. Kann man da nicht etwas machen? Grenzübertritte nach Kanada und/oder Mexiko haben leider keine erneuernde Wirkung mehr. Dem Officer fällt nur eine Lösung ein: Kurz nach Deutschland und dann wieder neu einreisen. Er ist froh, dass er uns wieder los wird und vergisst alle auswendig gelernten Fragen nach Obst & Co. Gut, gut, also Ausreise spätestens am 3.9. Juan ist deshalb säuerlich, meint, man könne irgendwo mit einer vorgesetzten Behörde sprechen. Meinetwegen latsche ich in irgendeiner Stadt noch mal zu den customs officers und frage nach. Aber… Schwamm drüber. Erst mal können wir theoretisch zehn Wochen in den USA bleiben. Ist ja auch schon mal ein Wort!
Nun sind wir mal in Montana. Der Bundesstaat ist etwas grösser als Deutschland und hat eine knappe Million Einwohner. Es hat also Platz. Nördlich grenzt Kanada, westlich Idaho, östlich North Dakota. Im Süden liegt Wyoming.
Den Glaciar Nationalpark in den Rockies im Norden schenken wir uns – kennen wir von einem früheren Besuch und unsere liebsten Gletscher sind sowieso in Argentinien. Dazu kommt die begründete Furcht, dass wieder Menschenmengen vor den Kettenfahrzeugen Schlange stehen, die einen auf den armen Gletscher karren.
Schlagartig mit dem Grenzübertritt ändert sich alles: Plötzlich wird überall Landwirtschaft betrieben, wir sehen viele Pferde – sogar einige Apaloosas! – und Rinder. Im Gegensatz zum Norden gibt es hier auch wieder kleinere Autos. Auffällig ist ebenfalls, dass hier, anders als in Kanada, nicht an jedem Haus ein Wohnmobil klebt.
Der erste Ort, den wir ansteuern, ist Eureka (nicht mit dem kalifornischen zu verwechseln!). Hier könnte John Wayne über die Strasse laufen ohne aufzufallen. Bisschen Musike von Ennio Morricone – fertig ist das Western-feeling. Überall Männer mit Stetsons oder Konkurrenzhüten, Häuserfassaden im klassischen Wild-West-Stil mit knarrenden Holzdielen. Gut, der Saloon wird heute von einem Griechen betrieben. Dazu ist es mit 24 Grad ordentlich warm geworden. Wir gucken uns ein bisschen um, sind dann aber auch schon wieder auf der Strasse.
Whitefish reizt uns nur deshalb, weil daneben die Colorado Falls liegen. Wasserfälle! Prima! Wir fragen nach dem Weg ubd sorgen für Heiterkeit. Die kann man doch nicht sehen! Nicht? Och.
Der Flathead Lake weiter südlich könnte uns gefallen, aber wir bleiben in einer Stadt namens Kalispell hängen.
Auch hier der wahre Westen! In einem Westernladen sehen wir die grösste vorstellbare Sammlung an Cowboystiefeln und Hüten. Wüsste ich nicht, wie übel die Boots über lange, lange Zeit drücken, hätte ich wie einst in Oklahoma zugeschlagen. Aber wunde Füsse machen ja schlau!
Der Ort, als Eisenbahnstation Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, ist sehenswert. Der Ortseingang ist verwechselbar mit allen dieser Städte auf dem Land: Malls, Motels, Tankstellen, Fressbuden. Dann kommt aber die Altstadt. Wieder Auftritt John Wayne! Musik von Johnny Cash (Gunther Gabriel, erfahren wir, ist heute an den Folgen eines Unfalls gestorben) und Frauen mit viel Glitzer auf, neben und über den Tattoos.
Einige der Gebäude sind tatsächlich erhalten, andere im Stil der Zeit sehr gut aufgebaut. Insgesamt ist daraus ein durchaus sehenswerter Altstadtkern entstanden. Im visitors center hockt eine Dame, die wahrscheinlich noch das Einlaufen des ersten Zugs in Kalispell miterlebt hat. Ich hätte gern Informationen über die Gegend, sie drückt mir einen Prospekt in die Hand und schnarrt über die halbe Brille hinweg: „Do your homework. That’s all you need.“ Aha.
Inzwischen plagt uns schrecklicher Hunger, ausserdem wollen wir ins Netz. Gegen den Hunger hilft ein pfiffiger Chinese namens Panda Gourmet (!), das Netz klauen wir einem Walmart. Und schlagen dann am späten Nachmittag unser Zeit in Kalispell auf. Zum Campen ist es zu warm, zu anstrengend, zu viele Mücken, zu grosse Zeckengefahr – mit anderen Worten: Wir haben keine Lust und sind in einem nicht erwähnenswerten Motel, das wichtig Aero Inn heisst.
Eigentlich wollen wir noch mal in die Stadt gucken. Eigentlich…
Zu den bisons Sind es nur noch 80 Meilen. Sehenswert die Kombis an die Straße. Vielleicht gibt’s auch ein gutes Steak. Und dann ist es auch nicht mehr weit bis nach Mexiko. Vielleicht von da mit dem Visum.
Bisons wahrscheinlich heute 🙂 Mexiko hilft dem visum auch nicht, Zeit läuft mit anrainern weiter…