Palermo. Das pralle Leben.

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Civitavecchia war zwar nicht unbedingt ein Ort, der uns mit Sehnsucht verfolgt hat, aber wir haben uns trotzdem entschlossen, dort zwei Nächte in einem b&b am Ortsrand zu verbringen. Die Stadt kennen wir von früheren Besuchen. Die ist schnell besichtigt und hinterlässt kaum eine bleibende Erinnerung.

 

Aber man könnte den einen Tag nutzen, um mit dem Zug in einer Stunde zum Eisessen nach Rom zu fahren. Kurz überlegt, schnell verworfen. Zu anstrengend. Bei der Hitze! Was sind wir bloß träge!

 

Aus unserem Zimmer blicken wir aus der Distanz direkt aufs Wasser. Und da ist viel los. Die Kreuzfahrtschiffe haben das Tyrrhenische Meer wieder für sich beschlagnahmt. Es raucht und kraucht, rumpelt und pumpelt. Busladungen mit Passagieren werden eilig zum Heiligen Vater gekarrt, können rasch einen Euro in irgendeinen Brunnen – muss nicht einmal der Trevi sein – werfen, um dann rechtzeitig zum Dinner wieder an Bord gebracht zu werden. Es reicht durchaus, diesem hektischen Treiben aus der Ferne zuzusehen.

 

Ein kleiner Ausflug aufs Land führt auch nur dazu, dass wir wieder in unsere Bude zurückkehren und uns über Bücher beugen. Am nächsten Tag müssen wir um fünf aufstehen, damit wir rechtzeitig auf der Forza landen. So vielversprechend heisst die Fähre, die uns knapp 1000 Kilometer von Civitavecchia nach Termini Imerese, 40 Kilometer östlich von Palermo, bringen wird.

 

Wir sind fährerfahren. Haben in Südamerika und in der Südsee, in der Ostsee und im Chinesischen Meer, in Australien und Neuseeland und sonstwo auf Fähren gehockt. Wir wissen, wie wichtig es ist, eine Kabine zu buchen… Unser Trip nach Sizilien dauert zwar nur knapp 15 Stunden, aber wir hätten uns schwarz geärgert, wenn wir die albernen 70 Euro eingeknausert hätten. So parken wir das Auto tief im Bauch der ausgesprochen hässlichen Fähre und begeben uns direkt in unsere Kajüte. Das Fenster zu Meer könnte zwar ein Lederläppchen gebrauchen, aber ansonsten sind Kabine und Bad blitzsauber. Und vor allem unser Schutzraum. Füsse hoch, lesen, dösen. Mal aufstehen, um einen – miesen – Happen zu essen, dann vorbei an schnarchenden  Lastwagenfahrern, krakeelenden Kindern und kläffenden Hunden zurück in unser Refugium. Ab und zu an Deck eine Nase Luft, es gibt aber keinen einzigen Stuhl, auf dem sitzend man prima in der Sonne braten könnte.

 

Pünktlich um 23 Uhr legt der Kahn im sizilianischen Hafen an, eine Stunde später irren wir durchs nachtschwarze Imerese und suchen lauernd Autostrada-Schilder. Unser Navi spinnt sich irgendwas zurecht und sieht zu, dass wir uns tief in den wenig einladenden Ort wühlen. Es ist halb eins, als wir endlich auf der Autobahn sind. Natürlich haben die Italiener auch zu dieser nachtschlafenden Zeit ihre Ich-will-an-deine-Stoßstange-ran-Macke. Baustellen. Strassenverjüngungen. Alles egal. Sie jagen.

 

In Palermo kennt sich das Navi zum Glück wieder aus. Auf den Strassen ist immer noch die Hölle los. Man muss aufpassen, keinen Torkler vors Auto zu kriegen… Aber irgendwann stehen wir vorm Ibis Style Hotel President, unserem Zuhause für drei Nächte, genau gegenüber vom Fährhafen von Palermo. Das mit dem garantierten Parkplatz hat nicht so geklappt, aber wir lassen das Auto direkt vorm Eingang stehen. Ein junger Nachtwächter, der auch schon mal in einem Marriott in Berlin gearbeitet hat, findet das völlig unbedenklich.

 

Uns ist gerade mal alles egal: Wir sind fix und fertig von der Überfahrt. Glücklicherweise hatten wir völlig ruhige See, müssen nur wieder aus dem ständigen Rollen des Schiffes herauskommen. Aber das passiert ganz automatisch – wir fallen wie tot ins Bett.

 

Nun geht es mal los mit Palermo. Wir sind in den letzten Wochen so wenig gelaufen, dass uns schon nach fünf, sechs Kilometern – allerdings bei Temperaturen um 30 Grad – die Puste fast im Stich lässt. Wir haben einen Stadtplan und Lust, uns zu verlaufen. Das gelingt.

 

Palermo hat fast 700 000 Einwohner, aber wir sehen im historischen Viertel der Stadt Hunderte Häuser, in denen kein einziger leben kann. Das ist blanke Theorie. Natürlich wird hier gelebt. Und wie! Mögen die Häuser dem Verfall verdammt nahe sein – irgendwo krabbelt immer noch jemand rum. Ein bisschen erinnern uns verschiedene Gassen an die wunderbaren alten Hutongs in Shanghai. Der morbide Charme der Stadt hat uns im Griff. Alles geht durcheinander, alles geht… Wir auch. Schritt um Schritt erobern wir uns die Stadt, bestaunen die Kathedrale und ein paar Schritte weiter ein fast verfallenes Gotteshaus, schlendern vorbei an Palazzi und unter Luigis Unterhosen, die zum Trocknen über unseren Köpfen hängen. 

