Durchs Ermland nach Masuren

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Gdansk oder Danzig hat uns richtig gut gefallen, auch wenn es gestern unentwegt geregnet hat. Nach Zahnarzt und Päuschen wollten wir eigentlich noch eine Flasche Danziger Goldwasser einkaufen. Juans eher zufälliger Blick ins Internet hat uns letztlich davon abgehalten: Das echte und originale Danziger Goldwasser wird schon seit Jahren in Niedersachsen hergestellt: Die Schnapsbrenner in Nörten-Hardenberg haben sich das Rezept gesichert und verscheuern den edlen Tropfen weltweit. Auch in Polen… Zwar gibt es hier noch einen Brenner, der das Zeug auch herstellen kann, aber das ist dann schon eher Makramee. In grossen Mengen fabrizieren es die Grafen von Hardenberg. Ein Spross aus dieser Sippe war mit meinem Bruder beim Bund, fällt mir gerade ein. Also: das echte Goldwasser gibt es auch bei Rewe.

 

Das hat aber nun wirklich nichts mit dieser Reise zu tun. Wie wollten heute morgen zwar gegen sechs aufbrechen, aber vor acht kommen wir wieder nicht ins Auto. Auch egal – wir haben ja keine Termine einzuhalten. Und ein Ziel haben wir auch nicht so richtig. Wir weisen unsere Uschi mal an, uns nach Gizycko, ins frühere Lützen, zu leiten. Dieser Ort gilt als Ausgangspunkt vieler Masurenreisender.

 

Nach 50, 60 Kilometer auf der Autobahn sind wir es leid und biegen bei Elblag ab Richtung Warmia, das früher Ermland hiess. Die Felder werden grösser, das Land weniger besiedelt. Strahlender Sonnenschein begleitet uns durch die faszinierende, leicht hügelige Landschaft. Dann kommen wieder Wälder, die so tief und zugewachsen sind, dass unser Navi vorsichtshalber mal auf Nachtlicht umschaltet.

 

Die Alleen, die wir befahren, sind einfach wunderschön. Grösstenteils sind sogar die Strassen in gutem Zustand. Mal ein Schlagloch so gross wie ein Schaf – was soll’s? Wir sind viel zu sehr begeistert vom Land und von den zahlreichen Storchennestern, die wir in jedem Kaff vorfinden. Es sind Hunderte von diesen Vögeln, die offenbar eine Affinität zu Ländern haben, die mit „Po“ beginnen. Erst Portugal, jetzt Polen. Wir sind ganz hingerissen und stellen uns vor, dass der klappernde Nachwuchs bald mal Richtung Algarve aufbricht.

 

Es duftet überall nach frisch geschnittenem Gras. Manchmal entdecken wir einen Storch auf einer Kuhweide, halb versteckt zwischen den Schwarzbunten, dann – wir sind schon in Masuren – das erste Schild: Elche! 250 soll es in diesem Landstrich geben. Mal sehen, was wir zu sehen bekommen.

 

Unser Weg führt uns durch weitere Dörfer, vorbei an der gotischen Kathedrale von Dobre Miasto, in die wir nur deshalb einen Blick werfen können, weil Bauarbeiter vergessen haben, die Tür zu schliessen. Natürlich fliegen wir sofort wieder raus.

 

Die Swieta Lipka, die berühmte barocke Heiligelinde aus dem 18 Jahrhundert, lassen wir links liegen. Hier ist uns zu viel los – und wir halten möglichst Corona-gemässen Abstand. Aber auch aus der Entfernung ist der Sakralbau ein dolles Ding!

 

Kurz hinter Ketrzyn, das in jedem Masurenroman als Köttritz auftaucht, weist uns ein Schild nach links (!) zur Wolfsschanze, dem ehemaligen Adolf-Hitler-Hauptquartier, in dem Stauffenbergs Attentats vom 20. Juli 1944 gescheitert ist. Wollen wir uns das ansehen? Ein bisschen fürchten wir uns vor dem braunen Mop, der möglicherweise hier den Führer anbetet.. Aber wo wir schon mal hier sind… Wir zahlen die 35 Zloty Eintritt und befinden uns für acht Euro mitten in dem Areal, auf dem es sogar einen Campingplatz gibt. Oh, oh… Tatsächlich sind wir fast die einzigen Deutschen, die die Wolfsschanze besuchen: Polnische Familien stehen staunend vor meterdicken Mauern, lassen sich von Guides die Geschichte der Nazis, des gescheiterten Attentats und des Warschauer Aufstandes von 1944 berichten. Wir drehen die Runde, sehen mit Staunen, wie gross die Anlage einmal gewesen sein muss und hauen bald darauf wieder ab. Natürlich ist das ein geschichtsträchtiger Ort, aber langsam holt die Natur ihn sich wieder…

 

On the road again. In Gizycko (Lötzen) sind wir zwar von malerischen Seen umgeben, der Ort ist aber ungefähr so aufregend wir Castrop-Rauxel. Bleiben wir hier eine Nacht? Ein kurzer Stop bei der Tourist Information ist wenig erhellend. Der ältere Herr, der vorgibt, deutsch zu sprechen, empfiehlt uns, mal ein paar Hotels abzuklappern. Darauf wären wir unter Umständen auch allein gekommen…

 

Wir sind hier nur ein paar Kilometer von der russischen Grenze entfernt, könnten theoretisch in zwei Stunden spätestens in Kaliningrad sein. Und auch wenn man 4-Tages-Visa inzwischen elektronisch und kostenlos bekommen kann: Die russische Föderation ist wegen der Corona-Pandemie weiter hermetisch abgeschottet. Also bleiben wir hier erst einmal in Masuren. Auch Litauen ist nicht mehr weit, aber wir wollen uns erst einmal in dieser Gegend etwas genauer umsehen.

 

 

Unser guter Freund Google hilft uns nicht nur bei der Quartiersuche – wir checken für eine Nacht im Stara Kuznia Mazurska in Ogonki ein -, sondern auch und vor allem bei der polnischen Speisekarte. Die Kamera des Übersetzers weist auf ein typisches Süppchen mit eine Einlage aus Wurst und hart gekochtem Ei hin, auf geschmorten Schweinehals und ein Kotelett – und zum Schluss auch noch auf ein Art Crêpe mit Nutella. Geht’s denn besser? Der Verdauungsspaziergang am See entlang zu einer schicken Anlage nebst Spa ist Pflicht.

 

Das Land Masuren – hier ist es wie aus einem Bilderbuch.

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