Wie schön!

 

Unser Zimmer ist geräumig und schön, das Wetter grau und trübe. Aber dafür ist unsere Laune umso grossartiger! Soeben habe ich mal bei BC Ferries angerufen, um mich nach dem Stand unseres Platzes auf der Warteliste zu erkundigen: Unsere Buchung ist bestätigt! Wir werden morgen die berühmte Inner Passage mit der Fähre fahren und übermorgen in Prince Rupert ankommen. Juchheeeee! Noch läuft der Winterfahrplan, das heisst, die Fähre geht über Nacht, allerdings nur zweimal in der Woche. Man kann also davon ausgehen, dass sie immer ausgebucht ist. 130 Vehikel und 600 Passagiere sind ja auch nicht gerade die Welt. Ach, wie toll! Es hat geklappt!

Das bringt natürlich unseren Zeitplan völlig durcheinander: Theoretisch wollten wir ab zwölf im Fährbüro antichambrieren – nun haben wir frei.

Das Frühstück ist fast genauso putzig wie gestern das Abendessen in diesem Hotel, das vorgibt, eine Luxusbude zu sein. In einem winzigen Raum stehen Kaffee, ein paar Joghurts, Melonenscheiben, Corn flakes und Muffins herum. Man soll sich bedienen und wieder abhauen: Grab’n’go. Während wir ein paar Sachen in den Jackentaschen verstauen (es gibt natürlich kein Tablett), werden wir Zeuge eines Bewerbungsgesprächs, das in diesem Raum vor allen Gästen geführt wird. Die arme Bewerberin muss sich vor unseren Ohren mit zwei Worten selbst beschreiben: intelligent and flexible. Möglicherweise überqualifiziert fürs Team…

Gibt es heute Schwarzbären zu sehen? Eine quälende Frage, die uns die nächsten Stunden begleiten wird. Zunächst einmal kümmern wir uns aber um den Lachs-Nachwuchs. Uns interessiert eine Aufzuchtstation, die Quatse River Hatchery. Theoretisch ist das Institut heute geschlossen, aber wir schleichen an den meist verdeckten Becken vorbei, bis uns eine eng zusammenstehende Gruppe auffällt. Die Leute arbeiten: Sie markieren etwa vier Monate alte und fünf Zentimeter grosse Lachse, damit man sie später von den Wildtieren unterscheiden kann. Die Fische wirken wie tot, wurden aber für den Eingriff nur betäubt, erzählt man uns. Sie werden schnell wieder munter. Hunderttausende, Millionen Lachse werden so markiert. Die Gruppe ist trotzdem bester Laune.

Da Schwarzbären sicherlich keine Lachsbabies fressen wollen, sind wir bald wieder auf der Landstrasse. Unser Ziel: Coal Harbour. Liegt ungefähr 20 Kilometer südwestlich von Port Hardy. Wir wissen, dass das Kaff an einem Fjord liegt – und vor allem, dass die Strasse dahin durch ein schönes Stück Wildnis führt.
Petzi kneift.
Der Kohlenhafen besteht aus einer First Nation Siedlung, einem Pier, einer Fischereiflotte und einem Museum. Kaum ist Rosie geparkt, landet ein Wasserflugzeug. Das ist hier ein Verkehrsmittel wie bei uns ein Auto – wir müssen uns immer wieder daran erinnern. Die Küstenlandschaft ist so zerklüftet, besteht aus Hunderten von Inseln, die nur übers Meer oder aus der Luft erreicht werden können.

Coal Harbour war einmal eine bedeutende Walfangstation. Das erfahren wir von Joey. Er ist allein schon den Weg hierher wert: 1950 ist er hier gestrandet, muss also um die 90 sein. Ursprünglich kommt er aus Washington State. Joey war einer der ersten Piloten hier, ihm gehört die Pier, das Museum und noch ein Flugzeug. Unser persönlicher Alptraum wäre es, eine flightseeing tour mit Joey als Piloten gebucht zu haben. Er spricht, als habe er zu den täglichen Whiskies auch immer gleich das Glas mitgegessen, trägt Klamotten, die auch in seinem Museum hängen könnten. Jeans und Jeanshemd sind tausendmal geflickt, trotzdem franst der Stoff aus, wo er will.

