Der heutige Sonnenaufgang ist noch einen Tick spektakulärer , das Thermometer klettert Richtung 20 Grad und wir golfen eine höchst vergnügliche Runde. Damit ist ein schöner Tag eigentlich schon erzählt.
Aber dieser hält noch mehr bereit. Es beginnt mit einem Naturschauspiel, in das wir auf der kurzen Autobahnstrecke von Penina nach Lagos fahren: eine dichte Nebelwand, die sich vom Meer übers Land wälzt. Wir können zusehen, wie sie vorankommt – spektakulär! Deshalb entfällt auch das Glas Wein im Boa Vista Golfplatz – nix vista.
Nach Hause können wir noch nicht, da schwingt Nádia noch eine Stunde den Putzlappen. Etwas ratlos fahren wir Richtung Meer. Zum Glück! Schon aus der Entfernung sehen wir ein silbriges Licht auf dem Wasser – wunderschön! Auf dem Parkplatz bei Antonio angekommen, stellen wir fest, dass die Surfer-Karawane angekommen ist: Zu Hundert sind sie im Wasser, denn mit dem Nebel sind die Wellen gekommen. Während sich ganz langsam die Sonne durchs Graue beißt, erleben wir wie in einem Film, dass sich die Sonne Stück für Stück Terrain erkämpft: Erst die östliche Steilküste, dann einen Strandabschnitt, die ersten Wellen – plötzlich ist der Nebelspuk vorbei. Wir nippen atemlos vor Freude an unserem Weißwein und gucken den Surfern bei strahlendem Sonnenschein zu.
Zuhause ist alles ordentlich geputzt, Zeit, dass wir uns aus den Sportklamotten pellen, denn wir sind mit XY (den Hamburger Freunden, die ungenannt bleiben wollen) verabredet.
Sie wohnen in einem sehr schönen, gerade renovierten Apartment in der Nähe des Marktes Santo Armado, nur einen relativ kurzen Spaziergang von uns entfernt.
Und genau gegenüber befindet sich die Kneipe, in der wir um sieben zum Entenessen verabredet sind: O Recampo do Campones. Merkwürdig: Als wir kurz nach sechs bei XYs erscheinen, ist es dort noch stockdunkel…
Nach einem Aperitif-Wein chez XY fallen wir pünktlich in dem Laden ein. Und der ist schon einmal bemerkenswert: Drei Tische, maximal Platz für 14 Personen, ein vollgepackter Tresen, auf dem das eine oder andere Plüschtier verwest, wenig Licht wie in einer Hafenspelunke. Mittendrin: Sonia, die mittellange Dauerwelle zu zwei wirren Zöpfchen gebunden, über der roten Hose ein etwas knappes CocaCola-T-shirt in Weiß mit rotem Aufdruck. Bisschen füllig, aber flink wie ein Wiesel. Zunächst kümmert sie sich um den Tisch am Fenster, an dem vier Engländer in den besten Jahren gierig aufs Essen warten, dann deckt sie Stück für Stück unseren Tisch. Zaubert Weingläser aus einem Karton, der auf einem völlig überladenen Beistelltisch steht, Teller, Servietten – ja was denn noch? Ach ja, Besteck. Über allem der verführerische Duft der Enten.
Wir beäugen misstrauisch das britische Quartett, das uns doch hoffentlich nicht den Braten wegfressen will? Nein, will es nicht, denn für die Vier hat Steve, der Chef, eine andere Bestellung (es gibt alles nur auf Vorbestellung) gekocht: Filet Wellington, dazu Kartoffelstampf und verschiedene Gemüse. Das Filet trägt er höchstpersönlich zum Tisch, um die Beilagen kümmert sich Sonia. Die beiden sind in diesem winzigen Restaurant ein eingespieltes Team. Vielleicht auch im Leben; das wissen wir (noch) nicht.
So. Steve. Der Mann aus Schottland, der alles kochen kann. Sagt er. Ungefähr 1,70 groß, bebuntet mit „tatt sleeves“, also komplett tätowierten Armen, graues, etwas schütteres Haar ohne Schnitt, ein weißgraues Spitzbärtchen à la D‘Artagnan. Und ein Musketier in der Küche! Die Enten, die wir bekommen, können nicht besser sein! Ganz zart, mit krosser Haut, völlig unorthodox tranchiert und einfach sensationell. Dazu gibt’s Kartoffeln, Karotten, Wirsing und Brokkoli. Die Sauce wird in einer Weinkaraffe serviert. Wenn wir mehr wollen, einfach laut geben, sagt Steve in seinem seltsam gutturalen Schottisch. Die Augen lächeln mit, als er das Geheimnis seiner Enten verrät: Sie seien in einem Garten aufgewachsen und „really happy“. Wir auch!
Man könnte nun meinen, mit einem Filet Wellington und den sensationellen Enten hätten Steve und Sonia ihr Tagwerk erledigt. Gefehlt! Es sind noch drei Engländer eingetrudelt. Zwei Frauen, ein Mann, alle klein und kugelrund. Woher das Runde kommt, wird klar, als Steve serviert. Jeder bekommt etwas eigenes: die eine einen riesigen Steak&Onion-Pudding, die andere ganz für sich allein einen mächtigen Eintopf aus dem Ofen mit Fleisch, Gemüse und Kartoffeln. Für den Herren gibt es offenbar Würste und Innereien – ich kann es nicht genau erkennen und mag sich nicht schon wieder fragen. Die drei schaufeln und schweigen. Ein Bild wie von Norman Rockwell gepinselt!
Wir schlemmen unsere Ente, lassen sie ein letztes Mal schwimmen – in einem unendlichen See aus Rotwein. Ich wage mich vor und frage Steve nach einem Dessert. Hat er nicht, dafür erscheint er wenig später mit einem Teller voller Kekse, die wir auch noch wegfressen. Nächsten Mittwoch wird Steve für uns Thai kochen. Die Vorfreude hat begonnen.
Spektakulär, was in diesem winzigen Laden aufgetischt wird!
Ein Wort noch zu unserem Freund X: Der ist gesegnet mit einem besonderen Fressgen, das ihn offenbar intuitiv an die besten Töpfe bringt. Kein Mensch wäre darauf gekommen, in dieser Spelunke von Steve und Sonia nach Essbarem zu fragen! Aber getrieben von diesem Gen und einem unbestechlichen Riecher fürs Feine hat er diesen Trüffel der Lagos-Gastro-Szene bereits wenige Stunden nach der Ankunft ausgegraben. Chapeau!