 

Palermo ist laut und kaputt und schmutzig und – grossartig! Hinter jeder Ecke lauert irgendein Kleinod. Mal eine Kirche, dann ein Museum, ein Laden wie aus vergangenen Jahrhunderten und daneben taufrische Punks. Wir klappern ab, was ein ordentlicher Baedeker-Traveller abzuklappern hat. Aber vor allem geniessen wir! Überall gibt es Bars und Kneipen, Männer diskutieren lautstark irgendwas, Frauen  nippen an ihren Aperols und tuscheln. Einige todschick, andere in schwarzen Kittelschürzen, die es aber auch freundlicher gibt. In tiefem Dunkelgrau. Hauptsache, es wird geschnattert.

 

Und dann wird gegessen. Überall. Palermo ist berühmt für sein Street Food. Entsprechend wird überall irgendwas gebrutzelt und gesotten, geschnippelt, geformt und angeboten. Arancini sind der Hit: Panierte, frittierte Reiskugeln oder (viel besser!) -kügelchen, gefüllt mit Gemüse, Fleisch, Fisch, irgendwas. Frittiert wird gern und viel, aber es schmeckt auch alles gut.

 

Völlig erschöpft  wanken wir am Nachmittag zurück ins Hotel, um uns ein bisschen auszuruhen. Gegen Abend sind wir erwartungsgemäß wieder munter, werfen einen Blick von der Dachterrasse des Hotels auf die Bucht von Palermo, tauchen dann aber lieber wieder ein in das Gewirr der Altstadtgassen.

 

Je später der Abend, desto grösser der Trubel: Die sengende Hitze schwindet und  beschert einen wohltemperierten Spaziergang bei um die 25 Grad. Auf diese Abkühlung haben alle gewartet. Im Handumdrehen ist die Stadt voll. Kaum noch ein Platz vor den zahlreichen Restaurants – die Sizilianer feiern sich und das Leben. Abend für Abend. Und wir feiern mit. Ganz zufällig landen wir in einer Pizzeria, die klimatisiert ist. Das war zwar so nicht geplant, aber draußen  ist alles überfüllt. Das Familienunternehmen lebt von Einheimischen. Wir sind die Exoten und fallen vor allem wohl deshalb auf, weil es uns nicht gelingt, die Massen zu vertilgen, die alle, wirklich alle um uns herum in sich reinschaufeln. Aber man ist uns überaus wohlgesonnen. Zu  Schluss gibt es sogar noch einen Limoncello, den la Mamma selbst gemacht hat.

 

Die Nacht ist laut, weil genau gegenüber vom Hotel die großen Schiffe keuchen und ächzen, auf der Strasse der Verkehr eher zu- als abnimmt. Wir schlafen trotzdem nach knapp über 15 Kilometern über Stock und Stein wie die Steine, um für den nächsten Tag fit zu sein.

 

Einige Ecken von Palermo erinnern uns sehr an Buenos Aires: Der Verfall einstiger Prachtbauten, die Strassenverhältnisse wie in San Telmo mit tiefen Schlaglöchern und hohen Stolpersteinen. Und die vielen Menschen. Fast den ganzen Tag verbringen wir auf Märkten, laufen von einem zum anderen, freuen uns über Obst und Gemüse und hören verklärt den gröhlenden Verkäufern zu, von denen sich die Fischmarktjungs in Hamburg  noch eine ordentliche Scheibe abschneiden könnten. Es ist bunt und heiss. Das Marktgeschehen gehört ganz einfach zu Palermo. Hier wird gefeilscht und geklönt, genossen und geschimpft, gelacht und gekichert.

 

Ab und zu sitzen wir ganz andächtig in irgendeiner Kirche, um überhaupt wieder zu uns zu kommen. In einer, San Domenico, finden wir eher zufällig das Grabmal von Giovanni Falcone. Der unermüdliche Mafiajäger wurde, nachdem er dafür gesorgt hatte, dass Hunderte Mafiosi aus dem Verkehr gezogen wurden, letztlich doch von der Cosa Nostra erwischt: 1992 wurde Falcone mit seiner Frau und drei Leibwächtern während einer Autofahrt in die Luft gesprengt. Heute sehen wir Männer mit ernstem Gesicht an seiner Grabstätte, versunken in Gebete. Männer wie Falcone haben die Grundlage dafür geschaffen, dass Palermo heute als einer der sichersten Städte Italiens gilt.

 

Wir reflektieren Erlebtes nach weiteren 10, 12 Kilometern mit kochendheissen Füssen in einer Trattoria in Hotelnähe. Das pralle Leben von Palermo – für uns Liebe auf den ersten Blick. Heute abend werden wir noch einmal um die Häuser ziehen, aber ab morgen sehen wir uns mal den Westen der Insel an. Wohin genau? Das wissen wir nicht. Mal gucken.

 

5 Kommentare zu „Palermo. Das pralle Leben.“

  1. Hola Birgit, maravilloso tu relato de Palermo! Me trasmitis todo el encanto, el colorido y la diversidad. Dan ganas de estar ahí! Ahora quiero las fotos!! jaja!!
    Beso enorme amiga! y disfruta ,disfruta, disfruta!!!!

    1. Hier sprudelt das Leben – ganz toll. Bis eben haben wir auf der Dachterrasse unseres Hotels gesessen und Schiffe und Sterne beobachtet, dazu einen Amaro siciliano getrunken. Viel mehr geht nicht!

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