Ich frage an und kann ein Foto von Joey machen. Mit einer Handbewegung weist er in eine Richtung: alles Museum. Guckt Euch das alles an. Im ersten Raum dreht sich alles um Flugzeuge und die Kriegsmarine. Als wir im zweiten ein tiptopp renoviertes Feuerwehrauto sehen, schlurft Joey heran. Das habe er vor ein paar Jahren restauriert. Jedes Feuerwehrmuseum würde weinen vor Glück!

Joey erzählt ein bisschen über die Wale, die früher hier in der Gegend gejagt wurden und führt uns in eine riesige, hangarartige Bruchbude. Da, die Kieferknochen eines Blauwals… Riesengross! Zurück im Museum beäugen wir eine bemerkenswerte Telefonsammlung, Joey trollt sich wieder. Ein ausgestopfter Bär mit einer Knarre im Arm steht in der Ecke, Funkgeräte, die Enigma pfeifen, in einer anderen. Der Staub hier ist sicher auch original aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts.

 

Joey ist nirgendwo mehr zu sehen – Lass ihn bitte nicht geflogen sein! -, also gehen wir wieder. Auf dem Parkplatz stehen wir plötzlich Aug‘ in Aug‘ mit einem Reh, das auch noch zwei Kumpels mitgebracht hat. Nicht direkt Petzi, aber auch nicht schlecht!

Ganz langsam fahren wir zurück nach Port Hardy – die Bären denken nicht im Traum daran, sich zu zeigen.

Im Ort sehen wir mit „The Sporty Bar & Grill“ eine mögliche Alternative zum Hotelrestaurant. Und den Eingang zum Port Hardy Museum. Hinter einem Tresen sitzt eine ganz dicke, alte Dame, die es sich mit dem Kopfkissen aus ihrem Bett auf einem Stühlchen bequem gemacht hat. Der Eintritt ins Museum sei frei, aber dahinten stehe irgendwo eine Donation box. Wir lernen ein bisschen über die Holzfällergeschichte des Ortes, gucken uns die unterschiedlichen Felle, mit denen früher reger Handel getrieben wurde, an, bestaunen ein Grizzlifell und sind auch schnell durch mit der organisierten Kultur. Dieses hier ist nichts verglichen mit Joey!

Gegen drei im Hotel wundert es uns eigentlich nicht, dass unser Zimmer noch nicht gemacht wurde. Wir verabreden mit der Maid Klopfzeichen, ein Stündchen später taucht sie mit dem Schrubber unterm Arm auf. Vielleicht ein Käffchen unten im Restaurant? Wir drehen sofort um, denn am Empfang lauert Ryan. Didn’t we meet yesterday? Sure, we did. No worries… Weil wir angst vor dem haben, was uns Ryan diesmal servieren könnte, lesen wir ein bisschen in der Lobby, sehen der Rezeptionsdame beim Fensterputzen zu und schlagen die Zeit tot. Bald haben wir unser Zimmer wieder, Juan kocht einen Kaffee und es gibt Plätzchen aus der Prinzenrolle, die es nur bei Dollarama gibt und die genauso schmeckt wie das Original.

Ausserdem findet Juan heraus, wie die Heizfunktion der Klimaanlage funktioniert, es ist nämlich lausig kalt hier im Zimmer…

Natürlich raffen wir uns trotzdem noch einmal auf. Im überaus empfehlenswerten Dumont-Reiseführer „Kanada. Der Westen. Alaska“ gibt es für Port Hardy exakt eine Restaurantempfehlung: das „Sporty“. Auf dem Weg dahin sehen wir noch zwei wilde Karnickel – alles zählt 🙂

Im Pub: Entzückende Bedienung, Billard, wenn man mag, gutes pale ale vom Fass, Linguine und Schnitzel – wir spielen ein bisschen Abschied von der Zivilisation. Am Fenster gibt es drei Tische, alle sind von Deutschen besetzt. Wir sehen uns morgen auf der Fähre sicherlich wieder…

Auf dem Rückweg würden wir gern noch eine Flasche Grand Marnier einkaufen – geht nicht, der Liquor store ist seit sechs geschlossen. Und im Hotel? „Wir werden eine Bar haben, bald vielleicht…“ Mal sehen, ob sie vorher nicht schon wegen Dösbaddeligkeit schliessen müssen.

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