Leise Enttäuschung macht sich breit

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Noch einmal quer durch Quimper, einen letzten Blick auf die berauschend schöne Kathedrale – und los geht‘s. Wir weinen der quirligen Studentenstadt keine Träne nach, denn wie so oft zieht es uns ans Meer. Von Bénedot haben wir noch nie gehört. Das Dorf an der Mündung der Odet ist ganz niedlich, die Seemannskirche auch. Von einem Kap hat man einen guten Blick auf den Atlantik, könnte vom Hafen mit einer Fähre auf eine kleine Insel übersetzen. All das lassen wir und schlängeln weiter entlang der Küste.

 

Nichts erinnert an den Charme der nördlichen Bretagne. Dörfer sind belanglos, Klippen und Strände zum Teil wirklich schön, aber eine touristische Infrastruktur ist kaum erkennbar. Die wird uns dann in Concarneau um die Ohren gehauen. Die berufliche Heimat des dösigen TV-Commissaire Dupin ist für uns einfach nur fürchterlich. Natürlich stürzen wir in die Ville close, die von einer uralten Mauer umgebene Festung direkt am Meer. Aber was haben sie dem mittelalterlichen Bauwerk angetan? Zwar gibt es noch ein paar historische Bauten, vor allem aber touristischen Plunder, Restaurants, Bars. Und das Museum der Fischerei, in das wir vor dem Mob mal eben flüchten. Ganz eindrucksvoll kuratiert, aber wir sind ja nicht die grössten Angler unter der Sonne. Besichtigt wird alles, dann noch ein Blick in den Hafen und die Werften, derer sich offenbar auch die französische Marine bedient – und nichts wie weg.

 

So ein ganz, ganz kleiner Frust stellt sich ein. Auch die folgenden Küstenorte wie Begneil oder Fouesnant heitern uns nicht auf. Also muss es Pont-Aven richten. Das Dorf an der Mündung des Aven erlangte gewisse Berühmtheit, weil Paul Gauguin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Licht und Milieu schwärmte. Er würde dem Wahnsinn verfallen, sähe er, was aus dem Ort geworden ist: eine touristische Hochburg mit allerlei Volk, das sich offenbar für künstlerisch mordsmässig begabt hält. Da werden hochnormale Enten mit geneigtem Kopf beäugt, trocken gefallene Yachten mit den Augen eines Meisters fixiert, Stolen lasziv über Schultern geworfen oder breitkrempige Hüte gegen die wärmende Sonne gefächelt. Mannomann, dagegen ist Worpswede Volkshochschule… In einer Crêperie essen wir teure wie schlechte Crêpes blé noir und hören deutsche Kunstlehrer oder ähnliche Experten über das Wesen Gauguin schwadronieren. Das macht die Nerven spröde.

 

Bei auflaufendem Wasser sind wir auch schon wieder weg. Langsam wird uns bange. Wohin soll die Reise heute gehen? Google maps und booking.com entlarven die Gegend als relativ unterbelichtet, so man nicht mit einem Campinggefährt unterwegs ist.

 

Also ganz was anderes: Quiberon. Es sind via Autobahn und vorbei an Lorient, dem wir schon mal vor einigen Jahren nichts abgewinnen konnten, ungefähr 120 Kilometer bis zur eleganten Halbinsel, die wiederum mit 2000 Stunden im Jahr zu den sonnenreichsten Gebieten Frankreichs gehört.

 

Und offenbar auch zu den verkehrsreichsten. Wir fassen es nicht, wie viele Autos, Wohnmobile, Motorräder uns entgegenkommen. Auch in unserer Richtung ist viel Volk unterwegs. Das wird ja wieder was… Die Suche nach einem Hotel entpuppt sich dann auch gleich zu einem Alptraum der Hochpreisigkeit. Sicher, Romy Schneider hat im Sofitel gegen ganz viel Geld nichts zu essen bekommen und ist jedes Jahr für kurze Zeit neben Pfunden auch die Lust am Rotwein losgeworden. Aber das war eine ganz andere Epoche.

 

Heute wird gebaut, was das Zeug hält. Und vermietet, ob Fenster oder keines. Richtig frustriert parken wir im Port Haliguen. Das Hôtel du Port erscheint auf keiner unser Listen. Also gehe ich mal hin. Oh Wunder, sie haben noch genau ein Zimmer frei! Das nehmen wir aus purer Verzweiflung auf der Stelle, krabbeln erst eine Treppe zur Rezeption hoch, dann eine weitere zum Zimmer. Es handelt sich dabei um ein Behindertenzimmer. Das Badezimmer ist rollstuhlgerecht eingerichtet, das enge Zimmer nicht: Da kommt nirgendwo ein Rolli durch. Vor allem: die steile Treppe ist nicht zu schaffen. Offenbar ist hier irgendeine Vorschrift ohne Sinn und Verstand eingehalten worden.

