Immer weiter

Über Nacht hat Francis mehrfach betont, wie einfach es sei, den Namen in den kanadischen Papieren zu ändern. Dazu sind wir erstens – möglicherweise 🙂 – technisch zu doof, zweitens steht uns nicht der Sinn danach. Wäre es für uns, wäre das eine Sache. Aber das anderen unterjubeln? Das ist dann Betrug und Urkundenfälschung, kommt nicht infrage.
Erwartungsgemäß ist Thomas aus Holland vom Verkauf zurückgetreten. Wir hätten es wohl nicht anders gemacht.
Nun haben wir verschiedene Optionen.
1. Heulen
2. Grauchen auf der Straße abstellen und nach uns die Sintflut – Francis ist nach argentinischem Recht Eigentümer des Autos und damit auch verantwortlich
3. Wir lassen Grauchen hier in einer Garage, kommen bis August zurück und setzen unsere Reise Richtung Panama, dann USA, fort
4. Grauchen darf Boot fahren, kommt aufs Schiff und wir holen es in Mexico oder Texas ab und reisen weiter
5. Wir bringen Grauchen jetzt nach Uruguay, dort darf es ein Jahr bleiben. Und wir gucken mal, wie es weitergeht
Optionen 1+2 kommen überhaupt nicht infrage, Option 3 erscheint uns im Moment auch nicht so sexy, Tendenz geht zu 4 oder 5. 4 checken wir gerade mal.
Was für ein Tag. Die Putzfrau hat uns auch versetzt, schon zum zweiten Mal, ist jetzt aber schleppend doch noch aktiv. Wir braten derweil wartend in der Lobby…
Aber das sind ja alles nur Marginalien. Irgendwann können wir natürlich auch wieder in die Wohnung. Die Putzfrau kommt übrigens aus einer Gegend, in der in letzter Vergangenheit vier Busfahrer umgebracht wurden. So erklärt sie ihre Verspätungen…
Wie auch immer: Nach einer Siesta sitzen wir im Bus Richtung Innenstadt. Unser Ziel ist eine Spedition, die „K“Line vertritt. Deren Schiffe steuern unter anderem Jacksonville in Florida an. Obwohl wir keinen Termin haben, kommen wir zügig mit einem kompetent wirkenden Mitarbeiter ins Gespräch. Möglich, dass wir Ende Februar mal kurz nach Florida müssen 🙂 Aber erst einmal checken warten wir auf das Angebot und das einer anderen Reederei (die nach Texas schippern).
Aber erst einmal sind wir noch auf der Reconquista unterwegs. Unser Ziel ist ein deutsches Bücher-Antiquariat, das in zwei Wochen geschlossen wird.
Der Deutschlandfunk hat über dieses wunderbar verstaubte Geschäft wie folgt berichtet:
In Buenos Aires gibt es noch ein letztes Antiquariat mit deutschen Büchern. Hier stehen die Werke von Remarque neben denen von Nazidichtern. Doch immer weniger Argentinier lesen auf Deutsch. Deshalb hat die Witwe des verstorbenen Inhabers eine schwere Entscheidung getroffen.

Calle Reconquista, eine Geschäftsstraße im quirligen Zentrum von Buenos Aires. Im Hausflur der Nummer 533 weist ein diskretes Schild darauf hin, dass sich hier das Antiquariat Henschel befindet. An die Tür im ersten Stock wird heute nicht mehr allzu oft geklopft. Dahinter verbergen sich 15.000 alte Bücher, die meisten von ihnen in deutscher Sprache. „Allerlei Themen, zum Beispiel Literatur 19. Jahrhundert, dann gibt’s 20. Jahrhundert, Erst- und Frühausgaben, es gibt auch Gesamtausgaben der deutschen Klassiker. Geschichte, europäische Geschichte.“ Viviana Steinberg arbeitet seit fast zwanzig Jahren im Antiquariat Henschel. Sie stammt aus einer deutsch-jüdischen Familie, die auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus nach Argentinien auswanderte. Auch ihr vor drei Jahren verstorbener Chef Edgardo Henschel, Sohn eines jüdisch-protestantischen Ehepaars, war in den 1930er Jahren nach Buenos Aires emigriert, als Sechsjähriger. Henschels Vater Hans hatte in Hamburg ein von seinem Vater gegründetes Antiquariat geleitet, bis dieses von den Nazis enteignet wurde. Als er auswanderte, blieben die meisten Bücher zurück. 1940 hatte Hans Henschel genügend Bücher zusammen, um in Buenos Aires ein deutsches Antiquariat zu eröffnen: die Librería Anticuaria Henschel. Edgardo, der Bücher liebte wie sein Vater, übernahm das Geschäft Ende der sechziger Jahre. Viviana Steinberg läuft an den Metall-Regalen voller Bücher entlang, die meisten sind in Leder gebunden, viele in gotischer Schrift gedruckt. Über Kundenmangel konnten sich Vater und Sohn Henschel nie beklagen. In Argentinien gab es bereits vor dem Zweiten Weltkrieg eine deutsche Gemeinschaft, die sich durch die jüdische Immigration während der NS-Zeit vergrößerte. Nach 1945 setzte sich außerdem eine Reihe von Nationalsozialisten nach Argentinien ab. Kunden des Antiquariats waren Juden und Nichtjuden, und auch Menschen mit brauner Gesinnung verirrten sich in das Geschäft. „Es kamen Deutsche und Deutschstämmige aller Ideologien. Mein Mann hat immer gesagt, er verkaufe Bücher, keine Ideen“, … sagt Evelina Henschel, Edgardos 71-jährige Witwe. So ist zu erklären, dass in der Buchhandlung heute ein Buch über Burschenschaften ebenso zu finden ist wie Schriften von Karl Marx. „Einmal kamen hohe argentinische Polizei-Funktionäre und wollten Bücher von Goebbels. Mein Mann sagte, die habe er nicht, und sie kamen nie wieder.“ In einigen Privatbibliotheken, die Edgardo Henschel aufkaufte, entdeckte er Hitlers „Mein Kampf“. Ein paar Mal habe er das Buch verkauft, sagt Evelina Henschel. „Meiner Meinung nach hat jeder das Recht, dieses Buch zu lesen, um zu wissen, was drinsteht. Das heißt nicht, dass er ein Nazi ist. Man kann das, was jemand geschrieben hat, nicht auslöschen – auch wenn es noch so schrecklich ist.“

 

Vielleicht gehören wir tatsächlich zu den letzten, die das versteckte Anriquariat besucht haben. Frau Steinberg hat auf alles 30 Prozent angeboten, weil im Geschäft in zwei Wochen die Lichter ausgehen. Aber wir haben letztlich nichts gekauft. Mir hat es aber gut gefallen, hier herumzuschnüffeln.

Nach einem kleinen Spaziergang durch die Stadt sind wir aber doch zügig wieder nachhause gefahren. Gerade noch rechtzeitig vor einem heftigen Regen. Ich gucke mir in der Mediathek das ARD-Stück „Das Programm“ an, das mir ausgesprochen gut gefällt. Richtig gut gemacht! Abends beruhigt sich das Wetter. Es ist geradezu erfrischend auf der Straße, als wir uns auf die Suche nach einem einfachen Restaurant begeben…

 

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