 

Das Zimmer führt auf ein Flachdach, dahinter ins Nichts. Dafür hört man jedes Wort, das einen Stock tiefer an der Rezeption gesprochen wird. Und als nebenan eine Tür geschlossen wird, zucke ich zusammen: Einbrecher? Die Laune ist im Keller. Und wird noch schlechter, als wir über eine bekloppte Strasse versuchen, uns die Gegend schönzulaufen.

 

Also wieder ins Auto, mittel-maulig es Dinner mit fantastischem Blick aufs Meer. Das Publikum auf Quiberon ist im Schnitt wesentlich exklusiver als im Norden der Bretagne, das erleichtert uns aber keineswegs die Entscheidung, was wir von nun an tun werden. Im Hôtel du Port bleiben wir ganz sicher nicht. Bei hereinbrechender Nacht fahren wir einen 8-Kilometer-Schlenker nach St. Pierre Quiberon, um einen Blick aufs Hotel de Bretagne zu werfen. Nicht schlecht, wenn man lila Neonlicht mag, wesentlich besser als unsere jetzige Bude, aber irgendwie auch nix. Morgen hauen wir ab. Nach Rennes oder Paris oder sonstwohin. Nur weg! Quiberon? Bloß nicht!

Der Morgen kommt, die Sonne scheint, das Café gegenüber ist geschlossen. Geht das schon wieder los! Als könnte ich etwas erzwingen, gucke ich noch mal mit scharfem Auge auf die Quiberon-Seite von booking. Ein Wunder? Zufällig frei geworden? Zum Bretagne und Ibis (eine weitere, lustlose Option) erscheint das Apartmenthaus Azur. Klingt gut. Und weil das Wetter auch in den nächsten Tagen hervorragend sein soll, die Strände und das Meer berauschend schön sind, buchen wir uns kurzerhand und unbesehen für vier Nächte ein. Mut haben wir ja. Ich frag mal vorsichtig per mail im Haus an, ob wir schon vor 14 Uhr einchecken könnten. Das Haus liegt direkt hinter Romys Sofitel. Und hat keinen Meerblick, wie man der Website entnehmen kann. Offenbar eine ständig wiederkehrende, nervende Frage. Uns ist das egal: Das Meer liegt in jedem Fall um die Ecke.

 

Beim Frühstück im mondänen Ort – café allongé et une tartine – schreibt die Rezeption zurück: Wir können au midi einziehen. Das ist ein gutes Omen.

 

Die Begrüßung ist herzlich, fast überschwenglich, unser kleines Appartement ein Traum: hell, blitzsauber, Südbalkon, funktionelle Kitchenette, vernünftiges Bad. Der Frust ist auf der Stelle wie weggeblasen!

 

Ein paar Einkäufe noch, dann sind wir seelig eingerichtet. Den Weg zu Lidl verschönern wir uns durch die Fahrt entlang der Côte sauvage. Ausblicke wie aus dem atlantischen Bilderbuch! Wir machen Halt in Le Vivier, einem tollen Restaurant mit spektakulärem Blick. Davor hat sich jetzt zur Mittagszeit eine lange Schlange gebildet. Der Laden ist knallvoll, und obwohl es gerade mal zwölf ist, steht auf jedem Tisch mindestens eine Flasche Wein. Und man hört es überall knacken: Les Torteaux, Taschenkrebse, werden hingebungsvoll genossen. Das wollen wir auch! Mal sehen, wann es wie klappt. Bei Sonnenuntergang heult man hier bestimmt vor Glück!

 

Wir heulen nicht (mehr), kaufen ein bisschen bei Lidl und im Super ein. Heute gibt es ein Wie-war-es-bloss-schön-mit-den-Xies-Erinnerungsessen: Crevetten, Aioli, gesalzene Butter, Baguette, Weisswein. Die beiden sind schon in Valérie en Caux und essen auf der Pier das gleiche – nicht abgesprochen! Sie sind ziemlich rasant auf dem Weg nach Hause. Wir nicht. Wir könnten hier in unserem Appartement durchaus noch länger bleiben… Quiberon? Mais oui!

2 Kommentare zu „Leise Enttäuschung macht sich breit“

  1. Lese wie immer, fleißig mit. Möchte am liebsten ins Auto steigen und gen Westen fahren. Tage, wo man etwas enttäuscht von seiner Umgebung ist, gibt es auf jeder Reise und auf jeder Destination. Sie gehören einfach dazu, damit man dann das Schöne mehr genießen und dankbar wahrnehmen kann.
    Geniesst es weiterhin. Die in Gedanken Mitteisende

    1. Da hast du völlig recht, liebe Karin. Längst genießen wir wieder – diesmal die Halbinsel Quiberon für ein paar Tage in einem wirklich gemütlichen Apartment. Ich freue mich immer, dass du uns via andando begleitest! Liebe Grüße auch an Michael!

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